Herr Bresnik, es ist in letzter Zeit ruhiger um Sie geworden. Wie geht es Ihnen?
GÜNTER BRESNIK: Wenn ich mich nicht gerade auf dem Tennisplatz herumärgern muss oder mich Altlasten quälen, grundsätzlich ganz gut, danke.

Apropos Altlasten – Wolfgang Thiem hat kürzlich in einem Interview erklärt, sein Sohn Dominic wäre früher hinsichtlich Erwartungen von seinem Umfeld kleingehalten worden.
BRESNIK: Ich glaube, bei Dominic ist in seiner Entwicklung nicht viel falsch gemacht worden, die jeweils aktuelle Situation wurde nie falsch eingeschätzt. Nur muss man zwischen interner Kommunikation und dem, was nach Außen getragen wird, unterscheiden. Das ist Teil einer Strategie. Nach seinem ersten Turniersieg in Nizza und dem ersten Paris-Halbfinale habe ich stets gesagt, dass Dominic bei jedem Turnier zu den Favoriten zählt – da war von Tiefstapeln also keine Rede.

Bleiben wir bei Dominic Thiem - was trauen Sie Ihrem ehemaligen Schützling bei den US Open noch zu?
BRESNIK: Flushing Meadows war schon immer eines seiner Lieblingsturniere. Dazu kommt, dass da sein Geburtstag reinfällt, das hat ihm auch stets getaugt. Dominic hat in New York auch immer gut gespielt, auch wenn man ihm das nicht zugetraut hat. Für mich war das immer Schwachsinn, weil sein Spiel nicht nur für Sand, sondern auch für Hartplatz prädestiniert ist.

Das klingt alles so, als könnte es noch weit gehen.
BRESNIK: Dominic ist die Nummer drei der Welt. Die Nummern eins und sechs sind bereits draußen, die Nummern zwei und vier waren heuer nicht dabei – bleiben also nicht mehr viele übrig. Und von den Verbliebenen ist er definitiv der beste Tennisspieler. Das hat man auch in den letzten Partien gesehen. Der junge Auger-Aliassime war Dominic in allen Belangen unterlegen – doch war da nicht die Erfahrung ausschlaggebend. Da hätte etwa Cilic mehr gehabt als Dominic, doch konnte der körperlich nicht mithalten, ist zu langsam und zu schwer.

Und wie steht es im Viertelfinale mit Alex de Minaur?
BRESNIK: Natürlich kann immer etwas passieren, aber prinzipiell ist das so, als wenn ein Federgewicht auf ein Schwergewicht trifft.

Kann Dominic bei diesem Turnier denn überhaupt noch wer gefährlich werden?
BRESNIK: Andrej Rublew und Denis Shapovalov können, wenn sie einen Lauf haben, Dominic definitiv ärgern, Daniil Medwedew vielleicht. Von Alex Zverev bin ich hingegen wie bereits im Vorjahr nach wie vor enttäuscht, er entwickelt sich nicht weiter.

Die Disqualifikation von Novak Djokovic hat die Tenniswelt erschüttert und spielte dem Rest des Feldes natürlich in die Karten.
BRESNIK: Es schien alles auf ein Finale zwischen Djokovic und Dominic hinauszulaufen. Aber wenn Leute besonders gut und erfolgreich sind, ist da oft eine gewisse Geringschätzung gegenüber anderen. Das ist eine Überheblichkeit, die ich nicht mag. Und als Branchenprimus darf ich mir so etwas definitiv nicht erlauben. Djokovic war der einzige im Raster, der Dominic ebenbürtig ist. Ich sage das bewusst so, denn für mich war Dominic bereits im Australian-Open-Finale der bessere Spieler. Nur ist es so, dass Dominic nie etwas beim ersten Mal macht. Er braucht immer ein paar Anläufe. Das war bei seinem ersten Turniersieg so und bei seinem ersten Super-9-Titel. Und bei den Grand Slams ist es nun eben wieder so.

Als Favorit hat man auch einen gewissen Druck.
BRESNIK: Natürlich stellt sich die Frage, wie Dominic jetzt mit der Favoritenrolle umgehen kann. Für ihn ist das alles nicht so leicht –er ist hinsichtlich Dominanz der großen Drei in die denkbar ungünstigste Tenniszeit geboren worden. Andererseits hat er sie alle auf fast allen Belägen bereits geschlagen. Das kann kein anderer Spieler von sich behaupten. Er wird in seiner Karriere sicher nicht wie ein Roger Federer 20 Grand Slams gewinnen, aber an bestimmten Tagen hat er definitiv die Qualitäten der großen Drei.

Auch, wenn er diese manchmal vor allem zu Beginn eines Turnieres etwas vermissen lässt.
BRESNIK: Dominic ist schlecht in das Turnier gestartet, trotzdem reicht es bei „best of five“ gegen solche Spieler immer. Die Sätze zwei und drei gegen Auger-Aliassime waren hingegen schon auf sehr hohem Niveau. Dominic ist der Spieler, der nach den großen Drei den größten Anspruch auf einen Grand-Slam-Titel hat. Und ich kann mich nur wiederholen: Er steht in New York körperlich, technisch und spielerisch über allen anderen Spielern.

Der große Traum vom ersten Grand-Slam-Titel lebt also.
BRESNIK: Seit er auf er Tour ist, ist sein Fokus nur darauf gerichtet. Das hat sich auf seiner Platte eingebrannt.

Die US Open werden von strengen Corona-Sicherheitsvorkehrungen geprägt. Welchen Einfluss hat das auf die Spieler?
BRESNIK: Ich kann die vielen Absagen nicht nachvollziehen. Wenn ich bei so einem Turnier nicht dabeisein will, bin ich der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen. Trotzdem ist das Turnier natürlich sehr eigenartig. In einem Stadion, dass 22.000 Zuschauer fasst, alleine zu spielen, ist schon sehr befremdend. Vor allem, weil alle Spieler die große Bühne brauchen.