Was macht ein Pater bei Olympia?
PATER JOHANNES PAUL CHAVANNE: Diese Frage höre ich oft. Es ist so, dass es bei Österreich seit vielen Jahrzehnten üblich ist, dass bei Olympischen und Paralympischen Spielen ein Seelsorger mitfährt. Viele Jahre hat das Pater Bernhard Maier gemacht und seit 2014 ich. Was macht er bei den Spielen? Das, was er immer tut: Von Gott her bei den Menschen sein. Mit ihnen und für sie beten. Für sie da sein, zuhören und auch die heilige Messe oder die Sakramente anbieten. Ich bin aber auch so gerne dabei und wenn es geht auch bei den Wettkämpfen. Das wird von den Athleten mit sehr viel Offenheit und Dankbarkeit angenommen. Was mir auffällt, ist, dass je länger ich dabei bin, desto mehr entsteht. Man spricht ja auch von der Olympischen Familie und irgendwann gehört man da dazu.

Was schätzen die Sportler an Ihrer Seelsorge bei Olympia?
Ich bin jemand, der den Menschen unabhängig von ihrer Leistung begegnet. Mir geht es nicht darum, welche Platzierung wer macht, oder welche Leistung er erbringt. Für mich zählt der Mensch mit seinen beiden Augen und seinem Herzen. Das schätzen viele Athleten sehr, dass es da jemanden gibt, der sie nicht nach ihrer Leistung bewertet.

Was überwiegt: die seelsorgerische oder die psychologische Pflicht?
Ich würde zwischen Seelsorge und Psychologie nicht so einen klaren Trennstrich ziehen. Gute Seelsorge versteht auch immer was von Psychologie. Die Psyche ist ja auch die Seele und gehört in der Wurzel zusammen. Natürlich ist die Seelsorge eines Priesters immer auch etwas, das mit Glauben zu tun hat. Insofern hat es noch eine andere Komponente – das Religiöse spielt mit rein und gehört dazu. Aber gerade auch das ist etwas, das viele Athleten schätzen. Es gibt doch einige, die einen bewussten und reflektierten Glauben haben und praktizieren. Das andere ist, dass Athleten ganz normale Menschen sind, wie alle anderen auch und sie kommen eigentlich auch nicht mit anderen Themen zu mir, als andere Menschen.

Welche Themen sind das?
Jeder hat eine Familie. Jeder hat eine Beziehung, oder auch nicht. Viele Menschen haben auch Fragen zum Glauben. Bei den Athleten hier steht sehr stark im Fokus, dass sie sich intensiv auf ihre Wettkämpfe vorbereitet haben – im Prinzip ein Leben lang – und oft unter einem sehr großen Druck stehen. Und außerdem, wo Menschen sind, da menschelt es. Das ist in einem Olympischen oder Paralympischen Team nicht anders. Gerade bei Profisportlern ist es auch oft das Thema, was mache ich, wenn die Profikarriere vorbei ist? Es sind einige Themen, mit denen ich schon konfrontiert war.

Ist Gott auch im Wettstreit?
Gott ist immer und Gott ist überall – wenn wir ihn lassen. Die Frage ist immer, kann man für den Sieg beten, oder nicht? Man kann für viele Beten. Aber ich denke nicht, dass Gott mehr Freude an der einen oder anderen Goldmedaille hat. Aber: Es gibt auch im Sport immer wieder ethische Fragen und da hilft der Glaube schon auch, eine Orientierung zu haben und er hilft auch in dem Augenblick, wenn man vom Siegespodest heruntersteigt. Weil es gibt immer ein Leben danach. Er hilft aber auch in der Relativierung von sportlichen Erfolgen. Oft sehen Sportler nach ihrer Karriere, dass es den Sport gibt, für den sie sehr viel in ihrem Leben gegeben haben, im Prinzip viel aufgeopfert haben, aber es gibt auch noch andere Themen, die sehr wichtig sind. Der Glaube kann da eine Hilfe sein, eine weitere Perspektive zu haben. Glaube hilft in vielen Situationen. Wenn ich weiß, Gott ist der Regisseur in meinem Leben, kann man an viele Dinge gelassener herangehen.

Was gibt der Sport dem Gläubigen?
Man trennt zu oft. Warum muss man das? Es kann ein gläubiger Mensch sportlich sein und ein sportlicher Mensch gläubig. Da ist kein Widerspruch, aber generell ist Sport gut für Menschen. Bewegung ist gut für die Gesundheit, aber da kommt noch was dazu: Leib und Seele gehören zusammen. Es gibt einen alten Kirchenvater, der einmal gesagt hat „Eine gesunde Seele wohnt in einem gesunden Leib.“ Das spürt man ja auch. Wenn man den inneren Schweinehund überwindet und was tut, fühlt man sich wohler, ausgeglichener. Man ist dann auch mehr im Frieden mit sich selbst. Alle diese Elemente und dazu kommt auch noch der Mannschaftssport mit all seinen sozialen Kompetenzen, die er den Menschen beibringt. Sport tut den Menschen gut.

Berührt Sie die sportliche Leistung, oder die damit verbundene Emotion?
Die sportliche Leistung zollt mir Respekt ab und die Emotion berührt mein Herz.

 Was waren für Sie die berührendsten sportlichen Momente?
Viele dieser emotionalen Momente bekommt man als Seelsorger ja nicht live mit. Es gibt aber immer Geschichten hinter den Geschichten. Ich erinnere mich daran, dass an dem Tag als ein Athlet eine Medaille gewonnen hat, seine Frau in Österreich ein Kind bekommen hat. Sehr schön war auch die Bronzemedaille von Andreas Onea in Rio (Anm. 100 Meter Brust). Da gingen die Emotionen sehr hoch. Die emotionaleren Momente verbinde ich tatsächlich eher mit den Paralympics.

Warum?
Weil die Menschen alle eine ganz besondere Geschichte haben und durch noch größere Widerstände den Erfolg erkämpfen müssen. Und weil es wichtig, richtig, schön und berührend ist, dass Menschen, die im Leben und Alltag oft Schwierigkeiten habe, im Mittelpunkt stehen, gefeiert und bejubelt werden. Dass es Anerkennung gibt und es in Österreich gesehen wird.

Wenn man als Geistlicher im Olympischen Dorf gesehen wird, wie reagieren die Athleten?
Es gibt im Dorf ja immer ein Multi-Faith-Center, in dem den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften Räume zur Verfügung stehen haben. Es kommen Leute von überall auf der Welt und wollen eine Messe, die Beichte ablegen oder ein Gespräch. Ich habe auch schon österreichische Athleten während der Spiele in Rio gefirmt.

Der Kontakt zu Ihnen und der direkte Draht zu Gott bleibt nach den Spielen bestehen, oder reißt der ab?
Der Draht zu Gott hängt ja nicht von einem einzelnen Pfarrer ab. Wenn man Priester ist, hat man einen gewissen Dienst am Glauben. Aber das heißt ja nicht, dass automatisch so viel unmittelbarer, echter oder authentischer gläubig ist, als andere es sind. Es gibt tatsächlich einige Athleten, die einen Glauben haben, der auch mich schon bestärkt hat. Ich habe aus dem Sportbereich aber auch schon Leute noch länger in ihrem Leben begleitet. Bis hin zur Hochzeit, oder der Taufe ihrer Kinder. Es gibt ja auch soziale Medien, über die man in Kontakt bleibt.

Werden daraus Freundschaften?
Hat es schon gegeben.