Blickt man auf die Liste der Grand-Slam-Sieger, so lässt sich eines glasklar herauslesen: Der prophezeite Generationenwechsel im Herren-Tennis wurde auf unbestimmte Zeit abgeblasen. Obwohl die Herren Roger Federer (39), Rafael Nadal (35) und Novak Djokovic (34) bereits zum alten Tennis-Eisen zählen, haben sie die Szene nach wie vor im Griff. Einzig Dominic Thiem konnte seit den Australian Open 2017 die Phalanx der großen Drei mit seinem Triumph bei den US Open durchbrechen. Ein toller Erfolg, aber: Federer und Nadal waren nicht dabei und Djokovic sah im Achtelfinale nach einem Blackout die Rote Karte.

Auch beim am Montag startenden Rasenklassiker in Wimbledon führt der Weg zum Sieg über einen aus dem genannten Trio, nämlich Djokovic. Für den Serben, für den es am Montag gegen Jack Draper losgeht, steht an der Church Road viel am Spiel. Kann sich der Titelverteidiger seine sechste Krone im Tennis-Mekka sichern, würde er mit seiner 20. Grand-Slam-Trophäe mit Federer und Nadal gleichziehen. Zudem würde der „Djoker“ die Chance auf den Golden Slam wahren. Also den Sieg bei allen vier Major-Turnieren sowie Olympia-Gold innerhalb einer Saison. Dieses Bravourstück ist bei den Herren noch keinem geglückt, bei den Damen schaffte dies Steffi Graf im Jahr 1988.

Abschied nehmen heißt es hingegen wohl von Federer. Zwar hat der Schweizer, der gegen den Franzosen Adrian Mannarino startet, Wimbledon 2021 als sein letztes großes Ziel auserkoren, doch scheint der neunte Titel für den Maestro außer Reichweite. Nach seinen beiden Knieoperationen bremsen den Eidgenossen fehlendes Training, fehlende Matchpraxis und das fortgeschrittene Alter ein. Natürlich sollte man einen Federer nie abschreiben, doch zwei Wochen Tennis auf allerhöchstem Niveau ist dem „Nice Guy“ der Tennisszene wohl nicht mehr zuzutrauen.

Kreis der Herausforderer ist überschaubar

Also wer soll Djokovic dann stoppen? Rafael Nadal (muss sich schonen) und Dominic Thiem (Handgelenksverletzung) bestimmt nicht. Zu 99-prozentiger Sicherheit auch nicht Dennis Novak, der als einziger Österreicher im Bewerb gegen Steve Johnson beginnt. Bleiben also nicht allzu viele Namen übrig: Möglicherweise Daniil Medwedew, vielleicht Alex Zverev, unter Umständen Stefanos Tsitsipas. Oder, wenn es ganz verrückt läuft, irgendein brachialer Aufschläger a la Kevin Anderson, der sich 2018 bis ins Finale schoss.

Die Antwort auf oben gestellte Frage: Djokovic kann sich wohl nur selbst stoppen. Entweder, weil er einem Zuschauer einen Ball auf den Kopf pfeffert oder beim Seitenwechsel mit einem Bein am Netzpfosten hängen bleibt und sich das Knie verdreht oder eine Erdbeere schlemmt, deren längst abgelaufene Sahne ihm den Magen verdirbt. Dies alles ist dem Superstar natürlich nicht zu wünschen. Es soll viel mehr die Deutlichkeit seiner Favoritenrolle unterstreichen. Auch, wenn „Nole“ im Vorfeld erklärte, dass jeder Grand Slam so wäre, „als würde man den Mount Everest erklimmen.“

Kampfansage an die ATP

Dass ausgerechnet Djokovic auf Kurs ist, der beste Spieler aller Zeiten zu werden, dürfte den Verantwortlichen der ATP so manche Sorgenfalten auf die Stirn treiben. So ist es doch der Serbe, der mit der Gründung der Spielergewerkschaft PTPA für kräftigen Gegenwind sorgt. Ziel des 84-fachen Turniersiegers ist es, die Bedingungen für sämtliche Spieler zu verbessern und für eine gerechtere Preisgeldverteilung zu sorgen. Das kommt bei vielen Kollegen gut an. Laut Djokovic hätten bereits 75 Prozent der Top 500 bei der PTPA unterschrieben. Man darf gespannt sein, wie dieses Match ausgeht.