Im Sommer kamen Hannes Reichelt die Tränen. Es war beim Versuch, den beim Fußballspielen verletzten Fuß in den Skischuh zu zwängen. Die Kapselverletzung und eine Absplitterung des Knochens machten das unmöglich. „Das hat so wehgetan“, erzählt Reichelt, der immerhin mit einem Bandscheibenvorfall die Abfahrt in Kitzbühel 2014 gewonnen hat. „Das war ein Wahnsinn.“ Die Folge: Reichelt musste das Trainingslager in Chile absagen – und bekam von Ehefrau Larissa („Frau Doktor“, wie er sie nennt) Fußballverbot.

Es war die Zeit, in der dem Salzburger aber klar wurde, dass er auch mit 38 noch nicht genug vom Weltcup hat. Zwei Saisonen plant er zumindest noch, mit 40 will er noch dabei sein im Weltcup. Das natürlich im Idealfall erfolgreich, „aber wenn ich den Zeitpunkt versäume, an der Spitze aufzuhören, kann ich es auch nicht ändern“. Klar ist: Auch die erfreuliche Mitteilung, dass das Ehepaar Reichelt-Hofer im Frühjahr („Aber bitte fragt mich nicht nach dem genauen Termin und danach, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird – ich werde es euch dann samt Namen sagen, wenn es so weit ist“) erstmals Nachwuchs erwartet.

Heute steht im Super-G von Gröden (12 Uhr/live ORF eins) einmal Weltcuprennen Nummer 275 auf dem Programm – mit 44 Podestplätzen und 13 Siegen ist der Radstädter einer der erfolgreichsten Aktiven. Den allerersten dieser Podestplätze erfuhr er just in Gröden; vor nahezu unglaublichen 16 Jahren. 2002 war er direkt von einer Europacup-Abfahrt in Laax (bei der es damals übrigens einen Fünffach-Sieg für Österreich gab, Reichelt aber nur auf Platz 22 kam) nach Südtirol angereist. Und prompt fuhr er mit Startnummer 35 auf Platz zwei hinter dem Schweizer Didier Defago und vor dem Liechtensteiner Marco Büchel. Ein Podestplatz, der ihn nicht einmal sechs Wochen danach auch zur WM 2003 nach St. Moritz brachte.

Den Spaß am Beruf hat Reichelt in diesen 16 Jahren nicht verloren. Auch wenn sich einiges geändert hat, wie er sagt: „Die anderen Nationen haben aufgeholt, die Dichte in der Abfahrt ist enorm. Und man kann es sich nicht eine Sekunde leisten, nicht 100 Prozent zu geben“, sagt Reichelt. So sehr hat die Professionalität zugenommen, dass ihm vor allem ein großer Unterschied auffällt: „Heute steht man weniger an der Bar als früher“, sagt er und lacht dabei. Die Begründung: „Die Erholung wird immer wichtiger, da streicht man das Getränk“, erklärt der Routinier.
Was sich nicht wesentlich geändert hat? Die Sicherheit für die Läufer, bemängelt der Athletensprecher. Er bemängelt die träge Reaktion der Entscheidungsträger genauso wie die fehlende Bereitschaft der Verbände auf Veränderung. Beispiel: „Ich habe der FIS vorgeschlagen, dass wir dickere Anzüge mit anderen Schnitten und Protektoren bekommen. Aus einem Einheitsmaterial. Aber passiert ist nichts, stattdessen kam eine schnittfeste Unterwäsche, die nicht atmungsaktiv ist.“

Den Spaß will sich Reichelt dadurch aber nicht nehmen lassen. Oder besser: den Nervenkitzel, den man spürt, wenn man sich in Kitzbühel aus dem Starthaus wuchtet. „Das ist es, was den Sport ausmacht. Nicht die 70.000 Euro, die der Sieger bekommt. Das ist ohnehin zu wenig – denn international interessant ist ein Sport, wenn es um viel Geld geht.“ Auch wenn er einschränkt, dass man eben auch nicht des Geldes wegen Kopf und Kragen riskiert. „Das“, sagt er, „tut man wegen der 50.000 Zuschauer im Ziel von Kitzbühel. Das ist einfach cool.“