Zwei von drei Tour-Wochen liegen nun hinter Ihnen. Stehen Sie eigentlich in der Früh noch gerne auf?

BERNHARD EISEL: Aufstehen geht noch, das einschlafen ist viel schlimmer. Weil einem viel zu viel durch den Kopf geht. Angst die Karenzzeit nicht zu schaffen, Angst zu stürzen und auch Angst krank zu werden.

Ist der psychische Verschleiß also größer als der physische?

EISEL: Eigentlich ja. Körperlich erreichst du irgendwann den Grad, an dem es eh nur mehr weh tut. Damit lernt man umzugehen. Aber die Konzentration aufrechtzuerhalten und immer auf der Hut sein zu müssen, dass nichts passiert, saugt einem wirklich die letzte Energie aus dem Körper.

Wie wirkt man dem entgegen?

EISEL: Schwierig. Am Anfang der Tour weigert man sich, sich damit auseinanderzusetzen. Da blickt man nur von einem Tag zum anderen. In der letzten Woche schaut man aber nur noch voraus. Und versucht sich einzureden, dass es eh nicht mehr so schwer wird. Das funktioniert bei mir nach zehn Teilnahmen aber nimmer. Deshalb hilft nur eines: Schlafen, schlafen, schlafen.

Wie oft haben Sie sich in den letzten Wochen gedacht, das tue ich mir kein elftes Mal an?

EISEL: Einige Male. Aber ich kenn das ja schon. In der ersten Woche herrscht Hektik, in der zweiten fährt man nur auf Anschlag. Trotzdem denkst du dir in der dritten Woche, wenn der letzte Berg hinter einem ist: Es ist einfach das geilste Rennen der Welt.

Für Ihr Team Sky lief es nicht nach Wunsch. Zuerst musste Favorit Christopher Froome aufgeben, mittlerweile steht fest, dass auch Richie Porte keine Chance mehr auf den Gesamtsieg hat. Wie groß ist die teaminterne Enttäuschung?

EISEL: Ehrlich? Wir hatten noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Vermutlich werden wir später die Tour Revue passieren lassen, um zu ergründen, woran es gescheitert ist.
Gerade für Sie als verantwortlichen „Road Captain“ muss der Druck enorm gewesen sein.
EISEL: Und wie! Ich hab mich auf Froome eingestellt, dann kam Plan B mit Porte. Und du weißt ganz genau, das ist die allerletzte Chance.

Die nun aber auch hinfällig ist.

EISEL: Leider ja.

Hatten Sie je das Gefühl, in Ihrer Rolle versagt zu haben?

EISEL: Wenn ich an Froomes Stürzen Mitschuld getragen hätte, wär ich sofort in die andere Richtung abgebogen und weg gewesen. Und vermutlich hätte ich das medial auch nicht überlebt. Denn wenn deine einzige Aufgabe darin besteht, keinen Fehler zu machen, dann darf dir auch keiner passieren. In dem Fall war es Schicksal. Und dass Porte krank wird, ebenso. Zaubern kann ich halt auch nicht.

Vincenzo Nibali wird der Toursieg kaum zu nehmen sein. Ein Sieger, mit dem Sie leben können?

EISEL: Ja, absolut. Er hat es sich definitiv verdient, da er seit 2010 bei jeder großen Landesrundfahrt auf dem Podium war.

Doch auch er wird nun plötzlich in Sachen Doping kritisch beäugt. Wie empfinden Sie das ständige Hinterfragen und Anzweifeln?

EISEL: Das ist pure Angst. Jeder Journalist fängt gleich von Beginn an zu hinterfragen an, um dann im Falle des Falles sagen zu können, ich hab’s ja ohnehin gewusst. Was mich wirklich stört, ist das vorherrschende Ungleichgewicht im Sport. Bei Neymar wird öffentlich überlegt, ob man ihn fürs WM-Finale nicht fit spritzen könnte. Das ist dann völlig normal und interessiert auch keinen sonderlich.

Verliert man nicht irgendwann die Freude, wenn man permanent unter Generalverdacht steht?

EISEL: Nein. Denn 80 Prozent dessen, was medial herumgeistert, basiert doch nur auf Halbwissen. Und das ist bekanntlich das Schlimmste. Ich seh das einfach so.

Worauf freuen Sie sich nun am meisten?

EISEL: Darauf, dass es vorbei ist (lacht). Und auf die Champs-Élysées zu fahren, wo erstmals meine Mutter wartet. Zu der hab ich nämlich gesagt, dass ich mir das sicher keine weiteren zehn Mal antue, damit sie es endlich nach Paris schafft.