Nicht weniger als 26 Tage hat Jürgen Melzer nach seinem Zweitrunden-Aus bei den French Open in Paris wegen seiner Rückenverletzung kein Turniermatch mehr gespielt. Für eine Wildcard bei den Vorbereitungsturnieren in der Woche vor Wimbledon ist es zu spät gewesen und nun hat dem Weltranglisten-Elften der Regen in England auch ein Testmatch gegen den Tschechen Tomas Berdych verpatzt. Melzer trifft am Dienstag zum Auftakt seines zehnten Wimbledonturniers auf den Kolumbianer Alejandro Falla. Im Vorjahr hatte sich Melzer erst in seinem ersten Achtelfinale auf dem "heiligen" Rasen dem Schweizer Superstar Roger Federer beugen müssen, doch Melzers diesjähriger Erstrundengegner hätte dies vor einem Jahr beinahe verhindert. Denn Falla hatte in der ersten Runde gegen Federer die Sensation auf dem Schläger, führte mit 2:0-Sätzen und hatte bei 4:4 und 0:40 drei Breakbälle gegen den Eidgenossen. Auch im vierten Satz hatte der Südamerikaner eine 5:3-Führung ausgelassen.
"Eingerostet"
"Er ist einer, der weiß, wie man auf Rasen spielt. Er bewegt sich sehr gut, und ist als Linkshänder unangenehm. Wenn man gegen Roger 2:0-Sätze führt, weiß man auch, wie man hier zu spielen hat", ist sich Melzer bewusst, dass der nur dank einer Wildcard im Hauptbewerb befindliche Falla (ATP-88./war bei Nennschluss nicht im Hauptfeld-Anm.) durchaus gefährlich sein kann. Vor etwas mehr als einem Jahr in Miami hatte sich Melzer glatt in zwei Sätzen gegen Falla durchgesetzt. Nun ist Melzer möglicherweise doch etwas "eingerostet" nach der unerwünschten Pause. "In einem "best-of-five"-Match hat man aber doch ein bisserl Zeit. Ich hoffe, dass ich gut reinstarte und dann wird das schon klappen", sagte Melzer. Den erhofften Test unter ernsten Bedingungen zumindest bei einer Exhibition in London hat er nicht bekommen, auch trainieren konnte Österreichs Sportler des Jahres nur wenig. "In England kann das einmal so sein. Es ist halt ein bisschen bitter, weil ich gehe ohne Matchpraxis in das Turnier."
Seinem zuletzt angeschlagenen Rücken geht es laut Melzers Aussagen "super". An Punkte und Weltrangliste will er aber nicht denken. "Ich bin jetzt echt froh, dass ich wieder trainieren und normal spielen kann." Die Theorie, dass man gerade für Rasen gar nicht unbedingt so viel Vorbereitung braucht, teilt er nicht vollständig. "Aber wenn man zu lange (auf Rasen-Anm.) spielt, verliert man den Rhythmus, weil es eben keinen Rhythmus auf dem Belag gibt." Den Rhythmus brechen kann freilich auch das Wetter und das ewige Warten. Ein bisschen hat Melzer dem heuer ein Schnippchen geschlagen, weil er heuer erstmals in einem Haus in Wimbledon wohnt, von wo er nur knapp zehn Gehminuten zur Anlage hat. "Das wirklich Angenehme ist, dass du dir den Verkehr ersparst", erklärte Melzer.
"Freue mich auch auf das Doppelspielen"
Durch die Verletzungspause geht der Deutsch Wagramer aber wohl besonders "hungrig" ins Turnier, in dem er im Gegensatz zu den French Open natürlich auch wieder Doppel spielt. Mit seinem deutschen Freund Philipp Petzschner ist er ja aktueller Wimbledonsieger. "Ich freue mich auch auf das Doppelspielen, weil ich einfach wieder Freude habe, am Platz zu stehen." Eine Zusatzmotivation gibt der Blick auf jene Wand, auf der die Sieger eingraviert werden. Dort ist in goldenen Lettern nun auch sein Name zu finden. "Klar will man als Vorjahressieger im Jahr darauf so weit wie möglich", gesteht Melzer. Mit Wimbledon beginnt für den 30-jährigen Niederösterreicher quasi die zweite Jahreshälfte, nur 25 Punkte fehlen ihm auf den derzeit zehntplatzierten Andy Roddick (USA). Allerdings hat er vom Wimbledon-Achtelfinale 2010 auch 180 Punkte zu verteidigen. In den ersten sechs Monaten des Jahres hat ihm zudem die Gesundheit mehrmals ein Schnippchen geschlagen.
Neben der Rückenverletzung, die ihn seit dem Sandplatz-Turnier in Rom Anfang Mai gequält hat, war auch ein für ihn gewohntes Herzrasen verstärkt aufgetreten. Es klingt gefährlicher als es ist, weil Melzer das Problem der plötzlichen eklatanten Pulssteigerung bis auf 210 (!) schon lange hat und kennt. "Es ist irgendwie so ein doppelter Herzschlag, ich habe dann wie eine extra Leitung. Um es wirklich zu beheben, brauche ich es dokumentiert", erklärt Melzer. Darum hat er immer ein kleines Kästchen mit auf dem Platz. Nach einer erfolgten Aufzeichnung könnte man das Problem mit einem Eingriff über die Leiste beheben. Allerdings müsse es dann nicht unbedingt besser werden, weiß Melzer, der einen Fall kennt, bei dem es sich verschlechtert hat. "Mein Vater hat es auch, ich kenne es. Komisch war, dass ich es normalerweise einmal im Jahr habe, heuer war es zweimal hintereinander. Das hat alle beunruhigt. Ich war wahrscheinlich der Ruhigste, weil ich weiß, was ich zu tun habe, damit es weggeht."