Es ist Halbzeit bei der 68. Vierschanzentournee – und die Zwischenbilanz aus rot-weiß-roter Sicht fällt durchwachsen aus. So konnten die Athleten von Cheftrainer Andreas Felder die Topform aus den ersten Weltcupstationen des Winters nur bedingt mit in das traditionelle Schanzenspektakel nehmen. Die Folge: Vor dem Heimspringen am Bergisel (heute um 14 Uhr gibt es die Qualifikation, morgen folgt der Wettkampf) haben die Österreicher bereits alle Chancen auf den Gesamtsieg verspielt. Einzig Stefan Kraft sieht als Gesamtfünfter noch die Chance auf das finale Podest am 6. Jänner – „und ich will diese auch nützen. Denn ich habe weit mehr drauf, als ich bisher bei der Tournee zeigen konnte“, gibt sich der Salzburger kampfeslustig.

Weit mehr drauf haben definitiv auch einige seiner Kollegen. Wie etwa Michael Hayböck und Gregor Schlierenzauer, bei denen derzeit jedoch ein nur schwer zu lösender Knoten den Griff in ein funktionierendes Gesamtpaket verhindert. Doch wie kann es sein, dass Springer, die einst auf der Erfolgswelle geritten sind, auf einmal die Hillsize und Weiten darüber hinaus nur noch vom Hörensagen kennen?

"Skispringen ist ein Automatismus"

„Während der Tournee ist es prinzipiell schwierig, die Form zu finden. Zwar hat man viele Sprünge, aber nicht die Ruhe, um etwas auszuprobieren“, sagt Hayböck, derzeit frustrierter 22. im Gesamtklassement. Dabei kennt der Oberösterreicher das Gefühl des berühmten Flows. „Ich hatte ihn, als ich drei Springen in Folge gewonnen habe. Da klappt alles von alleine, kleinere Fehler waren kein Problem. Skispringen ist ein Automatismus – das muss ohne Nachdenken gehen. Sobald man darüber nachdenkt, geht alles nicht mehr so flüssig. Und ich bin leider ein Denker“, erklärt der Tournee-Zweite 2014/15 mit einem verkrampften Lächeln.

Trotz der vielen Rückschläge sei das Wissen, dass es in jedem Moment „klick“ machen könne, beim Training ein stetiger Antrieb. „Ich muss mich Schritt für Schritt wieder nach vorne arbeiten und einen 14. Platz auch als positive Zwischenstation sehen. Drehe ich allerdings zu früh an einem noch so kleinen Schräubchen, kann das nach hinten losgehen und alles war für die Katz’.“

Hayböck ist grundsätzlich der Meinung, dass es im Skispringen wohl schwieriger als in anderen Sportarten sei, wieder die alte Form zu finden. Erschwerend käme noch hinzu, dass sich das Reglement hinsichtlich Material quasi jede zweite Saison ändern würde und man immer wieder sein Setup neu anpassen müsse. „Umso bewundernswerter ist es, dass es manche Springer schaffen, sich über Jahre an der Spitze halten zu können“, betont der 28-Jährige.

Schlierenzauer auf der Suche nach der Welle

Einer dieser Ausnahmekönner war Schlierenzauer. Allerdings springt der Stubaier nun auch bereits seit Jahren erfolglos seiner einstigen Dominanz hinterher. „An der Tischkante ist mein Sprung derzeit zu wenig druckvoll. Und in der Luft schaffe ich es nach wie vor nicht, auf die berühmte Welle zu kommen“, glaubt der 29-Jährige seine Problemzonen zu kennen. „Das Ganze ist eben ein langwieriger Prozess. Ich muss geduldig bleiben und meinen Weg weitergehen.“

Dass er sowohl in Oberstdorf als auch in Garmisch das Finale der besten 30 verpasst hat, bringt Schlierenzauer nicht großartig ins Grübeln. „Es spielt jetzt keine große Rolle, ob ich 26. oder 35. werde. Es geht bei mir derzeit nicht um Ergebnisse, sondern darum, das richtige Fluggefühl zu finden. Derzeit fehlen bei mir die Automatismen – und die muss man sich erarbeiten.“

Natürlich sei es nicht einfach, die stetigen Höhen und Tiefen zu verarbeiten. „Derzeit rollt die Kugel nur ab und zu in das richtige Loch“, sinniert Schlierenzauer. Diese Trefferquote gelte es von Sprung zu Sprung zu erhöhen. Dass längst kritische Stimmen laut geworden sind, die dem Rekord-Weltcupsieger (53) vorwerfen, er hätte den richtigen Zeitpunkt des Karriere-Absprungs verpasst und würde nun sein Denkmal zerstören, lässt den einstigen Überflieger kalt. Was er ihnen antworten würde? Nach längerem Überlegen sagt Schlierenzauer: „Dass es mir nach wie vor Spaß macht.“ Nach einer weiteren Pause fügt der Tiroler hinzu: „Dass ich noch jung und gesund bin“. Pause. „Dass ich es für mich und niemanden anderen mache.“ Weitere Pause: „Dass auf Denkmäler eh nur Vögel scheißen.“ Ende.