Amsterdam, aber auch andere Städte der Niederlande, sind europaweit bekannt als die Pioniere in Sachen Radverkehr. Eine Vorreiterrolle, die vor allem Bürger erkämpft haben, die sich gegen das Diktat von Wirtschaft und Stadtplanern gewehrt haben, die Städte in den 1960er und 1970ern ganz dem Autoverkehr unterordnen wollten. Das war die Grunderzählung des Doku-Films "Together We Cycle" im Herbstkino des Grazer Kunsthauses, der die Basis für eine Podiumsdiskussion* von Experten sanfter Mobilität war, in der die "Autostadt Graz" jüngst ordentlich ihr Fett abbekommen hat (Die ganze Diskussion können Sie im Player unter diesem Absatz nachhören). Kleiner Schönheitsfehler: Am Podium fanden sich keine Diskutanten der Gegenseite - etwa Auto-Lobbyisten, Wirtschafts- oder Handelsvertreter.

100 Millionen Euro: Großer Wurf oder doch nur Peanuts?

Auf eine der Kernfragen des Abends - "wie soll man den öffentlichen Raum in Graz umverteilen? - gab es durchwegs pragmatische Ansätze. Die Leiterin des Städtebau-Instituts Aglaée Degros sagte etwa sinngemäß: "Man muss einfach damit beginnen." Sie zeigte sich ungeduldig, dass immer nur geredet und geplant werde. Man müsse bei der Einrichtung von Radwegen oder Begegnungszonen viel mehr ausprobieren. Auch in Provisorien denken.

Aufhorchen ließ sie auch in Zusammenhang mit der Rad-Offensive von Stadt und Land, die Graz ja mit 100 Millionen Euro in zehn Jahren in die europäische Oberliga der "Radstädte" bringen soll. Auf eine Publikumsfrage gestand sie ein: "100 Millionen Euro für die Radinfrastruktur - ja das sind Peanuts." Gleichzeitig betonte sie aber, dass man auch ohne große finanzielle Mittel die Raum-Umverteilung beginnen und damit das Bewusstsein für sanfte Mobilität schärfen könne. Nach der Pandemie stellte Degros fest, "dass unglaublich viele Räder und Radfahrer in der Stadt sind." Jetzt wäre es Zeit, dass die Stadt dem auch Rechnung trage.

Rad-Offensive: Achten wofür das Geld eingesetzt wird

Sorge, dass die Rad-Offensive nur auf dem Papier Fahrt aufnehmen könnte, hatte auch Simone Feigl von der Radler-Lobby Argus: "Man muss da genau achten, welches Geld da reingerechnet wird. Sind bei den 100 Millionen auch Grundablösen dabei, dann ist das Budget bald ausgegeben. Auch kann es nicht sein, dass da Straßen mitfinanziert werden, nur weil Radweglösungen umgesetzt werden."

Tempo 30 in der ganzen Stadt

Der legendäre Verkehrsexperte Hermann Knoflacher ging durchaus hart ins Gericht mit der "Autostadt Graz": "Ich habe damals die erste Fußgängerzone in der Herrengasse konzipiert - und ich hätte sie über die Annenstraße bis zum Hauptbahnhof gezogen." Dazu sei es dann aber nicht mehr gekommen. Bis heute ist er der Meinung, dass das Stadtzentrum deutlich weiter vom Autoverkehr befreit werden müsste und dass nicht nah am Zentrum so viele Tiefgaragen errichtet werden hätten sollen: "Aber Graz hat sich eben über Jahrzehnte am Auto orientiert."

Knoflacher denkt aber auch in Verordnungen nicht nur in Infrastruktur. Er schlug vor, doch im gesamten Stadtgebiet Tempo 30 zu verfügen: "Dann könnten Radfahrer auf der Straße mit den Autos mithalten." Das Motto: Mischverkehr auf Augenhöhe überall dort, wo die Radinfrastruktur fehlt.

Mini-Metro ist ein Projekt für Tunnelbauer

Und Knoflacher wiederholte an diesem Abend, was er schon einmal in der Kleinen zeitung zu Protokoll gegeben hatte: "Ich sage ihnen für wen die Mini-Metro ist. Für die Tunnelbauer, die da jahrelange Aufträge bekommen können." Für die Stadt wäre es das falsche Konzept, da sind sich alle am Podium inklusive dem Verkehrsexperten und -pädagogen Karl Reiter einig. Und Knoflachers Motto ließe sich auch auf dieses Projekt anwenden: "Nicht nur kopieren, sondern kapieren."

In einem Fall ist aber Reiter etwa sehr wohl fürs Kopieren. Er kann einem Projekt zur Verkehrsberuhigung in der niederländischen Stadt Groningen auch umgelegt auf Graz viel abgewinnen. Dort hat man das Zentrum in vier Sektoren aufgeteilt: Autos können in jeden Sektor von außen zufahren, aber nicht in einen der anderen drei weiterfahren. Die Durchfahrt durchs Zentrum ist also gesperrt, die Zufahrt für Kunden oder Anrainer ist aber jederzeit möglich. Der Hauptverkehr muss aber jedenfalls dem Zentrum ausweichen.

Graz soll sich nicht wieder abhängen lassen

Ja, es war ein spannender Abend, auch wenn das Auto und seine Lobby an diesem Abend keine Mitsprache hatten. Und die Runde war sich einig: Alles, was in Richtung Umverteilung gehe - vom Rad-Highway bis zur Begegnungs- oder Fußgängerzone müsse man nun endlich beginnen. Vom Reden ins Tun kommen, denn in Europa seien schon wieder Städte dabei Graz in Sachen "Sanfter Mobilität" abzuhängen.

*Die Podiumsdiskussion fand am Freitag, den 8. Oktober im Grazer Kunsthaus statt.