Immer, wenn man von der Kitzbüheler Streif spricht, redet man vom Start, dem Sprung ins Nichts bei der Mausefalle. Vom Hausberg samt der folgenden Traverse. Selten spricht man vom Zielsprung. Dabei war dieser Zielsprung in der jüngeren Vergangenheit öfter Schauplatz von Tragödien als etwa die Mausefalle, die nur bei Hans Grugger heftig zuschnappte. Aber beim Zielsprung, da endeten Karrieren. Andreas Schifferer, zu diesem Zeitpunkt amtierender Sieger im Abfahrtsweltcup, wurde nach einem heftigen Sturz im Zielraum nie mehr der Alte. Dann kam Scott Macartney, der beim Aufprall den Helm verlor, bewusstlos bis ins Ziel rutschte, der Körper zuckte, man befürchtete das Schlimmste. Ebenso wie beim heftigen Aufprall von Daniel Albrecht, der in Rücklage geraten war und nach 80 Metern mit über 140 km/h aufs Eis geprallt und ins Koma gefallen war. Der Schweizer hat sich zum Glück ebenso erholt wie der US-Amerikaner Macartney.

Das jüngste Opfer ist nun der Schweizer Urs Kryenbühl. Die Kritik der Fahrer am Zielsprung kam schnell. Und die Erinnerung. „Der Zielsprung“, sagte Hannes Reichelt, „der hat so Wellenbewegungen. Da gab es das Jahr mit Schifferer, dann passten alle auf. Damals gab es ja sogar Weitenmessungen, das hat man dann gelassen. Dann wurde der Sprung Jahr für Jahr größer, bis es Macartney und Albrecht erwischte. Im Anschluss war es ein paar Jahre ruhig. Seither wurde er wieder immer größer, bis heuer.“

Sprung selbst ist nicht das Problem

Das Problem, beteuern alle, liegt aber weniger am Sprung selbst, die letzte Welle ins Ziel hinein ist eine natürliche. Der Sprung wird extra gebaut, um diese Welle zu entschärfen. Denn würden die Fahrer erst bei der Welle abheben, würden sie noch weiter und mit noch mehr Luftstand den Hang „entlangfliegen“. Das betont auch Hannes Trinkl, der noch am Samstag versuchte, alles neu „zu bauen“. Das Problem an sich liegt aber gar nicht am Sprung, sondern in der Passage davor. Die Fahrer kamen am Freitag so schnell wie nie zum Zielsprung. „Wir haben in den letzten Jahren den Sprung von der Hausbergkante entschärft, die Kompression danach kleiner gemacht, die Querfahrt geglättet. Aber das heißt, dass die Fahrer immer mehr Geschwindigkeit aufnehmen. Und wenn es dann nassen, schnellen Schnee gibt, dann sind sie schneller, als wir selbst je geglaubt hatten“, sagte er. Aus dem Wunsch, kritische Stellen, an denen es in den Jahren zuvor Verletzte gab, sicherer zu machen, wurde nun das Ergebnis, dass man diese Stellen so gut passiert, dass die Passage danach zur Hürde wird.

„Aber wenn man gut springt, dann ist auch dieser Sprung kein Problem“, widersprach Matthias Mayer und führte an, dass das Top-Trio keine Schwierigkeiten hatte, obwohl auch Beat Feuz oder Dominik Paris weit über 70 Meter „flogen“. Aber klar ist: „Fehler darf man da keinen machen.“ Und bei knapp 150 km/h Fehler auszuschließen, ist schwierig.

Denn: Rennfahrer sind darauf gedrillt, ans (und über das Limit) zu gehen. „Sie fahren da auf dem letzten Zacken hin, da zieht keiner zurück, auch heute wird das keiner tun“, sagte ÖSV-Herrencheftrainer Andreas Puelacher im APA-Gespräch. „Die Athleten sind so gut geworden, das Material ist so gut geworden, die Abfahrten werden uns fast zu schmal, wir können da die Geschwindigkeit nicht mehr reduzieren“, erklärte Puelacher. Wie wahr: Wer heute bei der TV-Übertragung aufpasst, wird sehen, wie oft die Läufer schon sehr knapp am Netz sind. Das geschieht, um Kurven einbauen zu können. „Vor dem Hausberg fahren wir ja schon fast Slalom“, meinte Feuz.

"Es reicht doch, wenn wir 40 Meter springen, nicht 80"

Auch für die auf Sonntag verschobene Abfahrt rechnet kaum jemand mit Besserung. „Sie werden nicht viel langsamer hinkommen“, prophezeit Puelacher. Um sich an den neuen Sprung gewöhnen zu können, dürfen die Fahrer heute ausnahmsweise schon bei der Besichtigung im „Renntempo“ testen. So will man jedem die Möglichkeit geben, sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Klar ist, sagt auch Feuz: „Ich bin kein Gegner des Sprunges. Man braucht solche Elemente. Aber es reicht doch, wenn wir 40 Meter springen, nicht 80.“ Darauf arbeiten alle hin – die nächste (Zwischen-) Lösung kann es aber erst kommendes Jahr geben, wenn man die Fahrer am Ende der Traverse „bergauf“ fahren lassen will, um das Tempo zu drosseln.

Kleines Detail am Rande: Es scheint nach wie vor auch für die Zuschauer der größte Reiz zu sein, Fahrer fallen zu sehen (auch wenn sich, hoffentlich, keiner Verletzungen wünscht). Aber am Tag nach den Stürzen war die Streif auch in Deutschland großes Thema. Selbst die Meldung der Absage war auf bild.de die zweitbeste Geschichte des Tages, noch vor allen Fußballmeldungen ...