Thomas Dreßen liebt die Geschwindigkeit, auch abseits der Skipiste. Doch in den vergangenen Monaten kam sich der beste deutsche Abfahrer manchmal vor, als wäre er im Trabi bei einem Formel-1-Rennen unterwegs. "Ich muss mich erst wieder an den Speed gewöhnen, damit die Piste wieder mein Wohnzimmer wird", sagt er. Denn es ist gerade einmal ein Jahr her, dass Dreßen brutal aus seinem "Wohnzimmer" herausgerissen wurde.

Am 30. November 2018 krachte der Kitzbühel-Sieger bei der Weltcup-Abfahrt in Beaver Creek mit 125 km/h ins Sicherheitsnetz. "Ich höre und lese immer: Kreuzbandriss", sagt er rückblickend über die schwere Verletzung, die er dabei erlitten hatte, "das stimmt schon, aber es war auch Innenmeniskus, Außenmeniskus, Knorpel, Innenband. Es war alles im Arsch!" Auch die linke Schulter.

Zwölf Monate danach

Am Samstag soll Dreßen auf den Tag genau zwölf Monate nach seinem folgenschweren Crash bei der ersten Saisonabfahrt in Lake Louise in seine gute Stube zurückkehren. "Ich freue mich darauf, der Schnee in Nordamerika taugt mir brutal", sagt er. Allerdings wird sein Comeback von einigen Fragezeichen begleitet.

Körperlich sei er zwar "topfit", betont Dreßen. Doch der schwer lädierte Meniskus zwickt immer wieder, Dreßen spricht von "Baustellen im Knie". Sein Ziel sei es, wieder zurück an die Weltspitze zu kommen, meint der 26-Jährige, "aber wann das funktioniert, kann ich nicht sagen". Doch die Öffentlichkeit verlangt Erfolge von ihm.

"Das Etikett 'Kitzbühel-Sieger' ist für Thomas eine richtige Belastung", sagt DSV-Alpinchef Wolfgang Maier, "es herrscht ein extrem hoher Erwartungsdruck." Maier und das neue Trainerteam um Chef Christian Schwaiger sowie Abfahrtscouch Andi Evers treibt die Sorge um, dass Dreßen daran zerbrechen könnte. Deshalb steuern sie gegen.

Eine Comeback-Saison

"Wir sehen es als reine Comeback-Saison", sagt Maier, "ob Christian, Andi oder ich: Wir haben komplett die Ruhe, weil wir um die Heftigkeit der Verletzung wissen." Dreßen sei "ein viel zu wertvoller Athlet für die Zukunft, um ihn zu verbrennen", betont er. Dreßens Bedeutung als Aushängeschild für den Deutschen Skiverband ist nach dem Rücktritt von Felix Neureuther sogar noch gestiegen. "Es ist unsere Strategie, ihn behutsam aufzubauen", sagt Maier deshalb, "dann wird er halt nur 20. oder 25."

Die jüngsten Trainingseindrücke sind durchaus vielversprechend, noch aber fehlt Dreßen die Konstanz auf hohem Niveau. Als Saisonziel gibt Maier einen Platz unter den besten 15 der Abfahrtswertung aus, "das wäre die Basis, dass er in den nächsten drei großen Saisons um die Medaillen fahren kann".

Dass Dreßen dazu nach wie vor in der Lage ist, bezweifelt niemand im Verband. Und die Schmerzen im Knie? "Beim Rennen beißt du die Zähne zusammen", sagt er. Dreßen kann es kaum abwarten. Abfahrer zu sein, der Geschwindigkeitsrausch bei halsbrecherischen 130 km/h auf völlig vereister Piste, "das ist meine Leidenschaft, mein Leben", sagt er, "ohne kann ich nicht".