Sie ist unbestritten das Prunkstück des FC Salzburg, die Offensive. Doch der österreichische Meister musste sich in den vergangenen Wochen wiederholt der in diesem Fall unangenehmen Frage stellen, die in der heimischen Bundesliga eine bestenfalls untergeordnete Rolle spielt: Wie gut verteidigt das Team von Jesse Marsch?

Die nackten Zahlen belegen, dass die Salzburger ihre Abwehr allzu oft entblößen. Neun Gegentore musste die Mannschaft in drei Champions-League-Spielen zulassen, weil sich die Hintermannschaft als ausgesprochen fehleranfällig erwies. Und dabei stechen einige statistische Details besonders ins Auge. So benötigten die Gegner in der Königsklasse nur wenige Versuche, um gegen die Salzburger zum Torerfolg zu kommen. Schon Genk war beim 2:6 bei vier direkten Anläufen auf das Gehäuse zweimal erfolgreich, Liverpool traf bei fünf zielgerichteten Aktionen gleich viermal ins Schwarze und Napoli gelang beim 3:2 in der Red-Bull-Arena eine 100-Prozent-Trefferquote. Dreimal ging der Ball auf und gleichzeitig ins Tor. Ernüchternder kann ein solches Zahlenspiel kaum ausfallen.

Weniger Ballbesitz, mehr Gegentore

Der Zusammenhang mit der grundlegenden Spielausrichtung ist dabei unübersehbar. Denn während die Salzburger in der Bundesliga in allen bisherigen 13 Partien die (meistens klare) Ballbesitzmehrheit für sich beanspruchten – sie lag zwischen 53 (WAC) und 73 (Mattersburg) Prozent –, bietet sich dem Betrachter in der Champions League ein anderes Bild. Gegen Liverpool hatten die Salzburger nur 33 Prozent der reinen Spielzeit die Kontrolle über den Ball, gegen Genk kamen sie auf 45 Prozent und gegen Napoli war es immerhin die Hälfte. Das führt auf internationaler Ebene dazu, dass die Defensive wesentlich stärker beansprucht wird. Dieser Belastung ist das Team im herkömmlichen Meisterschaftsalltag so gut wie nie ausgesetzt.

Ein Faktum, das der Trainer zum Anlass nahm, sich bei den täglichen Übungen vermehrt der Defensivarbeit zuzuwenden. „Wir müssen besser verteidigen“, gab Marsch als Parole für das heutige Retourmatch in Neapel aus, und dabei nimmt er nicht nur die nominelle Abwehr mit Rasmus Kristensen, Andre Ramalho, Maximilian Wöber und Andreas Ulmer ins Visier. „Die ganze Mannschaft ist auch bei der Abwehrarbeit gefordert“, sagt der Trainer und geht daher vom Maximum aus, das da heißt: zu null zu spielen, eine für das vom Offensivspektakel genährte Team eher ungewöhnliche Haltung.

Vorne kann Marsch aber ohnehin auf seine Stützen vertrauen, allen voran Erling Haaland, der am Wochenende eine Halbzeit lang geschont wurde. Aber auch Patson Daka stellte mit den drei Treffern gegen Mattersburg seinen Torinstinkt unter Beweis. Die Ausgangsposition ist heikel, denn um die Chance auf das Achtelfinale zu wahren, braucht Salzburg wohl einen vollen Erfolg. Sollte dies nicht gelingen, würden der dritte Rang und die damit verbundene Qualifikation für das Sechzehntelfinale der Europa League in den Fokus rücken. Daran denkt in Salzburg aber vorerst keiner.