Ist er nur eine Illusion, der berühmt-berüchtigte Heimvorteil, oder sind die Zuschauer tatsächlich in der Lage, ein Fußballspiel maßgeblich zu beeinflussen? Noch nie zuvor in der Geschichte des Weltsports Nummer eins war es möglich, diesem grundlegenden Geheimnis so unmittelbar auf die Schliche zu kommen. Aber die Covid-19-Pandemie besteht nicht nur aus Schließungen, sie eröffnet auch neue Perspektiven.

Denn erstmals bestand nun die Chance, die Rolle der Fans bzw. ihren Anteil an Erfolg oder Misserfolg zu messen. Die Auswertung der Ergebnisse in den vier europäischen Topligen sowie in der österreichischen Bundesliga vor Corona sowie im Lockdown ergab dabei ein sehr differenziertes Bild, aber auch eine mehr oder weniger klare Tendenz. Der Heimvorteil existiert wirklich, aber nur mit Fans.

Die Qualität der Fans entscheidet

Das zeigt der von der Kleinen Zeitung vorgenommene unmittelbare Vergleich zwischen den Saisonen mit Zuschauern und jener noch laufenden Spielzeit ohne Publikum. Dabei ergeben sich auffällige Unterschiede mit einer besonders für die englischen Fans erfreulichen Erkenntnis. Das Ergebnis eines Spiels ist nicht allein abhängig von der bloßen Anwesenheit der Zuschauer. Die Qualität der Anhänger entscheidet sehr häufig über Sein oder Nichtsein, und hier lässt das Mutterland des Fußballs den Rest Europas weit hinter sich. Nirgendwo sonst fällt die Atmosphäre in den Stadien so sehr ins Gewicht wie in jenen der Premier League.

Gab es in der Saison 2019/20 in den 29 Runden vor dem Lockdown ein erwartbares Ergebnis von 128 Heim- und 87 Auswärtssiegen, so standen im Pandemie-Spieljahr im Vergleichszeitraum 108 Heimerfolgen gleich 114 Auswärtssiege gegenüber. Das Fehlen der Fans bewirkte eine Umkehrung der Verhältnisse – eine anhand der untersuchten Ligen einzigartige Erscheinung.

In der deutschen Bundesliga zeigte der Lockdown in dieser Hinsicht ebenfalls eine Verschiebung, die Ausprägung fiel aber wesentlich geringer aus. Ähnliches gilt für die spanische Meisterschaft, während sich die Fans in der italienischen Serie A auf den ersten Blick überhaupt nicht in den Ergebnissen niederschlagen. Dies ist allerdings darauf auf eine offenbar eher ungewöhnliche Saison 2019/20 mit einem geringen Anteil an Heimsiegen zurückzuführen. Im Vergleich zum Jahr davor fällt der Unterschied doch wieder ins Gewicht.

Ein "Schock" zum Einstand

Und die österreichische Bundesliga? Sie wurde zu Beginn der Umstellung offenbar von einer Schockwelle erfasst. Nachdem die heimischen Spielstätten nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr zu fanfreien Zonen erklärt worden waren, fiel die Bilanz im Play-off (Meister- und Qualifikationsgruppe) unglaublich deutlich zugunsten der Gäste aus. Es wurden 29 Auswärtssiege, aber lediglich 18 Heimerfolge registriert, bei 13 Remis. Ein ähnliches Bild wird übrigens von der deutschen Bundesliga aus diesem Zeitraum auf die Statistiktafeln geworfen (37 Auswärts- und 26 Heimsiege).

Spiele mit prall gefüllten Stadien sind auch auffällig stärker mit Gelben und Gelb-roten Karten belastet, entweder eine Folge der Emotionen oder die Beeinflussung der Schiedsrichter durch die Fans. In der gegenüber anderen Ligen signifikant fairer über die Bühne gehenden Premier League sank der Schnitt von 3,3 auf 2,9 Verwarnungen pro Spiel (836 ohne, 971 mit Fans, bei gleicher Rundenanzahl). Ebenfalls bemerkenswert: In der Lockdown-Saison war die Verteilung annähernd gleich. 419 Karten wurden den Heimteams, 417 den Auswärtsmannschaften gezeigt. 2019/20 endete dieses „Duell“ 445:526.

Das muss nicht auf eine Benachteiligung der Fans durch sogenannte Heimreferees zurückzuführen sein. Die Stimmung kann auch zu gesteigerter Aggressivität führen. In Österreich fiel der Schnitt von 4,4 auf 3,6 Gelbe Karten. Entweder geht es rauer zu als in England oder die Unparteiischen sind weniger nachsichtig.

Inzwischen gibt es Licht am Ende des Tunnels, denn die Fans kehren bald zurück. Dann wird der Spuk vorbei sein.