Auf den ersten Blick sieht es nur aus wie die traurige Seite des Fußballgeschäfts: Einen krassen sportlichen Rückschritt markiert Marko Arnautovic’ Wechsel vom englischen Premier-League-Klub West Ham United zum chinesischen Verein SIPG Shanghai. Schließlich würde, abgesehen von den zwei brasilianischen Ex-Nationalspielern Hulk und Oscar, kaum einer von Arnautovic’ neuen Mitspielern auch nur irgendwo in Europa einen Profivertrag erhalten. Den Ausschlag für die Unterschrift des Wieners gab offensichtlich die finanzielle Seite. Statt der bisher (kolportierten) 130.000 Euro pro Woche, die er in London bekommen hat, streicht Arnautovic in Schanghai fortan wohl 220.000 Euro ein.

Es gab schon viele Angebote

Dabei ist Arnautovic nur einer von vielen Topspielern, die in den letzten Jahren mit Summen nach China gelockt wurden, die selbst reiche europäische Klubs beinahe mittellos erscheinen ließen. Der argentinische Nationalspieler Carlos Tevez wechselte nach China ebenso wie der Brasilianer Alex Teixera, obwohl dieser noch ein Angebot vom FC Liverpool vorliegen hatte. Cristiano Ronaldo soll 2017 ein Jahresgehalt von 100 Millionen Euro geboten worden sein. Auch Arjen Robben, der bis zum Sommer für Bayern München spielte, berichtete einmal, er könnte in China sechsmal so viel verdienen. Das Geld des Fußballs, so scheint es zusehends, befindet sich in China. Und dort ist man bereit, es auszugeben. Schließlich will die aufstrebende Wirtschaftsmacht auch im Fußball oben mitspielen.

"Eine Gefahr für alle"

In Europa wird dieses Aufrüsten mit Kopfschütteln und Panik beobachtet. Ein Offizieller eines deutschen Bundesligaklubs attestiert den chinesischen Klubs, sie hätten „keine Ahnung von Fußball“. Antonio Conte, damals Trainer von Chelsea, also des Geldklubs par excellence, klagte vor gut zwei Jahren, nachdem seine beiden Starspieler Ramires und Oscar für zweistellige Millionenbeträge nach China gewechselt waren: „Wir sprechen hier von Zahlen, die einfach nicht richtig sind.“ Und: „Der chinesische Markt ist eine Gefahr für alle. Für alle Klubs der Welt, nicht nur für Chelsea.“ Beim Transfer von Marko Arnautovic stellen sich viele auch die Frage: Dreht sich im Leben denn alles um Geld?
Was außerdem auffällt: Zusehends sind in den letzten Jahren Spieler nach China gewechselt, die eigentlich noch jung genug gewesen wären, um in den stärksten Ligen der Welt eine wichtige Rolle zu spielen. So scheint es umso tragischer, dass Spieler offenbar bereit sind, ihre Karriere auf ein Abstellgleis führen zu lassen, sobald das Gehalt entsprechend höher ist als in den stärksten Ligen.

Ein Regierungspapier

Allerdings ist ungewiss, wie lange die Chinese Super League noch als sportlich schwache Klasse gelten wird. Denn wer nur etwas genauer hinsieht, erkennt in den fußballerischen Entwicklungen Chinas mehr als bloß wildes Investieren neureicher Gönner. Die Regierung in Peking gab 2015 ein Papier heraus, in dem das Ziel formuliert wurde, dass die Nationalmannschaft bis 2050 zur Weltspitze gehört. Eine starke A-Mannschaft, so ist man überzeugt, wird nur im Tandem mit einer starken Liga heranwachsen. Und dafür wiederum, auch das hat man verstanden, braucht es ein durchdachtes Nachwuchsfördersystem.
So steht in China unter anderem die größte Fußballakademie der Welt. Der Rekordmeister Guangzhou Evergrande bildet dort, mit dem Know-how mehrerer Trainer von Real Madrid, seit sieben Jahren täglich mehr als 3000 Kinder und Jugendliche aus. Die Anlage samt Internat und 50 Feldern sieht aus wie eine Art Disneyland für Fußball. Und weitere chinesische Klubs ziehen nach. Schließlich hat die Regierung vorgegeben, dass bis 2025 landesweit 20.000 Fußballschulen in Betrieb sein sollen. In Schulen wurde mittlerweile auch schon Fußball als Unterrichtsfach eingeführt.

Ausländerbegrezung

Und unter den 16 Erstligisten der Super League ist es schon jetzt keineswegs so, dass nur Ausländer auf dem Platz stehen, während chinesische Spieler zusehen müssen. Nachdem die überwiegend von chinesischen Immobilienkonzernen geführten Vereine über eine kurze Phase wie wild eingekauft hatten, begrenzte der Staat den Ausländeranteil pro Mannschaft auf vier Spieler. Zugleich muss immer mindestens ein Chinese unter 23 Jahren auf dem Platz stehen. Inländische Talente sollen an der Seite ausländischer Stars heranreifen.
Bis dieses Konzept greift, dürfte zwar mindestens ein Jahrzehnt ins Land des Lächelns ziehen. Und es ist nicht auszuschließen, dass den Sponsoren vorher das Geld ausgeht, falls das chinesische Wirtschaftswachstum allmählich erlahmt. Halten aber die für die fußballerische Wachstumsstrategie nötigen Investoren noch einige Jahre durch, ist es gut möglich, dass sich China tatsächlich zu einer respektablen Fußballnation mausern wird.

Abschied aus China

Schon jetzt ist kein Sport beliebter im Land. Werden die 160 Millionen Kinder im Grund- und Mittelschulalter gut ausgebildet, dürften dabei wohl einige Hochkaräter herauskommen. Und dann wäre die Chinese Super League auch nicht mehr das Abstellgleis, als das sie heute gilt. Ohnehin haben schon einige Spieler den Absprung zurück nach Europa geschafft. Letztes Jahr kehrte Carlos Tevez von Shanghai Shenhua zu seinem vorigen Klub Boca Juniors nach Argentinien zurück. Der belgische Nationalspieler Axel Witsel ging 2017 zu Tianjin Quanjian, ein Jahr später wurde er mit Borussia Dortmund deutscher Vizemeister. Mit einem Erstarken der Liga könnte sich China in den nächsten Jahren zumindest zu einer Zwischenstation fußballerischer Karrieren entwickeln, wie es für die oberen Spielklassen mittelgroßer Länder in Europa gilt.

Auf Marko Arnautovic wird das voraussichtlich nicht zutreffen. Bei SIPG Shanghai hat er für drei Jahre unterschrieben. Andererseits hat der Angreifer in seiner Karriere schon öfter einen unerwarteten Weg eingeschlagen. Und war dann dabei durchaus erfolgreich.