Das Vorjahr war in Österreich das wärmste der Messgeschichte, der heurige Juni der heißeste je registrierte. Mit welchem Gefühl beobachtet der Klimaforscher die Entwicklung?

Gottfried Kirchengast: Ich forsche ja zu globalen Satellitenmessungen, die uns zeigen, wie der Treibhausgasanstieg weltweit fortschreitende Wärmeansammlungen in der Luft, an Land und in den Meeren bewirkt. Vor diesem Hintergrund sind solche lokalen Rekorde klar ein Fingerabdruck des Klimawandels. Dahinter steht das bedrohliche große Ganze. Das ist der Grund, warum wir Wissenschaftler so stark die Alternativlosigkeit betonen, die Pariser Klimaziele einzuhalten.

Österreichs Emissionen sind in den vergangenen Jahren dennoch gestiegen. Was ist der Grund?

Im EU-Vergleich liegt Österreich in Sachen Treibhausgas-Reduktion unter den fünf letzten der 28 Staaten. Wir verursachen derzeit sogar noch mehr Emissionen als im Schnitt der 1990er-Jahre. Wenn man das mit der großen Zahl an Ländern vergleicht, die hier viel weiter sind und schon rund minus 20 Prozent geschafft haben, dann sieht man, dass wirksame politische Rahmenmaßnahmen in Österreich bisher schlicht fehlen. Bei uns regiert seit vielen Jahren das Prinzip des Laissez-faire.

Die Politik hat in Österreich beim Klima bisher versagt?

Ganz genau. In der Zeit seit den 1990ern hat es keine ernsthaft wirksame Rahmensetzung zum Klimaschutz gegeben.

Seit den letzten Monaten sind plötzlich alle Parteien bemüht, den Klimaschutz hervorzukehren. Eine tatsächliche Wende?

Was grundsätzlich hoffnungsvoll stimmt: Die, die Klimaschutz ein Stück ernster nehmen, sind in Österreich zuletzt mehr geworden. Aber bei den Parteien sind schon große Unterschiede in der Ernsthaftigkeit zu sehen.

Zuletzt hat die ÖVP unter großer medialer Aufmerksamkeit ihr Klimaschutzprogramm mit dem Herzstück eines Ausbaus der Wasserstoffwirtschaft präsentiert. Was ist davon zu halten?

Hier spottet der Inhalt wirklich den Überschriften. Im Einstieg bekennt man sich zum Pariser Klimaziel, was dann durch die Inhalte nachweisbar einfach nicht ernst genommen wird. Da ist kein ehrlicher Wille zu erkennen, es ist vielmehr eine ziemlich dreiste Irreführung der Bevölkerung. Diese Kommunikationstaktik dieses Papiers hat mich wirklich sprachlos gemacht.

Was ist so schlecht daran?

Es ist generell ein starker Einfluss von Verzögerungskonzepten der fossilen Energiewirtschaft zu erkennen. Ein Beispiel: Wasserstoff wird zukünftig nur in einem Teilbereich des Energie- und Transportsystems sinnvoll sein. Da geht es eher um Gütertransporte und leistungsstarke Fahrzeuge oder zum Teil auch um Flugzeuge. Mit der als konkretester Punkt präsentierten Idee der „Wasserstoffnation“ wird in dem Sinn ein Nischensegment in die Mitte gesetzt, statt die bitter nötige Rahmensteuerung zu konkretisieren. Ex-Kanzler Kurz ist derzeit nach unserer Analyse leider nicht staatsmännisch und unabhängig genug, die Klimapolitik im Sinn des Gemeinwohls aufzustellen.

Was wäre konkret nötig?

Besonders wichtig ist das Kostenwahrheitsprinzip. CO2 muss einen Preis bekommen, damit künftig Produkte und Dienstleistungen so entwickelt werden, dass sie einen geringeren fossilen Fußabdruck haben. Dafür wäre eine sozial-, wirtschafts- und umweltgerechte Steuerreform nötig. Oder beim Straßenverkehr: Eine hocheffiziente Elektromobilität der Zukunft wäre besser umsetzbar, wenn sie auf das Höchstgeschwindigkeitsniveau von 100 beziehungsweise 80 km/h aufsetzt, mit den liebgewonnenen zehn Prozent Toleranz selbstverständlich (lacht), und nicht wie derzeit auf 130 beziehungsweise 100 km/h. Das hätte eine positive Lenkungswirkung auf den gesamten Mobilitätssektor. Zudem wäre ein zeitlicher Ankerpunkt sinnvoll, zum Beispiel das Jahr 2030, ab dem keine Neuzulassung von Fossilfahrzeugen mehr erfolgt. Das sind nur einige Beispiele, die Konturen einer Klimapolitik zeigen sollen, die uns wirklich bis 2050 von über 90 Prozent der Emissionen befreien kann.

Vieles würde wohl nicht nur auf Zustimmung stoßen.

Jedenfalls zu mehr als der jetzige politische Kleinmut und es wäre für alle Akteure klar, wohin der Weg geht. Ähnliches müsste auch für das Energiesystem gelten: Rahmensetzungen weg von der Fossilversorgung hin zu hocheffizienten Energiedienstleistungen. Wie viel so etwas bringt, sieht man am Beispiel anderer europäischer Länder, die mit solchen Maßnahmen schon viel an Emissionen reduziert haben. Es gilt das Prinzip: Verbrauch die Hälfte pro Jahrzehnt. Alle zehn Jahre bis 2050 müssen unsere Emissionen um mindestens 50 Prozent sinken, sonst erreichen wir die Paris-Ziele nicht. Das ist tiefgreifend und braucht eine politische Führung mit Verstand, Mut und Herz, damit diese Befreiung gelingen kann.

Österreichs Zwischenziel von minus 36 Prozent bis 2030 genügt demnach nicht?

Das genügt definitiv nicht. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Bis Mitte der 2040er wollen wir CO2-neutral sein. Wenn wir aber 2030 erst etwa ein Drittel der Emissionen reduziert haben, wie sollen wir uns dann in nur 15 Jahren vom ganzen Rest befreien? Wir wären strukturell fossil gefangen, während uns die Kosten, Schäden und Klagen in einem innovativen EU-Umfeld über den Kopf wachsen. Dass wir beim Emissionsabbau Fünftletzter in der EU sind, sollte wirklich ein Weckruf sein.

Doch selbst für die derzeitigen 2030er-Ziele ist Österreich nicht auf Kurs.

Ja, leider auch das nicht. Eine der größten Bedrohungen, die daraus entstehen, ist eben: Österreich bleibt durch klimapolitisches Versagen in den Entwicklungen hinten und in einer fossil geprägten Volkswirtschaft verhaftet. Und wir als Konsumenten und Unternehmen sind in diesem System gefangen, während Staaten um uns zukunftsfähiger sind. Wenn die Politik also jetzt nicht nachbessert, dann ist das fahrlässig und verantwortungslos.

Wie teuer würde uns ein Scheitern 2030 zu stehen kommen?

Abseits der volkswirtschaftlichen Strukturschäden drohen direkte Kosten im Staatshaushalt. Wir rechnen damit, dass sich auf derzeitigem Kurs bis 2030 für das öffentliche Budget 30 bis 40 Milliarden Euro akkumulieren. 5 bis 10 Milliarden davon dürften auf Zertifikatskosten entfallen, etwa 15 Milliarden netto kostet die Fortführung der Subventionen für fossile Energien. Dazu kommen Klimaschadenskosten von hochgerechnet 10 bis 15 Milliarden Euro. Das ist ein substanzielles Problem, ein multiples Hypo-Desaster, plakativer gesagt.

Was tun Sie eigentlich persönlich zum Klimaschutz?

Ich lebe nach dem Prinzip: Verbrauch die Hälfte. Das gelingt recht gut. So komme ich trotz einiger beruflicher Flugreisen als international tätiger Wissenschaftler heuer mit den durchschnittlichen CO2-Emissionswerten der Österreicher aus. Noch 2012 war es mehr als doppelt so viel. Natürlich muss man ein bissl konsequent sein, macht aber Spaß. Den Privatbereich halte ich weit unter dem österreichischen Schnitt. Und heuer musste ich auch Konferenzeinladungen in Asien und den USA absagen, weil es sich in meinem CO2-Jahresbudget nicht mehr ausging.

Muss künftig jeder so handeln?

Die gute Nachricht für uns Österreicher ist ja, dass die meisten von uns beim Einsparen von Emissionen noch viele recht einfach nutzbare Potenziale haben. Dann kommt aber einmal der Punkt, wo eine weitere Befreiung nur mehr begrenzt im eigenen Gestaltungsspielraum liegt. Versagt also die Klimapolitik weiterhin und setzt nicht die passenden Rahmenbedingungen, sind wir früher oder später in einem Staat gefangen, der uns die weitere CO2-Reduktion einfach nicht erlaubt. Deshalb brauchen wir auch CO2-Befreiungsbewegungen wie Fridays for Future, bis die Politik ernsthaft handelt.