Eineinhalb Monate nach dem Doppelmord in Stiwoll fehlt vom Tatverdächtigen Friedrich Felzmann (66) noch immer jede Spur. Der Beschuldigte ist wie vom Erdboden verschluckt. Die Fahndung läuft auf Hochtouren – und dabei geriet nun ein unschuldiger Oststeirer ins Visier der „Sonderkommission Friedrich“.

Der Betroffene, Johann Schafferhofer aus Prebensdorf-Stadt, Gemeinde Ilztal, wurde Dienstag drei Kilometer vor seinem Anwesen gestoppt. „Man hielt mir einen Durchsuchungsbefehl unter die Nase, ich durfte nicht mehr weiterfahren, ich musste mein Auto auf der Busspur abstellen.“ Die Cobra und Mordermittler durchsuchten danach sein Anwesen, denn laut zwei anonymen Hinweisen war Schafferhofer verdächtig, Friedrich Felzmann versteckt zu halten.

Im Hausdurchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft Graz ist sogar ein begründeter Verdacht angeführt: Der Verdacht ergibt sich dabei insbesondere aufgrund des Umstandes, dass nach Angaben der Hinweisgeber zwischen dem Beschuldigten und Schafferhofer in der Vergangenheit immer wieder Kontakt bestand. Felzmann sei mehrfach – zuletzt im Herbst 2017 – bei Johann Schafferhofer gesichtet worden, steht in den Unterlagen der Staatsanwaltschaft. Und weiter: Schafferhofer sei – wie Felzmann – dafür bekannt, dass er sich als Opfer diverser Behörden fühle und gerichtliche Streitigkeiten mit der Gemeinde betreffend eine Zufahrt ausgetragen habe.

„Doch da gibt es einen gravierenden Unterschied“, sagt Johann Schafferhofer. „Ich habe alle Prozesse gewonnen, Felzmann hat sie verloren.“

Nach stundenlangen Durchsuchungen und der Einvernahme stand fest, dass kein Wort der Hinweisgeber stimmte. Der Oststeirer hatte laut Polizei keinen Kontakt zu Felzmann. Er kannte ihn nur aus den Medien. „Ich wurde übel verleumdet“, schimpft er. „Und ich weiß auch von wem.“ Die Hinweisgeber seien in der Nachbarschaft zu finden, mutmaßt Schafferhofer.

Nachdem die Sicherheitsbehörden seit Wochen weltweit nach dem mutmaßlichen Doppelmörder von Stiwoll fahnden, wurde Friedrich Felzmann (66) jetzt auch in die EU-Liste der meistgesuchten Verbrecher aufgenommen. Damit ist die Fahndung in allen EU-Ländern der Öffentlichkeit zugängig. Man hoffe auf Hinweise, die zum Aufenthaltsort des Steirers führen, heißt es seitens der „Sonderkommission Friedrich“.

Großaufgebot der Polizei im Sucheinsatz




Die Polizei, die erst mit einem Großaufgebot von mehreren hundert Beamten und Beamtinnen, Hubschraubern, Suchhunden sowie mit Unterstützung des EKO Cobra und drei gepanzerten Fahrzeugen nach dem Mann gefahndet hatte, ist mittlerweile aus dem Ortsbild verschwunden. Eine Woche nach der Tat wurde die "Soko Friedrich" eingerichtet und über 200 Hinweise abgearbeitet.

Eine Chronologie der Ereignisse:

29. Oktober 2017 - Der 66-Jährige feuert auf seine Nachbarn. Eine 55-jährige Frau und ein 64-jähriger Mann werden in Stiwoll im Bezirk Graz-Umgebung von mehreren Projektilen tödlich getroffen. Eine 68-jährige Frau wird bei der Flucht vor den Schüssen am Oberarm getroffen und überlebt schwer verletzt. Beim Eintreffen der Polizei fehlt vom Verdächtigen jede Spur. Er ist in seinem Auto geflüchtet, vermutlich mit seiner Waffe. Eine Großfahndung wird eingeleitet.

30. Oktober 2017 - Das Fluchtfahrzeug des 66-Jährigen, ein weißer Kleinbus, wird in einem Wald in Södingberg wenige Kilometer vom Tatort entfernt vom Polizeihubschrauber entdeckt. Der Bus ist versperrt und leer. Vom Täter fehlt weiterhin jede Spur. Schulen und Kindergärten der Umgebung bleiben auch nach dem Wochenende geschlossen. Der Bevölkerung wird geraten, zu Hause zu bleiben und wachsam zu sein. Indessen geben die Staatsanwaltschaften in Graz und Leoben bekannt, dass gegen den Verdächtigen schon seit Jahren Anzeigen unter anderem wegen gefährlicher Drohung und nationalsozialistischer Wiederbetätigung vorlagen. Einem Gutachten zufolge sei der Mann jedoch nicht zurechnungsfähig. Da er aber auch als nicht gefährlich eingestuft wurde, konnte er bisher nicht in eine Anstalt eingewiesen werden.

31. Oktober 2017 - Der Verdächtige bleibt weiterhin verschollen. Die Polizei verstärkt ihre Kräfte ein weiteres Mal, eine Hundertschaft ist auf der Suche nach dem 66-Jährigen, durchkämmt Wälder in der Umgebung und durchsucht leer stehende Häuser. Sowohl in Oberösterreich als auch in Niederösterreich gibt es Zeugenaussagen, dass der Flüchtige gesehen wurde. Sie stellen sich aber als Fehlalarme heraus bzw. die Beamten können den Mann in diesen Gegenden nicht fassen.

1. November 2017 - Die Suche nach Friedrich Felzmann wird fortgesetzt, die Allerheiligen-Prozession in Stiwoll wird aus Sicherheitsgründen abgesagt. Der Gottesdienst findet unter starkem Polizei-Aufgebot statt. Indessen durchsuchen Cobra-Einheiten ein Stollensystem eines alten Silberbergwerks, werden jedoch abermals nicht fündig. In Niederösterreich finden verstärkte Streifenfahrten statt.

2. November 2017 - Generalmajor Bernhard Treibenreif, Chef des Einsatzkommandos Cobra, vermutet, dass die Tat "nicht von langer Hand vorbereitet worden ist". Man gehe von einer sogenannten eruptiven Tat aus. Ein Polizist verletzt sich bei der Durchsuchung des Tatortes schwer, als er durch eine mit Heu bedeckte Luke stürzt. In einer Informationsveranstaltung in Stiwoll erhält die Bevölkerung Auskünfte aus erster Hand von Polizei und Behörden, was teils zur Entspannung der angespannten Situation im Ort beträgt.

3. November 2017 - Nach einem Hinweis aus der Bevölkerung verlagert sich die Suche an den westlichen Stadtrand von Graz: Zeugen wollen einen verdächtigen Mann vor der Volksschule von Thal bei Graz gesehen haben. Daraufhin wird der bewaldete Plabutsch zwischen Thalerseestraße und dem Fürstenstand von einer Suchkette der Polizei mit Hubschrauberunterstützung durchkämmt, aber ohne Ergebnis.

4. November 2017 - Die Polizei hat sechs Tage nach den tödlichen Schüssen auf Nachbarn in Stiwoll die Sonderkommission "Friedrich" zusammengestellt. Die Strategie bei der Suche nach dem 66-jährigen Verdächtigen wird abgeändert und verschiebt sich von großflächigen Screenings in Richtung Analyse und gezielten Überprüfungen. Indessen wurde das erste der beiden Todesopfer am Samstag verabschiedet.

5. November 2017 - Felzmann hat bereits im Jahr 2011 mit Waffengewalt gedroht. Wie das Landesgericht für Strafsachen Graz mitteilte, war er wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt vor Gericht gestanden. Unterdessen findet sich Felzmann auch auf der Liste von Österreichs meistgesuchten Personen.

6. November 2017 - Acht Tage nach den tödlichen Schüssen gingen die Ermittler einer heißen Spur nach. Am Wochenende wurde in den Keller eines landwirtschaftlichen Wohnhauses unweit des Tatorts eingebrochen. Aus einer darin abgestellten Kühltruhe könnten möglicherweise Lebensmittel gestohlen worden sein, bestätigte Polizei-Sprecher Jürgen Haas. Im Umkreis wird nun verstärkt gesucht.

Video vom Polizei-Einsatz in Stübing

7. November 2017 - Das Heer stellt auf Basis einer Assistenzanforderung zwei gepanzerte Fahrzeuge vom Typ "Husar" für die Polizei zur Fahndung nach dem Todesschützen von Stiwoll. Es handelt sich um geschützte Mehrzweckfahrzeuge des Herstellers Iveco, die vor rund sieben Jahren in Dienst gestellt wurden. Eine Suche im Freilichtmuseum Stübing nördlich von Graz brachte keine neuen Spuren.

8. November 2017 - Die Polizei wird in der Suche nach dem auf der Flucht befindlichen mutmaßlichen Todesschützen von Stiwoll "mit heutigem Tag" ab sofort die massive Präsenz bewaffneter Kräfte in dem kleinen weststeirischen Ort und Umgebung reduzieren. Man gehe wie angekündigt zu einem kriminaltaktischem Verfahren über.

10. November 2017 - Der Fallanalytiker ("Profiler") des Bundeskriminalamtes, Werner Schlojer, geht von einer "tiefen Kränkung" als Auslöser der Bluttat von Stiwoll Ende Oktober aus: "Der mutmaßliche Täter fühlt sich als Opfer." Den tödlichen Schüssen auf zwei Nachbarn war ein jahrelanger Streit um einen Weg über sein Grundstück vorausgegangen. Schlojer und sein Team gehen nicht von einer "tiefer Tatplanung aus".

14. November 2017 - Es wird publik, dass Friedrich Felzmann auch seinen Bruder August und dessen Frau immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Einmal soll er sogar versucht haben, den Bruder mit einer Schaufel zu erschlagen. Der Pfarrer von Stiwoll, Pater Stephan Varga, wollte vermitteln. Als er scheiterte, kam auch er auf die Feindesliste von Friedrich Felzmann.

15. November 2017 - Die Angst geht auch unter den Jägern um: Vor drei Jahren habe die Gattin des Gesuchten die Jagdprüfung abgelegt. Danach wollte sie in die Stiwoller Jagdgesellschaft aufgenommen werden. Doch aus mehreren Gründen lehnten die Jäger ab. In einer geheimen Abstimmung entschieden sie sich gegen die Frau. Das wiederum soll auch ihren Mann wütend gemacht haben, erzählt man in Stiwoll. Und deshalb seien einige Jäger auf der Gefährdungsliste zu finden.

17. November 2017 - Die Soko "Friedrich" tappt weiter im Dunkeln: Jene DNA-Mischspur, die die Spurensicherer des Landeskriminalamtes nach einem Einbruch am 4. November auf einem Bauernhof in Stiwoll sichergestellt hatte, brachte die Ermittler keinen Schritt weiter. Die DNA ist mit der DNA des mutmaßlichen Doppelmörders nicht identisch. Es sei trotzdem nicht auszuschließen, dass Felzmann den Einbruch begangen und sich aus der Tiefkühltruhe Lebensmittel besorgt hat, heißt es seitens der Soko.

19. November 2017 - Drei Wochen nach den Todesschüssen ist Stiwoll wieder auf dem Weg zur Normalität. Doch Unsicherheit und Angst sind immer noch präsent. "Der Kindergarten und die Volksschule sind seit zwei Wochen wieder geöffnet“, erzählt Bürgermeister Alfred Brettenthaler. "Die Kinder wurden psychologisch betreut." Und die Polizei habe für die 30 Schüler einen Kinderpolizeitag abgehalten. "Der Fritz lebt noch, der gibt nicht auf. Und in den Häf’n geht der erst recht nicht. Der lässt sich vorher von der Polizei erschießen", ist man am Stammtisch in Stiwoll überzeugt. Und die Wirtin: "Aber am Abend sind die Straßen nach wie vor menschenleer."