Es ist dunkel in Kitzbühel. Und leise. Unglaublich ruhig sogar, gemessen am Zeitpunkt des Jahres. Hahnenkamm-Woche in der Gamsstadt, das war bisher Garant für Heiterkeit, der Kampf gegen das kollektive Besäufnis mit Alk-Leichen im Schneematsch, die sich den Wichtigen beim Nachhauseweg in den Weg legen und das Bild des idyllischen Kitzbühel, das zur Szene-Hauptstadt wurde, trüben könnten. Hahnenkamm, das war die strikt getrennte Zusammenkunft von hartgesottenen Ski-Fans, grölendem Party-Volk und wirtschaftlicher Elite, garniert mit einem Schuss „Celebrity“, der sich von Party zu Party verschob. Vom Weißwurst-Stanglwirt zu Rosis Sonnbergstuben oder in den „Kitz Race Club“ auf der Jagd nach Arnold Schwarzenegger und Co.

In diesen Tagen wähnt man sich am falschen Ort. Um 19 Uhr gehen die Lichter aus, oder besser: viele gehen gar nicht an. Viele Hotels haben geschlossen, nur die wenigen, die Teams und den Begleittross beherbergen, haben geöffnet. Aber selbst Hotelgäste werden darin nur bis 19 Uhr bewirtet, dann ist Schluss. Und Gäste, die nicht Teil der „Bubble“ – der Blase, die sich der Sport zum Schutz vor dem Virus verordnet hat – sind, haben ohnehin Zutrittsverbot. Zu den Hotels und zum Rennen.

Die Streif ist großräumig abgesperrt, die sonst so gern gesehenen Fans haben Zutrittsverbot, werden aufgefordert, daheim zu bleiben. Man will sie nicht haben in Kitzbühel. Die Gäste, die man schon noch haben wollen würde, die zahlenden, die dürfen derzeit nämlich auch nicht kommen. Man hat sich hier dem strengen Weg verschrieben, denn Bilder wie in Ischgl sollen mit aller Macht verhindert werden. Und das heißt: Um 19 Uhr die Rollbalken runterlassen, die Gehsteige hochklappen. Das wird, so erzählt man sich im Ort, auch von Beamten in Zivil kontrolliert. Aufgesperrt wird diese Woche eben nur für das Notwendigste rund um das Rennen, das den Ruhm dieser Stadt (mit)begründet hat.

Doch ist die Situation prekär. „Über Weihnachten haben wir noch Menüs vorgekocht, wir hatten ein Take-away-Konzept, das gut funktioniert hat“, sagt Jürgen Kleinhappl. Der steirische Haubenkoch ist seit Oktober kulinarischer Direktor aller Hotels der Harisch-Gruppe; die umfasst etwa die Luxushäuser „Weißes Rössl“, „Schwarzer Adler“, „Goldener Greif“, „Lebenberg“ und andere. Mit der neuen Reiseverordnung im Nachbarland Deutschland hat sich aber auch dieser Weg erledigt, denn viele Zweitwohnsitze bleiben leer. „Es ist keiner mehr da“, sagt der Steirer.

Der Katastrophenwinter scheint perfekt, bis März wird die Hotellerie nicht aufsperren. Selbst die Kitzbüheler Bergbahnen erwägen, den Betrieb vollends einzustellen. Denn von Gedränge oder Schlangen an Tagesgästen, die ihren Hunger nach Skifahren stillen, ist in Kitzbühel nichts zu sehen. Die Bahnen aufs Horn, rund um Jochberg und auch Richtung Paß Thurn wurden entweder ganz oder großteils eingestellt. Der Blick in die Zukunft ist trüb: „Im Fünf-Stern-Bereich halten wir bei rund einem Prozent Vorbuchungen“, sagt Kleinhappl. Kein Wunder, dass Christian Harisch, Chef der Gruppe und seit Oktober auch wieder als Tourismusverbands-Obmann aktiv, poltert: „Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem man die Verhältnismäßigkeit all dieser Maßnahmen hinterfragen muss, auch wenn der Mainstream derzeit eindeutig dahin geht, alles zuzusperren und alle einzusperren.“

Martina Feyrsinger und Jürgen Kleinhappl  - sie leiten den "Neuwirt" im "Schwarzen Adler", der Steirer ist auch kulinarischer Direktor der Harisch-Gruppe
Martina Feyrsinger und Jürgen Kleinhappl - sie leiten den "Neuwirt" im "Schwarzen Adler", der Steirer ist auch kulinarischer Direktor der Harisch-Gruppe © Privat

Johannes Mitterer beherbergt im „Kitzhof“ das österreichische Team, war einst auch Chef der Tenne. „Die Ruhe ist gewöhnungsbedürftig, wir können uns ganz dem Wohl des Skiteams widmen.“ Das, die volle Aufmerksamkeit für den Sport, sei gar nicht unbedingt schlecht: „Die Sportler waren zuletzt oft nur noch die Garnitur für das gesellschaftliche Party-Treiben und das wirtschaftliche Netzwerken. Es war schon ,too much‘“, sagt der Kärntner. Das Rennen wird auch nicht das Problem sein, die Sorgen hat die Hotellerie. Kleinhappl schätzt, dass die meisten Hotels einen Totalausfall des Winters – noch – überleben würden. „Aber zweifellos wird es zu einer Bereinigung kommen.“ Man müsse sich noch mehr am Ganzjahrestourismus orientieren, sagt er.


Zukunftsmusik. Die Gegenwart heißt Corona und die Hahnenkammrennen, die selbst die Einheimischen nur via TV erleben. Aber sie sind willkommene Abwechslung im eintönig gewordenen Winter, der außer dem Genuss der landschaftlichen Schönheit wenig Ablenkung bietet. Das Rennen ohne Zuschauer, ohne den zum „Hahnenkamm-Roar“ geadelten Lärmpegel im Ziel, den Zeitpunkt, in dem alle Fans unterschiedlichster Art für einen kurzen Moment eins wurden – was heißt das? „Ich habe eine Prioritätenliste. Da ist es wie in der Oper: Die Athleten stehen ganz oben, aber auch die Zuschauer gehören an sich dazu“, sagt Michael Huber. Er ist Präsident des Kitzbüheler Skiklubs KSC – und damit der OK-Chef der Rennen.

Der Kandidat für die Nachfolge von ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel will aber seine Zeit nicht mit Lamentieren vergeuden: „Mein Credo ist: nicht jammern. Wir sollten froh sein über das, was wir haben.“ Man entschied sich früh, die Rennen organisieren zu wollen, „das steht ja auch so in den Statuten unseres Klubs“, sagt Huber. Ebenso früh war klar, dass die VIPs diesmal kein Zelt haben, erst sehr spät war klar, dass es die Rennen dann wirklich gibt, nach Coronafällen mit dem mutierten Briten-Virus in Jochberg wackelte im letzten Moment noch alles. Eher stellte sich ihm die moralische Frage: „Darf man das Rennen machen, wenn alle daheim hocken?“

Früher, sagt Huber, sei der Jänner in den Bergen der dunkle Monat gewesen, „nicht umsonst feiert man Anfang Februar Lichtmess, die Rückkehr des Tageslichts.“ Insofern seien die Rennen Ausdruck des Lichts am Ende des Tunnels. „Wir dürfen das machen, wir haben auch eine Rolle. Es gehört zur Sportkultur, wir wollen ein Signal der Hoffnung und Normalität geben.“ Für die Zukunft, wenn alles wieder normal ist – und wenn Kitzbühel in der Hahnenkamm-Woche um 19 Uhr wieder erwacht, statt sich dem Dunkel zu ergeben.