Als Extrembergsteiger sind Sie harten Untergrund beim Schlafen gewohnt. Haben Sie in Japan auch eines der Kartonbetten wie die Athleten?
KARL STOSS: Nein, ich habe ein normales Bett im IOC-Hotel. Wir wurden nicht gefragt, wo wir untergebracht werden wollen, aber ich höre eigentlich nur Positives aus dem olympischen Dorf – auch von den Kartonbetten. Gerade von Felix Auböck, der an die zwei Meter groß ist. Er hat gemeint, dass er zum ersten Mal bei Wettkämpfen ein Bett hat, das auch für ihn ausreichend ist. Die Stimmung in der Mannschaft ist großartig und die Sportler sind auch mit der Verpflegung sehr zufrieden. Es ist ja auch wichtig, dass das „Seelenheil“ stimmt.

Wie ist Ihr gesamter Eindruck von Japan?
Es ist ein großartiges Land. Die Menschen sind im Moment zurückhaltend vorsichtig – so muss man das formulieren. Sie sind aber sehr, sehr freundlich und im Vergleich zu früheren Besuchen haben viele Englisch gelernt. Da hat sich vieles getan.

Es gibt Menschen, denen ist Olympia in der Pandemie ein Dorn im Auge. Welches Bild zeichnen die Spiele für Sie?
Ich finde das sehr positiv. Wir können ja nicht in Resignation erstarren, nur weil es eine Pandemie gibt. Sie ist da und es gibt Maßnahmen, die jeder für sich treffen kann – seien das Impfungen oder PCR-Tests. Es gibt auch Grundregeln, die einzuhalten sind, wie das Händewaschen oder Abstand zu halten. Aber deswegen steht das Leben nicht still. Wir haben trotzdem die Verpflichtung über den Sport viele Menschen weiterhin zu motivieren, aktiv Sport zu betreiben. Denn es ist der größte Schutz gegen Covid, wenn man das Immunsystem stärkt. Das geht nur, indem man sich an der frischen Luft viel bewegt und gesund ernährt. Davon redet kein Politiker, aber es ist das Allerwichtigste. Es beginnt bei einem selber.

Sie wurden von IOC-Präsident Thomas Bach in die Disziplinarkommission berufen. Wurden Sie somit zum Regelhüter?
Das ist nicht immer angenehm, aber es muss auch welche geben, die diese Dinge aufzeigen. Der Schweizer Denis Oswald hat den Vorsitz und wir haben das schon in Pyeongchang gemacht. Es ist eine Verpflichtung – wenn Beschwerden kommen, sind es ernsthafte Vorfälle. Hauptsächlich geht es um Verstöße gegen Fair Play.

Nachsicht oder Verständnis sind da nicht gefragt?
Sportler, die ganz vorne stehen, sollten immer ein Vorbild abgeben. Gerade, wenn so viele aufeinandertreffen, dann muss man sich an Regeln halten. Das ist wie im Straßenverkehr: Gäbe es dort keine Regeln, gäbe es vielleicht immer mehr Rowdys, die dagegen verstoßen. Irgendwann gilt das Gesetz des Stärkeren. Das kann nicht sein. Es müssen und sollten alle gleich behandelt werden und unter den gleichen Voraussetzungen Wettkämpfe bestreiten.

Sie sind in Tokio, viele dürfen nicht hin. Ein Privileg oder eine Pflicht?
Das ist natürlich ein Privileg. Das sind alle vier Jahre die größten Bewerbe, wo die meisten Sportlerinnen und Sportler zusammenkommen. Es ist dieses Mal – und das muss man ehrlich sagen – eine etwas getrübte Stimmung, weil es aufgrund der Einschränkungen der Pandemie nicht so ist, wie es immer war.

Die Covid-Regeln sind in Japan sehr restriktiv?
Das Gastgeberland Japan hat gewisse Regeln aufgestellt. Ob die uns gefallen oder nicht – wir müssen sie zur Kenntnis nehmen. Wenn man irgendwo als Gast hinkommt, hält man sich an seine Regeln. Aber es wäre natürlich schön, wenn wir in den Arenen Zuseher hätten und eine ausgelassene Stimmung wäre. Wobei im olympischen Dorf die Stimmung sehr gut ist.

Einige Sportler haben sich als Zeichen gegen Rassismus und für Gleichberechtigung bereits hingekniet. Wie stehen Sie dazu?
Wenn sich österreichische Sportler etwa als Zeichen gegen Rassismus hinknien, ist das zu unterstützen – solange es im Rahmen wie etwa beim Fußball bleibt. Bei Siegerehrungen sollte es aber nicht sein und das wurde den Sportlern auch gesagt. Da sollen der Ruhm und der Erfolg gefeiert werden.

Sie haben drei rot-weiß-rote Medaillen als Ziel ausgegeben?
Das ist kein Ziel, sondern eine Wunschvorstellung. Ich weiß nicht, ob man so ein Ziel setzen kann. Die Sportlerinnen und Sportler, die hierherkommen, stecken sich selbst ihre Ziele, möglichst weit nach vorne zu kommen. Aber wir haben einige heiße Medaillenkandidaten. Da kann man nicht so tun, als würde man einfach nur mitwettkämpfen. Wir zählen zu den Allerbesten und haben tolle Athletinnen und Athleten. Da wäre es natürlich großartig, wenn die eine oder andere Medaille dabei herauskommt.

Japan ist eines der technisch am höchsten entwickelten Länder und auch Olympia ist in Bewegung. Wie sehen Sie die Tendenz dem E-Sport gegenüber?
E-Sport ist nicht mehr wegzudenken und auch nicht wegzuleugnen. Es gibt Millionen von Usern und die junge Bevölkerung nutzt es sehr stark. Was uns als IOC gelingen muss, ist, viele weg von der Maschine hin zum realen Sport zu bringen. Da kann es natürlich animierend sein, zuerst mit elektronischen Spielen die entsprechende Motivation zu holen, um es selber auch zu tun. Es gibt eine Reihe von Sportarten wie etwa Rudern, Segeln oder Radfahren, in denen man Strecken nachfahren kann. Das nehmen auch viele Sportler als Trainingsmotivation und von dem her gibt es schon eine logische Verknüpfung. Es geht nicht darum, „entweder oder“, sondern darum, „sowohl als auch“ zu schaffen.

Ihre große Leidenschaft, die Berge sind noch nicht digital zu erklimmen. Skibergsteigen wurde nun olympisch. Inwiefern ist das für einen Bergfex eine große Freude?
Absolut. Ich finde es großartig – auch mit welcher Leidenschaft die jungen Athletinnen und Athleten bei den Youth Olympic Games 2020 in Lausanne den Sport ausgeübt haben. Von daher bin ich sehr glücklich, dass wir auch im Wintersport einige Neuerungen haben. Man hat das auch während der Pandemie gesehen, wie das Skibergsteigen boomt, weil die Lifte gesperrt wurden.

Die Spiele wurden zu einem riesigen Geschäft. Auf der anderen Seite kennen Sie aber auch das einfache Leben etwa in Nepal ...
Es ist ein großes Privileg, wenn man das so wahrnehmen kann. Aber Privilegien alleine nutzen nichts. Es muss auch der persönliche Wille da sein, dass man etwas tut. Auch aus diesem Grund übe ich ehrenamtlich diese Funktionen bei Olympia aus, die mir übertragen wurde. Aber es ist großartig, das hier mit jungen Menschen, die vor Begeisterung sprühen und so große Ziele haben, gemeinsam und vor Ort zu erleben.

Sie sprachen einmal davon, nach Ihrer Zeit als Manager Kindern in Nepal Englisch lehren zu wollen ...
Man sollte nie ohne Ziele durch das Leben gehen und die Pandemie hat auch bei mir einiges verändert. So etwas würde ich wirklich gerne machen. Wenn man in Nepal auf den Trekkingtouren oder hinauf zum Basecamp des Mount Everest geht und sieht, in welch armen Verhältnissen große Familien dort leben, weiß man, was man für sie tun könnte. Da kann man einen Beitrag leisten und etwas zurückgeben, was einem das Leben geschenkt hat.