Wie feiert Gerhard Berger seinen 60er?

Gerhard Berger (schmunzelt): "Meine Freundin hatte eine geheime Überraschungsparty geplant. Das habe ich mitbekommen und gesagt, ich habe tatsächlich einen Wunsch. Nämlich dass du die Party wieder absagst, weil ich keine will. Also fahren wir wohin, wo nicht zu viele Leute sind."

Was wäre Ihnen ein großes Anliegen zum runden Geburtstag?

Berger: "Ich habe im Prinzip ja drei Familien. Wenn also, wäre mein Wunsch, alle meine Kinder gemeinsam zu sehen und mit ihnen allen zusammen einen Tag zu verbringen."

Sie sind nach mehreren Jahrzehnten im noblen Monaco wieder in Ihre Tiroler Heimat zurückgekehrt. Zufrieden hier?

Berger: "Ich bin gebürtiger Wörgler und seit zweieinhalb Jahren wieder da, mit allem Für und Wider und wohne in Söll am Berg oben. Monaco ist komplett erledigt. Das Boot ist verkauft, die Flug-Pilotenscheine habe ich verfallen lassen. Ich bin echt froh, dass ich wieder zurück bin. Österreich ist ja irgendwie eh das Monaco der Welt."

Ihr Haus strahlt viel Tiroler Gemütlichkeit aus, liegt direkt an der Skipiste. Auch eine Trophäenwand gibt es. Ist das schon ein persönlicher Rückblick?

Berger: "Grundsätzlich habe ich zu dem Thema Pokale gemischte Gefühle, weil ich es an sich nicht so mag, Trophäen herzuzeigen. Aber sie wecken Erinnerungen an aufregende Rennen. Etwa jenes in Adelaide 1987, mein wahrscheinlich bestes Rennen überhaupt. Man wird offenbar stolzer darauf, wenn man älter wird. Deshalb habe ich sie aus allen Garagen zusammengetragen. Mittlerweile stehe ich dazu."

Auch der Helm, mit dem Sie 1989 im Feuer-Inferno von Imola gesessen sind, gehört der Sammlung an.

Berger: "Dabei dachte ich lange, dass er weg ist. Aber als der Dieter Stappert (einstiger Journalist und BMW-Motorsportmanager, Anm.) gestorben ist, hat mich seine Frau angerufen und gesagt, dass der Helm bei ihnen ist. Es gibt auch noch die Kopie eines gold-grünen Helmes aus meiner Anfangszeit. Der wurde mir mal gestohlen und der ist nie wieder aufgetaucht. An dem läge mir sehr viel."

Zu Ihrem 60. Geburtstag: Wie fällt Ihr Rückblick aus?

Berger: "Das wichtigste ist das Bewusstsein, dass man zufällig ein Leben geschenkt bekommen hat, das mit Freude, schönen Tagen - meistens halt - und Glück gesegnet war. Ich habe mein ganzes Leben immer gemacht, was ich gerne getan habe. Ich habe mich jeden Tag gefreut beim Aufstehen, von Kindheit und Jugend an. Die Mopeds, die Autos, das Schwarzfahren. Zum ersten Traumberuf Mechaniker ist der zweite, nämlich Autorennfahrer in der Formel 1, dazugekommen. Dann habe ich es auch noch geschafft, dort Ferrari zu fahren. Und am Ende habe ich alles überlebt auch noch. Jetzt sitze ich da mit 60 und bin mir bewusst, dass das absolute Einzelfälle sind und dass ich da dazu gehöre. Ich bin sehr dankbar."

Sie sagten einst, Sie seien in der besten Zeit der Formel 1 gefahren. Aber offenbar auch aufgewachsen in einer Zeit, in der Dinge möglich waren, die heute unvorstellbar sind. Richtig?

Berger: "Stimmt. Wir sind ein bissl aufgewachsen wie im Wilden Westen. Statt der Pferde hatten wir halt Mopeds oder Motorräder, es hat keine Limits gegeben. Meine Eltern haben mich jeden zweiten Tag bei der Polizei oder vom Krankenhaus abgeholt. Aber es ist immer alles auch mit einem Lächeln, einem Verständnis passiert, egal ob bei Eltern, der Polizei oder bei den Ärzten. Es war einfach traumhaft. Ich glaube, kaum jemand blickt so gerne auf sein bisheriges Leben zurück wie ich."

Heute haben Sie fünf Kinder. Wie wichtig ist Ihnen das?

Berger: "Ich wurde mal gefragt, was das beste Investment meines Lebens war. Ich habe gesagt, eigentlich meine Kinder. Sie tragen meine Gene weiter und führen mich in die nächste Generation. Kinder sind das, was am Ende von dir übrig bleibt. Dass man mit ihnen liebvoll umgeht, habe ich von meinen eigenen Eltern gelernt. Den vier Mädels kann ich eventuell etwas weniger mitgeben, weil ich ja in dieser Männerwelt zu Hause bin. Ich bin da also eher für den Blödsinn zuständig."

Sie sind mit 57 noch Vater geworden, nach vier Mädchen kam Sohn Johan. Ist die Familienplanung damit abgeschlossen?

Berger (nachdenklich): "Ich habe immer gesagt, je mehr Kinder, desto lieber. Irgendwann geht dir halt die Zeit aus. Oder die Frauen (lacht). Kinder sind für mich was wunderschönes. Ich hatte dieses Glück, mit meiner Freundin Helene weitere Kinder zu bekommen, habe also ein Fenster von einer 39-Jährigen bis zu einem Zweijährigen. Mit allen Problemen, die in diesen Altersstufen anzutreffen sind. Das ist das Schönste überhaupt. Ich habe da aber keinen richtigen Plan. Es passiert einfach, ich sehe das relativ offen."

Ihr Leben war auch eine Achterbahnfahrt mit enormen Höhen und Tiefen. Woher kommt Ihre Energie, dass sie immer weiter machen konnten?

Berger: "Natürlich gab es bei mir auch die schwierigen Zeiten. Im Motorsport, auch die Firma war einige Male in Schräglage, ich habe beide Eltern früh verloren. Aber irgendwie blende ich das am Ende meistens gut aus, schaue immer nach vorne. Am Ende des Tages ist es immer eine Frage, will man's oder will man's nicht. Und wenn ja, dann zu hundert Prozent und vor allem gerne machen. Dann wird es in der Regel auch funktionieren."

Sie sind in Ihrer Zeit Top-Verdiener unter den Nicht-Weltmeistern gewesen, haben es sichtlich zu Wohlstand gebracht. Stolz?

Berger: "Der Verdienst ist schon immer ein Teil einer Wertschätzung. In der Formel 1 sind die Gehälter hoch angesiedelt, da findest du deinen Marktwert wieder. So etwas wird nicht immer nur mit Siegen erarbeitet. Da kommen auch Vermarktungsmöglichkeiten bis hin zu deiner Nationalität. Du kannst dir also selbst ausrechnen, wie du in diesem Gewerbe gesehen wirst. Die Aussage 'Geld ist mir nicht wichtig' finde ich ein bissl blöd. Du kommst erst drauf, wie wichtig es ist, wenn du keines hast. Was nicht wichtig ist, ist Luxus. Aber ein gewisser finanzieller Polster, auch für später, wenn es um die Gesundheit geht, ist schon wichtig."

Was ist Ihr persönlich größter Luxus?

Berger: "Ich habe wirklich alles gemacht, was Gott verboten hat. Und in Monaco etwa fällt der Luxus von selbst bei der Tür herein. Ich hatte Glück, dass ich mir das alles leisten konnte. Am Ende ist aber neben der Gesundheit nur eines wirklich wichtig, egal ob auf hundert oder fünfhundert Quadratmetern: Du brauchst einen guten Heimathafen, willst am Abend zuhause sein und dich wohlfühlen. Mit einem Lebenspartner, bei dem du gerne deine Zeit verbirgst. Den habe ich mit Helene gefunden. Dazu kommt, dass ich eher in die Berge gehöre statt ans Meer. Es stimmt also jetzt alles."

Eine der meistgestellten Fragen an Sie war und ist: Warum sind Sie nie Formel-1-Weltmeister geworden? Gibt's neue Antworten?

Berger: "Ich kann das kurz machen. Einfach deshalb, weil ich nicht gut genug war. Das kann man nicht beziehen auf einzelne Faktoren, ob ich nicht schnell oder clever oder risikofreudig genug war. Diese Komponenten waren bei mir sehr ausgeprägt. Am Ende des Tages war ich einfach nicht diszipliniert genug, habe nicht genug daran gearbeitet. Es gibt keine weiteren Erklärungen."

Stand Ihnen Ihr eigenes Talent im Weg?

Berger: "Ich habe tatsächlich ein unglaubliches Talent in die Wiege gelegt bekommen. Das war sicher auch die Ursache, warum ich lange Zeit nicht ganz so hart arbeiten musste wie andere. Ein Sportler ist immer ein Paket, und das Gesamtpaket ist ausschlagend für den Erfolg. Weltmeister kann eben nur einer im Jahr werden. Aber die Welt geht deshalb nicht unter. Ich bin bis in die höchste Klasse des Motorsports gekommen, habe dort Rennen gewonnen, war sehr oft auf dem Podium und habe meine Nation vertreten. Also alles perfekt. Der fehlende WM-Titel? Ein Schönheitsfehler."

Apropos Nation vertreten. Sie haben lange in Monaco gelebt, sind aber immer mit rot-weiß-rotem Helm gefahren. Sind Sie ein Patriot?

Berger: "Ja. Einmal gab es die Situation, eventuell den Pass abzugeben und den monegassischen zu bekommen. Da hat es mir die Haare aufgestellt. Keine Frage, ich bin Österreicher, auch wenn die Zeit in Monaco wunderschön war. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, wieder in Österreich zu sein und hier auf dem Berg oben zu leben."

Nach seinem Tod hat Niki Lauda seine Kurve auf dem Red Bull Ring zurückbekommen. Sie hatten einst auch eine. Nur Jochen Rindt wurde nie angetastet. Wollen Sie Ihre Kurve zurück?

Berger (lacht): "Der Helmut Marko hat dem Niki und mir damals die Kurve weggenommen. Ich hoffe ich kriege sie nicht auch erst wieder, wenn ich gestorben bin."

Ihre Formel-1-Jahre waren extrem. 1989 der Feuer-Unfall in Imola, 1994 das Katastrophen-Wochenende mit den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna, 1997 Ihr letzter Sieg unmittelbar nach dem Flugzeugabsturz ihres Vaters. Wird man solche Erinnerungen wie zum Beispiel an 1994 jemals los?

Berger: "1994 war ein extremes Wochenende. Man kann heute noch nicht verstehen, warum es Tage gibt, an denen so ein Unglück hereinbricht. Wir haben als Sportler aber gelernt, damit umzugehen. Wir waren natürlich sehr betroffen und traurig. Aber unter dem Strich waren wir in einer Welt, die solche Gefahren eben mit sich gebracht hat. Da denkt man, es ist schlimm, aber es kann auch mich selbst treffen. Bei mir war aber relativ rasch klar, dass ich weitermache. Ich wusste das Risiko der Formel 1 von Anfang an einzuschätzen."

Sie haben vor allem überlebt, sagen Sie. Einfach mehr Glück gehabt als Pech?

Berger: "Dass es Glück und Pech gibt, lernt man im Laufe des Lebens. Ich habe Vater und Mutter früh verloren, die Firma war mehrmals in Schräglage. Ich hatte diesen PKW-Unfall, da hätte alles früh vorbei sein können. Ich empfinde es aber trotzdem so, dass ich fast nur Glück hatte. Wer das mit dem Glück steuert und regelt, habe ich aber noch nicht herausgefunden."

Sie waren quasi Nachfolger von Rindt und Lauda in der Formel 1. Nun fährt schon sehr lange kein Österreicher mehr. Ist die Zeit der österreichischen Piloten in der Formel 1 abgelaufen?

Berger: "Glaube ich nicht. Irgendwann wird wieder einer aus dem Nichts da sein. Österreich ist einfach tief im Motorsport involviert. Es kann halt oft sehr lange dauern, dann kommt einer und schafft den Durchbruch."

Ihr Neffe Lucas Auer war als Tester genau genommen der bisher letzte Österreicher in der Formel 1. Er lernt dieses Jahr in der japanischen Super Formula. Hat er Chancen?

Berger: "Japan ist sehr lehrreich. Grundsätzlich ist das Paket, das du für die Formel 1 mitbringen musst, sehr komplex. Du brauchst nicht nur Talent, technisches Verständnis, Killerinstinkt, Egoismus und so weiter. Du musst aus einem Team von tausend Leuten auch die richtigen finden und zu dir auf dein Auto kriegen. Michael Schumacher hatte diese Gabe. Es ist alles insgesamt sehr komplex."

Lechzt die Formel 1 ohnehin nicht schon wieder nach einem neuen Schumacher im Ferrari?

Berger: "Mit dem Sebastian Vettel holt sich dort gerade eine vierfacher Weltmeister eine blutige Nase. Mick Schumacher macht in den Nachwuchsformeln einen guten Eindruck, er hat die Schumacher-Gene, ähnelt seinem Vater sehr. Uns alle würde es freuen, wenn er am Ende bei Ferrari landet. Er hat ein gutes Netzwerk, um das zu ermöglichen. Mich würde es vor allem für Michael wahnsinnig freuen. Aber die gleichen Fußstapfen, die kann man nicht so leicht füllen."

Sie waren nach ihrer Fahrer-Karriere BMW-Motorsportchef, Mitbesitzer von Toro Rosso und sind derzeit DTM-Chef. Die DTM begeht unter ihrer Führung demnächst das 500. Rennen. Stolz?

Berger: "In die DTM bin ich gegangen, weil ich mir nach meiner Rückkehr nach Österreich die Formel 1 nicht mehr antun wollte. Und dann habe ich mich ein bissl in die DTM verliebt. Eine tolle Plattform. Autos mit Dach zwar, aber spektakulärer Rad-an-Rad-Sport. Wenn du da mal drin bist, kommst du nicht so schnell wieder raus."

Hersteller werden gesucht, nachdem Mercedes in die Formel E geht. Sie stehen vollelektrischer Mobilität kritisch gegenüber, richtig?

Berger: "Mit offenen Augen und kritisch. Die Endbelastung ist schlechter als bei einem guten Verbrenner. Keiner weiß, wie das Zeug recycelt wird. Alle sind in einem Riesen-Hype gefangen. Aber es wird nicht ehrlich kommuniziert, man wird teilweise verarscht. Vielleicht sitzen wir in fünf Jahren hier und das Thema hat sich so gedreht, dass ich sagen muss, ich habe den Weitblick nicht gehabt. Bis dahin aber glaube ich an Hybrid und dass sich das vollelektrische Auto nicht durchsetzen wird."

Motorsport ist ihr Leben. Wie lange wollen Sie selbst beruflich noch am Vollgas bleiben?

Berger: "Ich kann es, ganz ehrlich, nicht sagen. Ist es besser, diesen Speed und diese Taktung weiterzufahren, weil es dich frisch und jung hält? Jeden Tag zum Denken bewegt? Oder hat es was auf sich, dass man ab 60 eher die Pension antreten und sich mit Themen wie Gesundheit und Familie beschäftigt? Ich kann dem was abgewinnen. Gleichzeitig merke ich, ich brauche diesen Drive."

Wo stehen Sie diesbezüglich mit ihren Überlegungen?

Berger: "Man muss da tatsächlich aufpassen, nicht in ein Hamsterrad zu kommen. Ich habe mit der DTM, dem Fahrzeugtechnikbetrieb, der Logistik, der Familie, sehr viel auf dem Tisch. Gleichzeitig merke ich, dass die Batterie nicht mehr so viel Ausdauer hat wie früher. Mit 60 steigt man ja quasi ins letzte Drittel ein. Da musst du jeden Tag dankbar sein, wenn du nicht von einer schlechten Nachricht einer Krankheit betroffen bist. Speziell heuer habe ich sehr viele Freunde verloren, die nicht viel älter waren als ich. Treibst du also dein Leben weiter wie vor 20 Jahren voran oder lässt es, wirst zwar langsamer, aber hast eine längere Lebenserwartung? Ich weiß es nicht. Da bin ich mit mir selbst noch nicht im Reinen."