Durch Geisterspiele verliert die Gesellschaft die direkte Bindung zum Sport, kann das zu negativen Auswirkungen führen?

Otmar Weiß: Zuallererst muss man sagen: Es ist sicherlich besser, ein Geisterspiel abzuhalten als keinen Sport zu haben. Auch wenn die Ränge leer sind, ist der Umstand, dass überhaupt gespielt wird, sehr positiv zu betrachten.

Sie befürchten also nicht, dass die Bevölkerung die Bindung zum Fußball verliert?

Im Gegenteil! Durch die Massenkommunikation, die durch klassische wie soziale Medien Bestand einer modernen Gesellschaft ist, kann sich die breite Masse trotz Corona und Stadion-Abstinenz mit dem Sport sehr gut identifizieren.

Was ändert sich Ihrer Einschätzung nach für die Sportler, die nun bei "gespenstischer Stille" dem Ball hinterherjagen müssen?

Der große Vorteil des Sports im Allgemeinen ist ja, dass er von Bildern lebt. Die Sprache des Sports ist dabei die Körpersprache und nicht Fangesänge oder ähnliches, auch wenn wir alle das gerne haben.

Es gibt Überlegungen, Jubel und Gesänge über Lautsprecher einzuspielen. Was halten Sie davon?

Das mag eine nette Idee sein, muss aber nicht sein. Generell fokussiert sich der Sport oft zu sehr aufs ‚Drumherum‘ und nicht auf die eigentlichen Grundwerte des Sports selbst. Ich bin  einer der Fußballzuseher, die den Ton abschalten, wenn der Kommentator zu oft dazwischengrätscht. Zudem bin ich der Meinung, dass Fans an sich eine zu große Rolle zugeordnet wird. Man sollte diese nicht überbewerten. Der Sportler, in diesem Fall der Fußballer, ist ein selbstbestimmter Mensch.

Können Sie das etwas konkretisieren?

Der Sportler ist ein Mensch, und der Mensch ist ein Spieler. Fußballer, die jetzt auf den Rasen zurückkehren, tun das mit voller Freude und Begeisterung, endlich wieder spielen zu dürfen. Da ist das Drumherum nicht so wichtig, sondern es geht ausschließlich um die Grundprinzipien des Sports.

Von welchen Grundwerten des Sports sprechen Sie hierbei konkret?

Fairness und Gesundheit - das macht den Sport aus.

Ist die derzeitige Lösung nicht eine Abkehr von den Grundprinzipien? So sind vor allem Bezahlsender der große Gewinner von Geisterspielen und der Sport wird noch einmal mehr kommerzialisiert?

Das stimmt einerseits natürlich, jedoch braucht der Sport die Wirtschaft und die Wirtschaft braucht den Sport. Man kann hier von einer Symbiose oder einer Sportspirale sprechen. Immerhin würde der Spitzensport ohne die Wirtschaft ganz anders aussehen, er wäre gar nicht denkbar ohne diese Einflüsse. So fördern diese auch die Entwicklung des Sports.

Gibt es Grenzen für die wirtschaftliche Entwicklung? Stichwort: hohe Transfersummen?

Da kann man oder sollte man ganz klare Regeln vorgeben, die diese absurden Auswüchse begrenzen. Immerhin kommt hier wieder das Prinzip der Fairness zum Vorschein. Es braucht in diesem Bereich also ganz klare Regeln, die helfen, dass der Spitzensport fair ausgeübt werden kann – das ist mitunter das Wichtigste.

Welche Maßnahmen kann man setzen, um diese Entwicklungen einzudämmen?

Man sollte das überzogene Leistungsprinzip eindämmen und die Verantwortung dahingehend übernehmen, sich auf die positiven Werte des Sports zurückbesinnen. Das wäre neben den schon angesprochenen Punkten auch die Attraktivität des Wettkampfs. Nirgendwo sonst außer im Sport kann der Wettkampf derart friedlich ausgetragen werden. Negative Auswüchse, wie etwa Gier, sollen durch eindeutige Regeln oder Obergrenzen verhindert werden.