3500 Kilometer in 22 Tagen – Herr Haller, wie haben Sie sich auf Ihren vierten Tour-Start vorbereitet?

Marco Haller: Ich habe von meinem Team Katjuscha einen Trainingsplan erhalten. Die letzten Tage wurden wir noch einmal voll gefordert. Ich bin wohl alle Berge in der Umgebung abgefahren. An einem Tag waren 3000 Höhenmeter in fünf Stunden dabei. Die Hitze machte das nicht einfacher.

Vor der Tour de France haben Sie schon den Giro d’Italia bewältigt. Wie verkraftet Ihr Körper so eine Belastung?

Vergangenes Jahr bin ich ja wegen meiner Verletzung (Kniescheibenbruch, Anm.) praktisch gar nicht gefahren, heuer hatte ich erst 26 Renntage. Außerdem fahre ich ja nicht um den Gesamtsieg. Ein Zeitfahren bedeutet da beispielsweise aktive Erholung, da gilt es, so kräfteschonend wie möglich das Ziel zu erreichen.

Sie haben es angesprochen: Nach Ihrem Unfall im Vorjahr haben Sie 2018 die Tour verpasst. Gibt es noch Nachwehen?

Der linke Oberschenkel ist merklich dünner. Nach dem Giro musste sich das Team um Georg Lajtai im Altis-Zentrum eine Woche intensiv um mich kümmern. Ohne sie wäre an Rennen gar nicht zu denken.

Ihre Gedanken vor dem Grand Depart der Tour in Brüssel?

2018 habe ich die Tour vom Streckenrand aus verfolgt. Da wurde mir erst klar, wie imposant das Unternehmen Tour de France wirklich ist.

Marcel Kittel, lange Top-Sprinter im Team, hat sich zurückgezogen. Ein Problem?

Es gibt keinen arrivierten Leader, stimmt. Ilnur Zakarin wird auf Flachetappen bewusst Zeit verlieren. Ich hoffe sogar, dass ich mich mithilfe meines Teams in Szene setzen kann. Vielleicht bin ich einmal in einer Spitzengruppe und es passiert sogar etwas Verrücktes.

Womit spekulieren Sie?

Ich will nicht größenwahnsinnig klingen, aber 80 Prozent der Fahrer stehen am Start und hoffen darauf, dass einmal etwas nicht nach Drehbuch läuft. Wichtig ist der Kopf. Und ich brenne auf die Tour.

Wer gewinnt die Tour?

Am Team Ineos mit seiner Doppelspitze (Egan Bernal und Vorjahressieger Geraint Thomas, Anm.) führt kein Weg vorbei.
Der Promi-Faktor bei der Tour war schon größer. Ein Problem?
Nur weil Chris Froome fehlt? Es tut mir wirklich leid für ihn, aber dem Radsport schadet das sicher nicht. Vielleicht nützt ein anderer diese Chance.

Top-Sprinter Mark Cavendish wurde nicht nominiert ...

Es wird auch so einen großen Kampf ums Grüne Trikot geben, ich rechne überhaupt mit einer spannenden Tour. Persönlich tut es mir nur leid, dass Bernie Eisel nicht fährt. Das fühlt sich irgendwie falsch an.

Stichwort Streckenprofil: Wann wird es erstmals richtig haarig?

Auf der sechsten Etappe. Wenn da noch 20 bis 30 Leute glauben, im Gesamtklassement mitreden zu können, könnte es für Sprinter wie mich eng werden. Da herrscht dann Alarm, dass man innerhalb des Zeitlimits bleibt.

Sie sind, wie Bernhard Eisel, zu einer wichtigen Stütze des Teams gereift, seit 2012 bei Katjuscha. Ihr Erfolgsgeheimnis?

Im modernen Radsport darf man das schon als Ausnahme sehen, ich arbeite schon mit dem dritten General Manager. Und mein Rennprogramm dürfte widerspiegeln, dass meine Arbeit nicht so schlecht sein kann – obwohl der Haller seit zwei, drei Jahren nichts gewonnen hat. Aber ich kümmere mich eben auch um das Team, wenn die Kameras längst aus sind. Bei der Tour de France dabei zu sein – das ist und bleibt einfach die Champions League.

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