In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Henne oder das Ei zuerst da war, nicht. Kitzbühel existierte lange vor dem ersten Skirennen auf dem Hahnenkamm. Und das gar nicht schlecht, was es schon einmal grundlegend von dem einen oder anderen Ski-Retortenort unterscheidet. Kitzbühel, das war ein gewachsenes Bergbaustädtchen. Eines, dem es gut ging. Silber und Kupfer wurden abgebaut – doch irgendwann gingen die Vorräte zur Neige. „Und dann“, sagt Michael Huber, „waren wir auf einmal arm wie eine Kirchenmaus.“ Huber ist Präsident des Kitzbüheler Skiclubs (KSC) und als solcher auch „Vorsitzender des Organisationskomitees“ der „Internationalen Hahnenkammrennen Kitzbühel“. Womit man der Frage nach dem Ei oder der Henne doch wieder näher kommt. Denn Tatsache ist: Als Silber und Kupfer zur Neige gingen, fand man das weiße Gold.

Michael Huber, KSC-Präsident
Michael Huber, KSC-Präsident © GEPA pictures

Kitzbühel wurde zur Marke. Fragt sich nur, ob es das auch ohne das jährliche Spektakel in der Gamsstadt geworden wäre. Ohne den Skisport und den Tourismus mit Sicherheit nicht. Zum Glück ist das aber ohnehin durch eine Person miteinander verbunden: Franz Reisch, den Ski- und Tourismuspionier, der beides in die Gamsstadt brachte. Ein „Marketing-Genie und Netzwerker“, sagt Huber. Und weiter: „Wir bekommen die Frage oft gestellt, ob nun die Rennen für Kitzbühel oder Kitzbühel für die Rennen wichtiger sind. Wer steht höher? Wer braucht wen zur Identifikation?“, sagt Huber, selbst Skihistoriker. „Die Antwort wäre eine lange – es gibt eine neue Dokumentation, die dieser Frage auch über 50 Minuten auf den Grund geht“, erklärt er, zu sehen ist diese heute um 20.15 Uhr im ORF.

Mit den Rennen verflochten

Die Kurzfassung: Beides bedingt einander, keines wäre ohne das andere komplett. Auch und nicht zuletzt durch und mit der Identifikation der Bevölkerung. Eine „qualifizierte Mehrheit“, sagt Huber, stehe hinter den Rennen. 80 Prozent der Bevölkerung sei sogar direkt oder indirekt mit den Rennen verflochten. Und kaum ein Kitzbüheler, der auf Reisen durch die Welt nicht seine Herkunft als „aus dem Ort mit den berühmten Hahnenkammrennen“ beschreibt.

Zum 80. Geburtstag, „für eine klassische Sportveranstaltung ist das doch das beste Alter“, sagt Huber, blicke er natürlich zurück. Für sich hat er die Geschichte des Mythos in Zehn-Jahres-Schritte eingeteilt. In die ersten Rennen in den 30er-Jahren, als man schon vom Klubrennen nach Höherem strebte, internationale Rennen veranstaltete und nach der richtigen Strecke suchte. Die 40er, mit dem Krieg als Zäsur. Aber schon sechs Monate nach Kriegsende wurde wieder ein Hahnenkammrennen veranstaltet. Die 50er, mit dem Kitzbüheler „Wunderteam“ rund um Toni Sailer und Anderl Molterer. Auch eine Art Zäsur, weil es diese Kaliber waren, die durch ihre Klasse die besten Läufer anderer Länder nach Kitzbühel lotsten. Die 60er mit der Revolution des Materials (Plastikschuhe statt Lederschuhe, Fiberglas-Ski statt Holzski) und den TV-Übertragungen als „Treibstoff“ für weitere Höhenflüge. Die Massen, die nach Kitzbühel strömten, in den 70ern und 80ern, in Franz Klammers Zeiten. Die 90er- und 2000er-Jahre, in denen sich Kitzbühel noch einmal revolutionierte, vonseiten der Veranstaltung her. Das waren die Jahrzehnte, in denen das Rennen zur weltweiten Marke wurde. „Niemand“, sagte der US-Amerikaner Daron Rahlves, selbst zweifacher Sieger, einmal, „kennt in den USA den Weltcup. Aber alle kennen Kitzbühel. Das ist das Rennen, das du gewinnen willst!“

Es war die Zeit, in der die Abendveranstaltungen, ob Weißwurstparty oder die „Kitz Race Night“ im feudalen, riesigen VIP-Zelt, Einzug hielten. Die Jahre, in denen Society-Reporter den Sport zur Nebensache machten. Kitzbühel wurde zum „Monte Carlo des Skisports“, hier traf sich Reich und Schön – mit Arnold Schwarzenegger und Formel-1-Boss Bernie Ecclestone als Zugpferd.

Der Sport steht im Mittelpunkt

Trotzdem sieht man in Kitzbühel kein Ungleichgewicht. „Der Sport steht eindeutig im Mittelpunkt, die Balance zwischen Society-Event und Sportereignis stimmt“, sagte Bürgermeister Klaus Winkler zum Start in die Woche. Um dem Rechnung zu tragen, verzichtete der KSC auch auf Extras zum Jubiläum. Keine Gala, wie zum 75. Geburtstag, wurde organisiert, stattdessen wurde das Preisgeld, vorerst einmalig, kräftig angehoben. 750.000 Euro werden ausgeschüttet, derjenige, der am Samstag die Streif am schnellsten bezwingt, erhält immerhin 100.000 Euro, so viel wie nie zuvor bei einem Skirennen.

Das „kaufmännische Talent“, das Huber als Grundlage für den Erfolg nennt, wird auch in Zukunft Schlüssel sein, um die Positionierung des Rennens zu halten. „Wir müssen liefern. Der Name ist gut, aber wenn es drei Jahre nicht gut geht, bist du in der heutigen Zeit weg“, weiß Huber. Die Partner haben hart daran gearbeitet, den Standard zu erhöhen. Bestes Beispiel: die künstliche Beschneiung der Piste durch die Bergbahnen, die seit zwei Jahren schon im Oktober für Schlagzeilen sorgen, wenn sie ein weißes Band aus „gelagertem“ Vorjahresschnee ausrollen und dafür gescholten werden.

Für Kitzbühel ist all das wichtig. Skisport, Tourismus, Hahnenkammrennen und Zuzug der Wohlhabenden ins „Paradies“ (Huber) sichern Wohlstand und lassen Immobilienpreise steigen. Attraktivität hat eben auch Schattenseiten. Ein Beispiel: Just zu den 80. Hahnenkammrennen ist ein besonderes Objekt zu erstehen: Die „Villa Streif“, direkt neben der Piste, ist zu haben. Die Kleinigkeit von 10,9 Millionen Euro wäre hinzulegen. Das ist selbst für den einen oder anderen Streif-Sieger zu viel.