"Es ging nicht schneller. Wir müssen uns alle Fakten, Beweise und Aussagen ansehen und anhören, um zu einem gerechten Urteil zu gelangen.“ Damit begründete Walter Jobst, einer der vier Richter der FIA (Federation Internationale Automobile), warum es am Sonntag nach dem Großen Preis von Österreich in Spielberg doch über drei Stunden gedauert hat, bis ein Urteil über das umstrittene Überholmanöver zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc in der 69. Runde gefunden wurde.

„Der Ablauf in solchen Fällen ist immer der gleiche. Wir bekommen vom Rennleiter eine Nachricht über einen Zwischenfall. Erst dann werden wir aktiv“, erzählt der 65-Jährige Klagenfurter, der schon seit 2005 als Profirichter der FIA arbeitet. „In weitere Folge schauen wir uns alle zur Verfügung stehenden Videos an, suchen Präzedenzfälle vergleichen GPS-Daten-Aufzeichnungen, laden alle beteiligten Personen zu einem Verhör ein. Dann beraten wir untereinander und am Ende kommt es, angeführt vom Vorsitzenden, in diesem Fall war es Nish Shetty, ein Richter aus Singapur, zur Urteilsfindung. Wobei wir uns wirklich nur von den Tatsachen und vom Gesetzbuch leiten lassen“, erzählt Jobst. Eine gewisse Interpretationsmöglichkeit haben sie wohl, sie sind auch von außen her völlig abgeschirmt. Niemand kann das Urteil beeinflussen.

Sehr viel Gewicht hat natürlich das Wort des jeweiligen „Fahrer-Vertreters“ im Richter-Gremium. Viele ehemalige Rennfahrer arbeiten als FIA-Richter. In Österreich war es Tom Kristensen, immerhin neunfacher Le-Mans-Sieger. „Diese Ex-Piloten sehen viel mit den Augen der Rennfahrer, deshalb ist für uns diese Sichtweise auch so wichtig“, sagt Jobst. Am Ende kamen die vier Richter zum von vielen erhofften Urteil: „No further action“ – damit wurde der Zieleinlauf, Verstappen vor Leclerc, bestätigt. „Wir waren auch froh, dieses Urteil getroffen zu haben. Denn dieses Wochenende war für alle ein ganz großer Erfolg. Und die beste Werbung für die Formel 1“, schildert der Kärntner nachträglich. Die gute Stimmung habe sie nicht beeinflusst. „Wir sehen das völlig nüchtern.“

Die heftige Kritik an den FIA-Richtern nach dem Urteil gegen Sebastian Vettel beim GP von Kanada, der den Deutschen den Sieg gekostet hat, hatte auch keinen Einfluss. Es waren zwei völlig unterschiedliche Fälle. Auch das am Sonntagabend aufgetauchte Gerücht, die Kommissare ließen sich mit dem Urteil deshalb so lange Zeit, bis die holländischen Fans abgezogen waren und aus Enttäuschung nicht mehr randalieren hätten könnten, war kein Thema. „An das haben wir nicht eine Sekunde gedacht. Um alles zu verstehen, braucht man rund drei Stunden. Das geht nirgendwo schneller.“

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Sport als Sieger

Es war ein weiser Spruch am Ende einer tollen Show. Auch wenn wie schon in Kanada Ferrari der Leidtragende war. Die Italiener nahmen es verärgert, aber gelassen hin. Und so kommt auch aus Maranello ein „no further action“ – also kein Einspruch. „Wir müssen es hinnehmen“, sagte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto in Spielberg. „Wir respektieren das Urteil.“

So hat am Ende der Sport gewonnen. An den vielleicht doch allzu peniblen Gesetzen sollte dennoch gefeilt werden. Branchen-Insider behaupten ja fast im Wochen-Rhythmus, dass die Formel 1 kein Kindergarten und dass es nun einmal notwendig sei, die Ellbogen im Kampf Mann gegen Mann auszufahren. Und das sollte im Rennsport doch bis zu einem gewissen Grad erlaubt sein ...