Eine neue Mitarbeiterin an der Alterspsychiatrie hatte den Fall ins Rollen gebracht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Graz im Zusammenhang mit mutmaßlichen Misshandlungen durch vier Pfleger am LKH Graz Süd-West Standort Süd (einst Sigmund-Freud-Klinik).

Die mutmaßliche Rädelsführerin wurde entlassen, zwei Kollegen gekündigt. Die Vierte im Bunde, da von Zeugen inzwischen entlastet, verwarnt und versetzt.

Nach weiteren Vorwürfen hat das Land Steiermark am Dienstag eine unabhängige Kommission angekündigt. Die werde unter anderem aus Fachleuten und unabhängigen Richtern bestehen. Gespräche würden bereits geführt. Am Abend sagte der Grazer Alt-Bgm. Alfred Stingl seine Teilnahme zu.
Auch Pflegeombudsfrau Renate Skledar soll dabei sein. Sie und andere Experten sollen klären, wie es in dem Spital zu einer derartigen "Gruppendynamik" kommen konnte.

Entschuldigt

Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) entschuldigte sich im Namen des Landes Steiermark: "Diese Vorfälle dürfen nicht in einem Krankenhaus vorkommen und sie sind auch nicht zu entschuldigen." Er wolle eine lückenlose Aufklärung, um Abläufe und das System zu verbessern und solchen Vorfällen "keinen Platz mehr zu geben".

Mitarbeiterin deckte auf

Drexler schilderte, dass vier Pflegemitarbeiter des Spitals Patienten "in völliger inakzeptabler Weise behandelt" haben - man könne von "quälen und misshandeln" sprechen. Er sei froh, dass die Vorfälle durch eine "beherzte Mitarbeiterin" intern aufgezeigt wurden. Die Anstaltsleitung habe binnen Stunden reagiert und sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Öffentlichkeit informiert.

Laut dem ärztlichen Direktor des LKH-Standorts, Michael Lehofer, dürften die Misshandlungen in den vergangenen vier bis fünf Monaten passiert sein. Vorwiegend in der Nacht, wenn bestimmte Pfleger zusammen Dienst hatten.

Patient verstorben

Am Dienstag wurden weitere Vorwürfe publik, die "Krone" veröffentlichte das erschütternde Schreiben einer Frau: Deren betagter Vater sei im Juni in der Alterspsychiatrie in Graz nicht allein schlecht behandelt worden, sondern obendrein schwer krank entlassen worden. Tage darauf sei der Mann mit 71 Jahren verstorben.
Lehofer dazu: "Der Fall ist uns bekannt, medizinisch ist aber kein Fehler unterlaufen." Die Werte des Patienten hätten sich im Spital sehr gebessert: "Er war am Genesen." Dann aber soll der Patient, vereinfacht gesagt, einen schweren Rückfall erlitten haben, von dem er sich nicht mehr erholte. 

Aufarbeitung

Die Suche nach womöglich weiteren Opfern gestaltet sich als schwierig. Die Hauptverdächtige tauchte nicht mehr im Haus auf, bei "fünf oder sechs Patienten" gibt es Hinweise auf (verbale) Übergriffe. Der Patienten und Pflege-Ombudsstelle wurde im Vorfeld nichts gemeldet. "Und unserer internen Qualitätskontrolle sind sechs Beschwerden, zwei sind von heute, bekannt", ergänzte Tscheliessnigg.       

Personalnot?

Im Raum steht auch der Vorwurf, die Alterspsychiatrie, würde unter Personalnot leiden. Das wurde von Pflegeleiter Furlan zurückgewiesen: Der Standort verfüge über 597,5 Dienstposten, die betroffene Abteilung (für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie; 109 Betten) sei mit 23 Ärzten und knapp 85 Pflegemitarbeitern über Schnitt besetzt. Die Betten-Auslastung würde etwa 80 Prozent betragen.

Den Nachtdienst versehen acht Pfleger  für vier Stationen. Es gibt einen Journaldienst (2 Mitarbeiter) und zwei Ärzte für die Abteilung im Hintergrund. 

Vier unter 8633

Ein systemisches Versagen bestritten die Verantwortlichen. Ebenso betonten sie, dass es sich um "unentschuldbare, sehr bedauerliche, aber doch um Einzelfälle" handeln würde. Drexler: "In der Kages arbeiten 8633 Menschen in der Pflege und 99,9 Prozent davon leisten hervoragende Arbeit". Sie seien "mit Empathie und Engagement 365 Tage im Jahr für Patienten da".

Wie "Racheengel"

Eine Patientin hatte die Vorwürfe einem Interview mit dem ORF unterstrichen: Ein Pfleger und eine Schwester seien "wie zwei Racheengel" gekommen, als sie in der Nacht läuten musste, weil sie auf die Toilette musste. Den Toilettengang habe man ihr mit den Worten "Dann machen's ins Bett" verweigert. "Ich habe mich so erniedrigt gefühlt, das kann ich gar nicht wiedergeben“, so die Frau, die auch zur Einnahme von Medikamenten genötigt werden sein soll.

Staatsanwaltschaft rasch informiert

Die (allesamt österreichischen) Pfleger sollen, sofern sie gemeinsam Nachtdienst hatten, über Monate Frauen und Männer misshandelt haben: Sowohl von verbalen als auch von körperlichen Angriffen ist in der Sachverhaltsdarstellung zu lesen, bestätigte die Staatsanwaltschaft Graz am Montag. Manche der betagten Opfer wären namentlich genannt, andere müssen noch ermittelt werden.
Die Krankenanstaltengesellschaft hatte die Angaben der Mitarbeiterin rasch an die Behörden übermittelt.

Die Angestellte habe zugesichert, weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Bisher seien die meisten Angaben aber "noch sehr vage", meinte der Staatsanwalt. Von Schlägen sei nicht die Rede, sehr wohl aber zum Beispiel von zu festem Zupacken, was in einem Fall etwa zu einer blutenden Verletzung geführt haben soll.

Kräuter: Gravierende Missstände bekannt

Am Samstag hatte Volksanwalt Günther Kräutervon seit Jahren bekannten Strukturmängeln in der Psychiatrie gesprochen: "Die Kommission der Volksanwaltschaft hat im LKH Graz Süd-West Standort Süd gravierende Missstände festgestellt, unter anderem zu wenig Personal, kaum bezahlte Fortbildungen, vernachlässigtes Deeskalationstraining, ausufernde Nebentätigkeiten der Fachärzte und eine desaströse bauliche Situation. Verbesserungen oder gar Strukturreformen sind offenbar unterblieben." Der KAGes empfahl er "dringend, die Missstände nun endlich zu beheben".

Supervision und Fortbildung

Diese Vorwürfe wollten Tscheliessnigg, Lehofer, Drexler & Co. so nicht stehen lassen. Tenor: Der Personalstand liege 10 Prozent über dem gesetzlichen Soll. Die Mitarbeiter würden fortgebildet. "Es gibt auch Supervision, um diese ohne Frage sehr herausfordernde Arbeit machen zu können." Auch bemüht sich die Leitung, die psychologische Ausbildung in anderen Häusern voranzutreiben. "Damit nicht Patienten, die einmal schwierig sind, zu uns geschickt werden".