Alles sollte neu und besser werden in der Formel 1 ab 2021 – aber je näher der Stichtag für die neuen Regeln am 30. Juni kommt, umso deutlicher wird: An den entscheidenden Stellen scheint es bei Mini-Reformen zu bleiben. Und da, wo größere Änderungen geplant sind, schütteln die meisten Experten nur den Kopf. Für viel Diskussionsbedarf sorgten folgende Punkte auch im Vorfeld des heute startenden GP von Kanada, der um 20.10 Uhr live auf ORFeins über die Bühne geht.

Punkt eins ist die Budget-Deckelung. Da haben sich die großen Teams eindeutig durchgesetzt. Statt der schrittweisen Reduzierung auf 130 Millionen Dollar, die einmal angedacht war, dürfen die Maximal-Ausgaben zwischen 2021 und 2025 jetzt bei 175 Millionen US-Dollar liegen, ab dem dritten Jahr soll es außerdem noch einen Inflationszuschlag geben – und dazu kommen noch eine Menge Posten, die gar nicht mit eingerechnet werden. So zählen die Fahrergehälter, die Motor-Kosten, die Reisespesen und das Marketing nicht zum Budget. „Wenn wir das dazu zählen, sind wir schnell wieder bei 250 Millionen“, rechnen die kleinen Teams vor. Auch Renault-Teamchef Cyril Abiteboul ist enttäuscht: „Das ist kein echter Neubeginn. Der Plan war, dass alle Teams profitabel sein sollen. Die Rechnung geht für die Privatteams nicht auf.“

Kleinere Teams besorgt

Ein kleines Team kann in Zukunft vielleicht 100 Millionen Dollar aus dem Liberty-Topf erwarten. Es müsste dann Sponsoren für 150 Millionen finden, um Gewinne zu erwirtschaften. „Das werden viele nicht schaffen“, fürchtet Abiteboul. Renault zählt als Werksteam nicht dazu. „Wir liegen alle Ausnahmen mit eingerechnet rund 30 Millionen unter der Grenze und können sogar aufstocken.“

Fast schont der Beweis dafür, dass sich nicht wirklich etwas ändern wird, ist: Mercedes-Teamchef Toto Wolff scheint zufrieden zu sein, hält die Grenze für machbar, möglicherweise sogar ohne Personalabbau. „Wir könnten einen Teil unserer Leute für externe Projekte einspannen. Zum Beispiel unseren Windkanal, den wir bereits an Kunden vermieten.“

Der Punkt zwei: Größere Änderungen soll es im Ablauf der Grand-Prix-Wochenenden geben, die freien Trainings erst ab Freitag Nachmittag stattfinden. Entscheidend: Schon ab dem ersten freien Training sollen rigorose Parc Fermé-Bedingungen gelten, die Autos also kaum noch umgebaut werden dürfen. Da schütteln die meisten Experten nur mit dem Kopf – das heißt im Klartext: Wer nicht schon mit einer gut passenden Abstimmung an die jeweiligen Strecken kommt, kann das komplette Wochenende abschreiben.

Sky-Experte und Ex-GP-Sieger Johnny Herbert ist entsetzt: „Ich verstehe diese Regel aus zwei Gründen nicht. Erstens begünstigt das wieder die Top-Teams. Sie haben viel hochgestochenere Simulationswerkzeuge, also kommen sie besser vorbereitet zur Rennstrecke. Zudem haben wir es in der Vergangenheit ein paar Mal erlebt, dass ein Team am Freitag neben den Schuhen stand, die Autos nicht konkurrenzfähig waren. Und dennoch haben sie mit viel Arbeit und Hirnschmalz die Wende geschafft. Für mich ist das Formel 1. Wenn man das alles entfernt, ist das für mich weniger reizvoll.“

Es gibt noch Diskussionsbedarf

Auch Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost ist sauer: „Das ganze Programm in den Freitag zu komprimieren, das spart überhaupt nichts. Denn wir sind ohnehin schon Tage zuvor auf dem Rennplatz“, so der Österreicher. „Wichtig sind für mich ganz andere Punkte – faire Geldverteilung, Kostenverringerung, bessere Show. Da müssen wir doch den Hebel ansetzen. Ich sehe nicht ein, was eine ausgeweitete Parc-fermé-Regel verbessern soll. Da müsste aus meiner Sicht überhaupt nichts geändert werden.“ Toto Wolff stimmt ihm zu – und gibt zu bedenken: „Mit dieser Regel öffnen wir die Büchse der Pandora für Strafen ohne Ende, wenn ein Auto in der Mauer steckt und dann neue Teile verwendet werden müssen, die alle gewissen Regeln unterworfen sind.“ Er findet schon die Grundidee merkwürdig: „Wieso soll der Sport besser werden, wenn wir nicht mehr an der Abstimmung arbeiten? Was sollen wir da sparen? Wir erreichen doch genau das Gegenteil: Wir verbringen noch mehr Zeit in teuren Simulationen, auf Prüfständen.

Bis Ende Juni haben die Teams Zeit, die FIA um Nachbesserung zu bitten. In Stein ist noch nichts gemeißelt.

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