Sie sehen ziemlich fit aus. Dabei hatten Sie als Radprofi immer den Ruf, in schlechtem körperlichen Zustand ins Trainingslager zu kommen . . .
JAN ULLRICH: Aber nur zum ersten Trainingslager gleich nach dem Winter. Da bin ich wirklich immer in schlechter Form und übergewichtig angereist. Ich brauchte eben meine Pausen. Nicht nur der Radsport selbst, auch Medienrummel und Sponsoren erforderten viel Kraft. Nach kurzem Training gehörte ich sicher zu den Fleißigsten.

Was bedeutet Talent im Radsport?
ULLRICH: Dazu zählt unglaubliche Ausdauer und Herz-Kreislauf muss perfekt mit der Muskulatur zusammenspielen. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Krampf. Natürlich braucht es auch ständig Entbehrungen. Und dann wäre noch Druck von außen, dem es mental standzuhalten gilt.

Sie sprechen aus Erfahrung. Wie verkraftet man mediale Geißelungen, wie Sie sie erlebt haben?
ULLRICH: Ein Schutzschirm ist extrem wichtig. Ich bin mit Medien aufgewachsen und man gewöhnt sich daran. Teilweise ist es unfair, was berichtet wird, aber ich lese nichts und seh’ mir nichts an. Das funktioniert ganz gut.

Für gewisse Dinge sind Sie jedoch selbst verantwortlich. Bereuen Sie etwas?
ULLRICH: Ja. Die Unfallfahrt unter Alkoholeinfluss, das würde ich nicht mehr machen. Doch Menschen begehen Fehler. Ich bin ein Extrem. Das kann auch etwas Gutes sein. Man wird nicht Tour-de- France-Sieger, wenn man kein extremer Mensch ist. Aber logischerweise bereue ich diese Geschichte. Wichtig ist, dass man aus Fehlern lernt.

Hinsichtlich Doping: In einem Interview mit dem Magazin „Focus“ meinten Sie, dass Sie gezwungen waren, nachzuziehen?
ULLRICH: So habe ich das nicht gesagt. Aber darüber will ich auch nicht mehr sprechen.

Trotz allem: In Deutschland stellt man Sie auf eine Stufe mit Boris Becker und Michael Schumacher. Gefällt Ihnen die Bezeichnung „Legende“?
ULLRICH: Ich denke, ich habe beigetragen, einen riesigen Boom auszulösen. Tony Martin oder Andre Greipel sind durch unsere Ära zum Radsport gekommen. Außerdem gab es in über 100 Jahren Tour de France noch keinen anderen deutschen Sieger. Das habe ich geschafft. Daher denke ich, dass das schon mit einem Wimbledon-Sieg gleichzusetzen ist.

In die Geschichte ging auch das sogenannte Jahrhundert-Duell mit Lance Armstrong ein. War es das?
ULLRICH: Es war eine spannende Zeit und ich höre das ständig. Dann ist man versucht, das zu glauben. Aber als Fahrer selbst bekommt man das nicht so mit.

Haben Sie noch Kontakt zu Armstrong?
ULLRICH: Ja, ja. Ich bin aber immer vorsichtig bei solchen Dingen, da wird schnell etwas falsch interpretiert. Nur so viel: Mir hat er nie etwas getan, sondern war immer fair und respektvoll. Alle reden jetzt, was für ein böser Mensch er ist. Aber er hat Millionen für krebskranke Menschen gesammelt. Wie gesagt, zu mir war er immer fair und deswegen haben wir Kontakt.

Legendär ist die Szene, als sich Lance Armstrong bei der Tour 2001 im Anstieg nach Alpe d’Huez umgedreht hatte und Sie dann sprichwörtlich stehen ließ. Was geht einem da durch den Kopf?
ULLRICH: Ich war damals am Limit. „Den Blick“ habe ich gar nicht so wahrgenommen. Oder den berühmten Spruch „Quäl’ dich, du Sau“ von Udo Bölts. Du bist mitten im Trubel und sowieso mit dir beschäftigt.

Für viele Sportler begann mit dem Karriereende eine schwierige Zeit. Bei Ihnen auch?
ULLRICH: Ich habe ein, zwei Jahre geknabbert. Natürlich hätte ich mir einen Sieg oder ein Abschiedsrennen gewünscht. Doch bei meinem Rücktritt war ich keine 20 mehr – die besten Jahre lagen schon hinter mir.

Fehlt ihnen der Profi-Zirkus?
ULLRICH: Nein. Ich habe alles erreicht. Nur mein Ausstieg ärgert mich. Manchmal erwische ich mich aber, dass ich mitten in der Nacht aufwache und denke, dass ich trainieren muss.

Ihre Verbundenheit zum Radsport haben Sie aber nicht völlig gekappt?
ULLRICH: Überhaupt nicht. Ich veranstalte Rad-Camps und unterstütze Charity-Aktionen. Natürlich bin ich Radsport-Fan geblieben und verfolge jedes Jahr die Tour de France. Ich wollte als Kind unbedingt Profi werden, war also mein Leben lang Radfahrer. Aber jeder Kilometer, den ich jetzt fahre, macht Spaß. Ich liebe diesen Sport, das dreht sich nicht so einfach ins Gegenteil.

Wo hängen ihre Siegertrikots?
ULLRICH: Die sind alle in Kartons im Keller, manche Dinge auch im Safe verstaut. Ich will meine Kinder damit nicht beeinflussen. Sie wissen überhaupt wenig von meinen Erfolgen. Irgendwann möchte ich jedoch ein Museum eröffnen. Es gibt ja nur ein deutsches Tour-SiegerRad. So etwas interessiert die Fans.

Letzte Frage: Lieblingsfarbe?
ULLRICH: Natürlich Gelb. Schon immer. Gelb ist motivierend. Und ich mag Sonnenblumen.

INTERVIEW: MARTIN QUENDLER

Die Stationen Ullrichs:

1994 – Erste große Erfolge: Siege bei Eintages-Rennen in Deutschland und Etappenerfolgen bei kleineren Rundfahrten sichern Jan Ullrich einen Vertrag bei Team Telekom.

1996 – Erste Tour de France: Hinter Bjarne Riis landet der Rostocker bei der Tour-Premiere auf Platz zwei.

1997 – Der große Sieg: Ein Jahr später startet er wieder als Riis-Helfer wurde. Nach einer starken Vorstellung in den Pyrenäen wird er zur Nummer eins im Team erklärt. Ullrich schlüpft ins gelbe Trikot und behält es bis Paris. 1998 siegt aber Marco Pantani, 1999 gewinnt Ullrich die spanische Vuelta.

Ab 2000 – Armstrongs Dominanz: Lance Armstrong triumphiert bei der Tour de France ab 1999 sieben Mal in Folge (wurde später annulliert). Ullrich muss sich drei mal mit dem zweiten Platz begnügen. Bei Olympia in Sydney siegt jedoch Ullrich und holt sich Silber im Zeitfahren.

Lance Armstrong blieb bei der Tour stets vor Ullrich. Noch heute stehen die einstigen Rivalen im Kontakt
Lance Armstrong blieb bei der Tour stets vor Ullrich. Noch heute stehen die einstigen Rivalen im Kontakt © Gepa

2002 – Erste Sperre: Nach einem Autounfall wird er positiv auf Amphetamine getestet und für sechs Monate (soziale Drogen) gesperrt. Ullrich wechselt zum Rennstall Coast (später Bianchi).

2004 – Wieder Telekom: Nach seiner Rückkehr zu Telekom gewinnt er die Tour de Suisse.

2006 – Dopingvorwürfe: Wenige Tage vor der TdF werfen ihm spanische Medien Doping vor. Er wird ausgeschlossen.

2007 – Karriereende: Auf einer Pressekonferenz gibt er Anfang 2007 seinen Rücktritt bekannt.

2012 – Annullierung: Der internationale Sportgerichtshof (CAS) sieht Ullrichs Schuld im „spanischen Doping-Fall“ (Festina-Skandal) als erwiesen an und annulliert alle Resultate ab 2005.

2013 – Focus-Interview:Ullrich gibt erstmals zu, mit Hilfe von Arzt Eufemiano Fuentes Blutdoping begangen zu haben.