Die Coronakrise trifft auch im Spitzensport nicht jeden gleich hart. Die Reaktionen der unterschiedlich belasteten Athleten reichen von Gelassenheit bis zu echten Sinnkrisen, berichtete Sportpsychologe Fritz Weilharter. Bei der Bewältigung sollten negative Gefühle und Ängste unbedingt an- und ausgesprochen werden, Verdrängung sei der falsche Weg, betonte der Experte aus Linz.

"Bei Ängsten geht es darum, dass man sie aussprechen darf und soll. Sonst kommt es zu einer Verdrängung, die löst es nicht, das verstärkt die Ängste nur", erläuterte Weilharter im APA-Gespräch. Gefühle und Emotionen seien ernst zu nehmen. "Die Umwelt kann nicht sagen: Du brauchst keine Angst haben. Das löst Verschärfung aus." Die Verdrängung löse man am besten auf, indem man Settings finde, um sie ansprechen zu können. "Hoffentlich schaffen es viele, dass sie im Gespräch bleiben", meinte Weilharter. Das ist bis auf Weiteres aber nur über digitale Kanäle möglich. "Das ist eine Notlösung. Letztlich ist schon der persönliche Face-to-Face-Kontakt, die direkte Beziehung extrem wichtig."

Fritz Weilharter
Fritz Weilharter © ÖBS

Zwischen Gelassenheit und Sinnkrise

Die aktuelle Situation mit abgesagten Wettkämpfen, eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten, der Ungewissheit über die weiteren Saisonverlauf und auch finanzielle Sorgen führen je nach Biografie der Sportler zu unterschiedlichen psychischen Belastungen. "Es gibt solche, die kommen zur Ruhe und sagen, ich habe Zeit für beispielsweise eine zusätzliche Ausbildung, und bleiben im Trainingsmodus. Manche sind schwer irritiert, weil sie nicht einmal trainieren können. Andere haben echte Sinnkrisen und fragen sich: Wozu mache ich das? Die brauchen akute Krisenhilfe", erläuterte Weilharter, der das Österreichische Bundesnetzwerk Sportpsychologie (ÖBS) als ehrenamtlicher Geschäftsführer leitet.

"Leute, lasst euch auch helfen"

Seine Botschaft an die Sportler sei: Leute, lasst euch auch helfen. "Es ist kein Zeichen von Schwäche. Man geht ja auch zum Arzt oder Physio, es ist ein professionelles Zeichen, dass man sich unterstützen lässt." Auch weil die Dauer der Krise völlig offen sei, gelte es alle möglichen Hilfssysteme hochzufahren. "Je professioneller das passiert, umso länger kann man das aushalten." Hierbei komme auch der Vertrauensperson des Trainers besondere Verantwortung zu.

Viele Leistungssportler können seiner Erfahrung nach ohnehin gut mit Ausnahmesituationen umgehen. "Mein Eindruck ist, sie haben das zum Teil schon gelernt, vielleicht besser als andere, weil sie durch Verletzungsphasen gegangen sind, und jetzt eine ähnliche Situation haben, weil sie Unterbrechungen erleben und dann wieder neu hochstarten. Das gilt natürlich nicht für alle. Aber es ist ein Muster, wo Sportler anders vorbereitet sein könnten."

Neuplanen ist die Stärke der Sportler

Die auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele seien aber auch für sie ein Sonderfall. "Die Entscheidung ist für die einen eine Entlastung, weil sie sich endlich auskennen und eine neue Planung aufsetzen können. Für manche ist es sehr enttäuschend, weil sich das Hauptevent ihres Lebens möglicherweise nicht mehr ausgeht." Das Neuplanen und Umgehen mit Veränderung ist laut Weilharter zum Glück aber ohnehin eine Stärke vieler Sportler. Es könne jedoch auch für sie ein Loch entstehen, in das man falle. Besonders hier müsse seine Zunft, aber auch Trainer und Betreuer, die derzeit mitunter selbst Hilfe brauchen, eingreifen. "Das ganze Umfeld sollte im Dialog bleiben."

Im Alltag mit den aktuellen Quasi-Hausarresten sollten neue Routinen gelebt werden. "Das gilt auch für die Familie und für die Kinder. Für die Sportler ist das aber auch schon oft Gewohnheit, die haben sowieso ein geplanteres Leben." Dass die sonstigen Eventziele wegfallen, sei problematisch. "Unsere Aufgabe ist es, den Sportlern, den Trainer und dem Umfeld zu helfen, dass neue Strukturen entwickelt werden. Eine Möglichkeit ist auch ein sogenannter Vertrag mit sich selbst." Darin werden Aufgaben, Pflichten, Ziele und Sanktionen definiert.

Täglich kleine Ziele setzen

In der Bewältigung der aktuellen Krise könne man sich auch fragen: Was ist das Gute am Schlechten, und wie kann ich vom Krisen- in den Chancenmodus kommen? Das gelinge beispielsweise mit dem Setzen von Zwischenzielen. "Kurz-, mittel- und langfristige Ziele sind ganz wichtige Themen, dabei braucht man insofern Unterstützung, dass man sich vielleicht auch ein tägliches kleines Ziel setzt, und man Schritt für Schritt dranbleibt."

Ausschlaggebend sei aber auch, dass die Entscheider in der Regierung und allen nachfolgenden Organen Klarheit und Perspektiven anbieten. Das laufe derzeit gut, befand Weilharter und formulierte diese Notwendigkeit so: "Man muss die Perspektiven klar kommuniziert bekommen, auch mit der Ungewissheit, dass vieles nicht klar ist."