In einem noch nie da gewesenen Ausmaß suchen steirische Unternehmen derzeit nach Mitarbeitern – in klassischen Stellenanzeigen genauso wie in Aufrufen in sozialen Medien oder gar Radiospots. In der Grazer Herrengasse wird das Flehen buchstäblich in die Auslage gestellt: Auf fast jedem Schaufenster prangt die Bitte an potenzielle Arbeitnehmer, sich zu melden. Es ist eine Entwicklung, die sowohl an Stammtischen als auch in den Büros von Personalchefs hitzig diskutiert wird. Wo sind all die jungen Arbeitskräfte hin? Und was bedeutet das für unsere Wirtschaft – morgen und in zehn Jahren?

Die Kleine Zeitung bat Experten und Betroffene um ihre Meinung:

Josef Herk, Wirtschaftskammerpräsident: "Wenn wir nur noch halb so viele junge Steirer haben wie vor 40 Jahren, dann wirkt sich das natürlich aus. Also werden Tabus fallen müssen: Wir brauchen künftig nicht nur eine qualifizierte Zuwanderung, die Leute werden auch, sofern sie gesund sind, länger im Erwerbsprozess bleiben müssen. Außerdem müssen wir die Jungen künftig besser informieren und begleiten. An der Bezahlung liegt der Arbeitskräftemangel vielfach nicht, Banken und den Medizinbereich trifft es ja auch."

Franz Höllinger, Soziologe an der Uni Graz: "Viele Junge wollen weiter 'ins System', gutes Geld verdienen. Andere wollen nicht mehr bis zum Umfallen 'hackeln', sie kommen lieber mit weniger aus, vor allem Leute aus dem 'Selbstverwirklichungsmilieu'. Die Frage ist nur, wie sich das finanziell ausgeht, wenn sie Familie gründen oder in Pension gehen – haben sie genügend eingezahlt? Wiederum andere können es sich leisten, auf die Work-Life-Balance zu achten, da sie von ihren Eltern unterstützt werden, es eine Zweitwohnung gibt, ein schönes Erbe."

Soziologe Franz Höllinger: "Andere wollen nicht mehr bis zum Umfallen 'hackeln'"
Soziologe Franz Höllinger: "Andere wollen nicht mehr bis zum Umfallen 'hackeln'" © KK



Verena Ulrich (27), selbstständig: "Nach meinem Bachelor- und dem Masterstudium bin ich in Graz bei der Arge Jugend gegen Gewalt eingestiegen. Heute arbeite ich als Selbstständige mit der Arge zusammen, eine Vollzeitstelle habe ich abgelehnt. Denn mir ist wichtig, dass noch Zeit bleibt – für freiwilliges Engagement in anderen Bereichen etwa oder für Nachhaltigkeit. Nein, das Gehalt treibt mich nicht an. Wobei mir schon bewusst ist, dass es nicht bei allen so ist. Und mir meine Eltern bei der Ausbildung finanziell geholfen haben."

Verena Ulrich (27): "Eine Vollzeitstelle habe ich abgelehnt"
Verena Ulrich (27): "Eine Vollzeitstelle habe ich abgelehnt" © KK

Judith Schwarz, Aiola-Restaurants und Hotel: "Dieser durch Corona beschleunigte Wandel lässt viele Junge fast zu selbstbewusst auftreten. Zweimal wurden uns noch vor Bewerbungsgesprächen die Gehaltswünsche genannt. Dabei stimmt es nicht mehr, dass man in Gastro quasi ausgebeutet wird. Zumindest in Graz wird gutes Geld gezahlt. Und wir haben unserem Küchenteam schon vor Jahren eine Vier-Tage-Woche angeboten. Die Frage aber, wie man künftig Personal fürs Wochenende findet, macht mir schon Sorgen."

Judith Schwarz mit ihrem Mann Gerald: "In der Grazer Gastro wird gutes Geld gezahlt"
Judith Schwarz mit ihrem Mann Gerald: "In der Grazer Gastro wird gutes Geld gezahlt" © Juergen Fuchs

Christian Ehetreiber, Arge Jugend gegen Gewalt und Rassismus: "Wir sprechen heute von einem 'Arbeitsmarkt der Wählerischen'. Erst kürzlich haben mir junge Menschen sinngemäß erklärt: Bei allem Respekt, aber wir suchen uns euch aus! Da stecken selbstbewusste,
optimistische Menschen dahinter – für die aber 'Leistung' mit einem drohenden Verlust an Lebensqualität einhergeht. Arbeitgebern kann man nur raten, mehr denn je auf eine Arbeit mit Nutzen und Wert zu achten, auf Wertschätzung und eine bessere Bezahlung."

Christian Ehetreiber ortet "Arbeitsmarkt der Wählerischen"
Christian Ehetreiber ortet "Arbeitsmarkt der Wählerischen" © Juergen Fuchs

Demografische Entwicklung

Ein Blick in die Bevölkerungsstatistik zeigt übrigens einen wesentlichen Aspekt in dieser Debatte: Es gibt immer weniger Junge. Wobei der Rückgang in der gesamten Steiermark viel stärker ausfällt als in Graz: Während landesweit der Anteil der 15- bis unter 30-Jährigen bei 16,4 Prozent liegt, macht ihr Anteil in der Landeshauptstadt – auch dank des Zuzugs (von Studenten) – 21,9 Prozent aus.

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