Herr Präsident, haben Sie zuletzt daran gedacht, einen Schlussstrich bei Sturm Graz zu ziehen?
CHRISTIAN JAUK: Wenn man beim SK Sturm an der Spitze steht, ist man ein Familienoberhaupt. Das ist eine große Ehre, kostet aber auch viel Kraft. Am 31. Jänner ist die Generalversammlung, da wird sich einiges tun. Das Ehrenamt bereitet mir Freude, Sesselkleber bin ich aber keiner.

Gerüchte über Ihren möglichen Rücktritt sind also falsch?
Die Frage nach dem eigenen Energiehaushalt muss jeder für sich selbst beantworten. Es müssen Rahmenbedingungen vorhanden sein, um die Schlagkraft zu haben, etwas bewegen zu können.

Also treten Sie bei der Generalversammlung mit einer Liste an?
Eine gewisse Kontinuität tut einem emotionalen Verein wie Sturm sehr gut. Eine solide Basis ist Voraussetzung für Erfolg. Der SK Sturm war in den letzten zehn Jahren nie schlechter als Fünfter. Aber wenn Sturm auf Rang fünf ist, wird es durchaus emotionaler als bei anderen Vereinen. Das zeichnet die DNA von uns „Schwoazn“ aus. Darauf sind wir auch stolz. Dennoch darf man nicht den Blick auf das Wesentliche verlieren.

Kandidiert also eine Liste Jauk?
Ja. Es werden Leute antreten, die großteils erfahrene Funktionäre sind. Dazu kommt die eine oder andere frische Kraft. Wir werden erstmals auch eine Frau im Vorstand präsentieren. Namen werden Sie von mir aber vor dem 31. Jänner keine hören.

Im Vorstand herrscht mehr Kontinuität als in der Mannschaft.
Das ist die allgemeine Entwicklung des Fußballs. Die österreichische Liga ist eine Ausbildungsliga mit hoher Fluktuation. Ich verweise auf den letzten Titel im Mai 2018 und meine Aussage, dass der Erfolg Fluktuation bedingt. Das würde ich gerne ändern, gerne langfristiger planen. Aber der internationale Fußball ist sehr stark von monetären Interessen geprägt, Wir als SK Sturm bilden die Antithese zum modernen Fußball, das macht uns aber auch sympathisch. Wir bleiben ein unabhängiger Mitgliederverein, das haben uns unsere Gründungsväter mitgegeben.

Sturm verpasste sich ein Leitbild. Braucht es das? Reicht es nicht, die Werte einfach (vor-) zu leben?
Meine Funktion ist immer eine Vorbildfunktion. Es ist kein Geheimnis, dass die Liebe zum Verein die Basis ist, sich dieses Ehrenamt anzutun. Freude spiegelt sich anders wider, nicht nur in sportlichen Erfolgen. Begegnungen und Momente mit Spielerinnen und Spielern sowie Fans berühren einen. Anderen Menschen Freude zu bereiten ist eines der schönsten Dinge, die diese Funktion mit sich bringt.

Das klingt alles nach Fußballromantik in Schwarz-Weiß.
Es gibt Situationen, wo du als Präsident mit deinem Team Rahmenbedingungen schaffen kannst. Wir besetzen zwei Positionen: Geschäftsführer Sport und Geschäftsführer Wirtschaft. Dafür übernehme ich auch die Verantwortung. Aber der Präsident schießt keine Tore. Wir können nur die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs erhöhen.

Der Geschäftsführer Sport wirkt amtsmüde. Wäre der Verein auf einen Abschied von Günter Kreissl vorbereitet?
Günter Kreissl ist 24 Stunden für den Verein da. Das kostet viel Kraft, weil er das auf sehr arbeitsintensive Art und Weise macht. Wir haben vereinbart, dass wir diese Saison gemeinsam beenden. Aber der Verein muss natürlich auf einen etwaigen Abschied vorbereitet sein. Wir werden uns nach der Generalversammlung intensiv mit dieser Frage beschäftigen. Wir müssen damit rechnen, dass er meint, nicht mehr bereit zu sein. Eine Auszeit gestehe ich jedem zu.

Hat der Klub aktuell finanzielle Sorgen?
Nach dem Konkurs hatten wir ein Jahresbudget von knapp über sechs Millionen, jetzt fast das Dreifache. Ohne große Europacupeinnahmen – leider. Die kontinuierliche Entwicklung ist eine durchaus erfolgreiche. Wir wollen aber auch Nachhaltigkeit, Stichwort Infrastruktur.

Man hält das Thema Stadion ausdauernd am Köcheln. Wie sieht es aktuell aus?
In den kleineren Ligen Europas ist das Stadion die wichtigste Einnahmequelle, wirtschaftlich essenziell. Das zeigen uns auch die Wiener Klubs und Linz vor. Sturm wäre ohne Gruabn nie Sturm geworden. Wir brauchen also ein eigenes Stadion – sowohl wirtschaftlich als auch emotional. Wir wollen aber keine Millionengeschenke aus öffentlicher Hand.

Was wollen Sie dann?
Wir wollen eine gemeinsame Lösung, mit der wir auch unseren Damen und unserem Special-Needs-Team eine Bühne bieten können. Wir schätzen den Gemeinderatsbeschluss, Liebenau zu modernisieren, sehr. Aber wir wollen dort langfristiger Pächter werden. Und eine Situation schaffen, die sich wirtschaftlich und emotional für alle rechnet.

Wird es ein neues Stadion in Puntigam geben?
Als verantwortungsvoller Präsident beschäftige ich mich permanent mit Infrastrukturmaßnahmen. Durch den Verkauf von Gössendorf haben wir einen Nachholbedarf. Liebenau hat Priorität, da haben wir ein Millionenangebot vorgelegt.

Ein Millionenangebot an die Stadt? In welcher Höhe?
Unser Angebot sieht vor, den jährlichen sechsstelligen Verlust der Stadt Graz für Liebenau zu übernehmen und das für die nächsten 20 Jahre. Die Investitionen in neue Sky-Boxen würden wir zu 100 Prozent tragen. Das hat es wohl noch nie gegeben, ein Rekordangebot, das dem Wert von fast 15 Millionen Euro entspricht. Darüber hinaus zahlen wir an die öffentliche Hand jedes Jahr über sieben Millionen an Steuern und Abgaben. Warum soll es in Graz nicht auch ein neues Nationalstadion für Damen geben? Graz wäre prädestiniert. Die Damen hätten sich das mehr als verdient. Ich hoffe, mein Vorschlag wird auch in Wien vernommen.

In Sachen Stadion planen Sie also 20 Jahre voraus. Wie weit reichen die Planungen im sportlichen Bereich?
Wir haben intern einen Drei-Jahres-Zyklus. Man versucht, ein Grundgerüst der Mannschaft zu halten. Bei großen Erfolgen kommt man aber unter Druck, das haben wir 2018 erfahren. Dann muss man sich für einen soliden wirtschaftlichen Weg entscheiden, oder Risiko gehen und mitbieten. Wir haben in den letzten Jahren die zweitmeisten Titel geholt, das wird oft zu wenig geschätzt. Uns fehlt die Kontinuität, um jedes Jahr um Titel zu spielen. Realistisch ist das erst, wenn die Spannweiten der Budgets in Österreich geringer werden.

Derzeit hat Sturm aber das höchste Budget aller Zeiten.
Das heißt aber nicht automatisch, dass du sportlich reüssierst. Erfolg ist immer die Summe von vielen Einzelteilen. Wir wollen über unsere Möglichkeiten hinaus erfolgreich sein. Zwischen Erwartungshaltung und dem, was wirklich möglich ist, klafft immer eine Lücke.

Wie kann die Lücke geschlossen werden?
Das Modell unabhängig agierender Traditionsvereine ist selten geworden. Investoren sind sehr modern. Aber wir wollen unsere Entscheidungen weiter selbst treffen, das ist unglaublich wertvoll.

Hat es denn jemals Anfragen von Investoren gegeben?
Ich habe Anfragen aus Russland erhalten. Die investieren aber nicht aus Lust und Laune, die verlangen Mitsprache. Der Verein verliert Souveränität und Unabhängigkeit. Und was passiert, wenn am Tag X, wenn die große Rechnung präsentiert wird, der Investor sein Kapital zurückfordert? Diese Situation wollen wir nicht.

Wann sprechen Sie – sportlich gesehen – von einer gelungenen Saison?
Wenn wir besser sind als die Rahmenbedingungen. Das heißt: Erreichen der Europa-League-Gruppenphase. Wir erreichen ja häufig die Qualifikation, scheitern dann aber praktisch mit Ansage knapp oder weniger knapp. Es bedarf aber der Gruppenphase, um den nächsten Schritt machen zu können. Kein Sponsor kann derzeit so viel Geld bieten, wie man in der Europa-League- Gruppenphase verdienen kann.

Wie sehen Sie den Umgang mit jungen Sturm-Talenten?
Das Phänomen der Kritik kommt dann auf, wenn es unter den sportlichen Erwartungen läuft. Für jeden Trainer gilt es, den Spagat zwischen dem Erreichen der sportlichen Ziele und dem Einbau von Nachwuchsspielern zu bewältigen. Aktuell bin ich ganz und gar nicht zufrieden, dass wir nicht mehr von den eigenen Talenten im Team sehen. Man hat aber immer wieder auch Phasen, wo es Chancen für junge Spieler gibt.

Wie sehen Sie Trainer Nestor El Maestro?
Nestor lebt Fußball. Ich wünsche mir, dass die Mannschaft gleich hungrig nach Erfolg ist wie ihr Trainer.

Wann spielt Sturm denn Ihrer Ansicht nach erstmals im „eigenen“ Stadion?
Diese Frage könnte der Grazer Bürgermeister wahrscheinlich deutlich besser beantworten. Ich habe einen Traum, ja. Aber entscheiden muss diese Frage die Politik.