Das 2:1 in Schalke war Spiel Nummer 15 in Folge ohne Niederlage. Als einziger Verein, der noch international spielt, ist Frankfurt 2019 ungeschlagen. Mit 1,95 Punkten/Spiel sind Sie der erfolgreichste Frankfurt-Trainer aller Zeiten. Das sind schon einmal Ansagen?

ADI HÜTTER: Zumal wir ja in einer nicht einfachen Phase begonnen haben zu arbeiten. Nach dem Cuperfolg im Sommer gingen viele Leistungsträger, viele Nationalspieler kamen nach der WM erst spät zurück. Aber die Mannschaft hat es rasch geschafft, meine Ideen auf dem Platz umzusetzen und spielt begeisternden und attraktiven Fußball. Das macht mich schon stolz.

Filip Kostic, den Sie vom Stürmer zum Außenbahnspieler umfunktioniert haben, meinte über Sie: „Er hat nicht nur für mich eine neue Position gefunden, sondern das Spielsystem dem vorhandenen Kader angepasst.“ Warum klingt das bei Ihnen so einfach?

HÜTTER: Natürlich hat man am Anfang versucht, das zu implementieren, was wir in Salzburg und Bern gespielt haben. Aber ich muss nicht mit aller Gewalt meine Grundordnung durchpeitschen. Ein sehr wichtiges Merkmal eines Trainers ist es zu erkennen, welche Stärken du in deiner Mannschaft hast. Wir haben von Vierer- auf Dreierkette umgestellt. Wir haben mit Rebic, Jovic und Haller drei super Stürmer. Warum sollten wir nicht alle drei bringen? Das haben wir erstmals in Runde zehn in Stuttgart versucht – und 3:0 gewonnen.

Ein weiteres Merkmal ihrer Arbeit: Sie machen Spieler besser. Auf jeder Ihrer bisherigen Stationen haben Sie Ihrem Verein satte Gewinne beschert.

HÜTTER: Du steigerst deinen Wert, indem du Fakten lieferst. Und das sind nun einmal, Tore vorzubereiten und Tore zu erzielen. Wie komme ich zu dem? Das hat einerseits viel mit unserer offensiven Spielanlage zu tun. Und andererseits versuchen wir, die Jungs individuell zu verbessern. Das reizt mich. Denn wenn du den Einzelnen besser machst, macht das die gesamte Mannschaft besser. Mir macht es Spaß, Spieler weiterzuentwickeln.

Kostic ist wohl eines der aktuell besten Beispiele dafür?

HÜTTER: Filip steckte in einer Schublade: Mit Stuttgart abgestiegen, mit Hamburg abgestiegen. Als wir ihn geholt haben, glaubten viele: Jetzt steigt auch die Eintracht ab. Viele behaupteten auch, dass er menschlich schwierig ist. Stimmt überhaupt nicht. Es hat vom ersten Tag an gepasst. Er ist ein Topspieler, auf unserer linken Außenbahn eine Macht.

Ebenso wie Luka Jovic im Angriff, für den Topklubs 100 Millionen Euro locker machen würden?

HÜTTER: Luka wurde im Dezember erst 21, hat in der laufenden Saison in 26 Bundesligaspielen 17 Tore erzielt, sechs vorbereitet, dazu in der Europa League sieben Mal getroffen. Er ist eine Tormaschine. Klar, dass Topklubs wie Real, Barcelona, Bayern oder Manchester City die Angel nach ihm ausgeworfen haben. Dass bei uns im Becken gefischt wird, ist normal. Wir fischen ja auch in anderen Becken. Deshalb ist es für mich gang und gäbe im Fußball, dass gute Spieler dann manchmal auch schwer zu halten sind.

Schwer, aber nicht unmöglich – wie es Frankfurt bei Ante Rebic gezeigt hat?

HÜTTER: Jeder hat geglaubt, dass Ante als WM-Finalist mit Kroatien nicht zu halten ist. Die Eintracht-Verantwortlichen Fredi Bobic und Bruno Hübner haben es aber geschafft. Ante hat gesehen, was hier möglich ist. Und er hat mitgeholfen, dass wir da stehen, wo wir jetzt sind.

Rebic ist Serbe, Jovic Kroate, Haller Franzose. Insgesamt stehen im Kader der Eintracht Spieler aus knapp 20 Nationen. Wie funktioniert die tägliche Arbeit in der Praxis?

HÜTTER: Ich finde die unterschiedlichen Kulturen extrem spannend, ähnliches hatte ich ja auch schon in Salzburg und in Bern, das macht mir richtig Spaß. Frankfurt ist eine Multi-Kulti-Stadt, die Eintracht ein Multi-Kulti-Verein. Grundsätzlich versuchen wir, deutsch zu sprechen. Wir erwarten von den Spielern, dass sie Deutschkurse besuchen, die Sprache zu lernen. Das hat mit Respekt dem Land gegenüber zu tun, in dem ich bin. Zusätzlich haben wir aber auch einen Dolmetscher, der sechs Sprachen spricht. Im Endeffekt muss die Leistung gebracht werden. Das honoriert der Zuschauer. Auch dann, wenn kein deutscher Spieler dabei ist. Wenn du 20 Deutsche im Kader hast und Letzter bist, passt das auch nicht.

Einer, der keinen Dolmetscher braucht, ist Martin Hinteregger. Unter uns gefragt: Wie lief sein Wechsel zur Eintracht tatsächlich ab?

HÜTTER: Ich möchte ganz klar festhalten: Dass er seinen Wechsel provoziert haben soll, stimmt einfach nicht. Bis zu seiner Suspendierung in Augsburg haben wir keine Sekunde an Martin Hinteregger gedacht. Als klar war, dass er frei ist, haben wir uns im Verein intensiv damit beschäftigt. Bruno Hübner und Fredi Bobic sagten: „Ein guter Spieler.“ Ich habe gesagt: „Ein sehr guter Spieler.“ Ich kannte ihn schon von meiner Zeit als Salzburg-Trainer. Ich erinnere mich da an ein Europa-League-Spiel bei Celtic Glasgow. (Anm.: 3:1-Sieg am 27. November 2014). Ich hab‘ geglaubt, der spielt alleine gegen die dort. Er hat jeden Zweikampf, jedes Kopfballduell gewonnen, ist alles abgelaufen, hat richtig gut von hinten herausgespielt. Das war schon damals sehr beeindruckend. Wie auch nun seine Leistungen bei der Eintracht. Er spielt vom ersten Spiel weg hervorragend.

Dabei hatten Sie bei den Verhandlungen Konkurrenz aus Italien?

HÜTTER: Martin hatte neben der Eintracht noch weitere Optionen, unter anderem einen Mittelständler aus der italienischen Serie A. Seine Tendenz war da, Deutschland den Rücken zu kehren. Wir haben ihn in ein paar Gesprächen überzeugen können. Wenn man ihn heute fragt, ist er sehr glücklich, dass er sich für die Eintracht entschieden hat.

Was macht den Traditionsverein, der 1980 sogar den Uefa-Cup gewann, so besonders?

HÜTTER: Die Fans sind herausragend. Das spürst du schon, wenn du mit dem Bus ins Stadion fährst. Die Leute jubeln dir zu, das elektrisiert. Dann gehst du die Stiege rauf aufs Feld und hast das Gefühl, du spielst ein Europacup-Finale. Gänsehautstimmung. Auch auswärts. Das Kontingent, das der Verein vom Heimteam erhält, ist immer rasch erschöpft. In Mailand gegen Inter sind 13.000 Fans mit dabei.

Bei denen Sie - wie bei den Medien - bisher als abgeklärt und kontrolliert galten. Der Tritt gegen die Flasche im Heimspiel gegen Inter – verbunden mit Ihrer Sperre für das Spiel im San Siro – zeigte Sie in einem neuen Licht?

HÜTTER: Einige Medienvertreter haben gemeint: „Oha, so kennen wir den Hütter gar nicht, der zeigt auch Emotionen, kann sich aufregen.“ Diese Aktion hat meinem Image aber sicher nicht geschadet. Wenngleich das natürlich nicht entschuldbar und sicher anders zu lösen war. Es ist aber passiert. Dafür muss ich büßen. Die Sperre für das Spiel im San Siro tat eh weh genug.

Wobei es den Anschein machte, dass Sie der vierte Offizielle beim Inter-Spiel besonders gerne maßregelte?

HÜTTER: Das hat er aber auch mit Inter-Coach Spalletti gemacht. Wobei: Es ist nicht immer einfach. So recht kenn‘ ich mich nicht aus. Manchmal entscheidet der vierte Offizielle bei Spielen mit, overrult den Schiri am Platz. Manchmal konzentriert er sich nur darauf, ob du einen Schritt aus der Coaching Zone draußen bist.

Stichwort Coaching Zone: Auffallend ist, dass Sie sich bei Standards des Gegners gerne von der vordersten Kante nach ganz hinten links bewegen?

HÜTTER: Sehr gut beobachtet. Das ist ein Ritual, das ich schon seit vielen Jahren praktiziere. Hat aber keinen besonderen Grund. Vielleicht ist es einfach ein Zeichen an die Mannschaft: „Ich vertraue Euch, dass ihr diese Situation löst.“

Als Trainer lebt man sehr in der Gegenwart. Ist eine Art Karriereplanung überhaupt möglich?

HÜTTER: Zum Erfolg gehört dazu, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Als Trainer musst du mehr und öfter Erfolg haben als ein Spieler. Als Aktiver reicht oft eine gute Halbsaison und du bist nach vier Jahren noch immer für fünf Klubs interessant. Wenn du als Trainer bei drei, vier Stationen nicht erfolgreich bist, ist es so gut wie vorbei.

Wie wichtig ist für Trainer ein Berater?

HÜTTER: Ich bin sehr froh, dass ich Christian Sand und seine FC Selection habe. Wir arbeiten seit sieben Jahren, seit meiner Station bei Grödig, hochprofessionell zusammen. Christian ist ruhig, lässt sich nicht von Emotionen leiten. Er denkt strategisch und weit voraus: Was könnten die nächsten Schritte sein?

Und, welche wären Schritte wären das?

HÜTTER: Du musst immer neue Wege gehen, dich verbessern. Das ist ein ständiger Prozess. Zwei Dinge sind mir wichtig: Zum Einen habe ich bereits Erfahrung aus über 430 Spielen, davon über 40 auf internationaler Bühne. In diesen zehn Jahren war ich lediglich vier Monate ohne Job. Zum Anderen bin ich viel gefestigter. Anfangs machst du Fehler, das ist normal. Nur solltest du nicht zu viele und nicht immer die gleichen machen. Ich wollte in die deutsche Bundesliga. Jetzt bin ich bei der Eintracht. Da kommst du als österreichischer Trainer nicht so einfach hin. Und jetzt habe ich das Gefühl: Auch wenn ich irgendwann nicht mehr in Frankfurt sein sollte, gibt es immer noch Möglichkeiten bei dem einen oder anderen Verein. Das tut gut, verschafft Ruhe und Sicherheit. Dennoch darfst du dich nie ausruhen.

Wolfsburg 2009 in Deutschland, Leicester 2016 in England, Bern 2018 in der Schweiz. Immer wieder gibt es auf europäischer Ebene Überraschungsmeister. Ist dies in Deutschland auch mit der Eintracht möglich?

HÜTTER: Das ist eine wahnsinnig schwierige Aufgabe. Natürlich, Leicester war eigentlich gar nicht möglich, ein Weltwunder. Aber so etwas vorauszusagen, zu planen, funktioniert fast nicht. In Deutschland haben Bayern und Dortmund, die regelmäßig Champions League spielen, ganz andere Möglichkeiten. Was wir aber machen: Wir versuchen, jeden Tag bestmöglich zu arbeiten, das Maximum herauszuholen.

Verfolgen Sie die österreichische Bundesliga?

HÜTTER: Natürlich, nicht nur wegen meiner früheren Stationen in Altach oder Salzburg. Beim WAC gibt mit Christian Ilzer ein Mann die Kommandos, der – wie ich – von Christian Sand beraten wird. Wir telefonieren und schreiben uns regelmäßig. Er war bereits zwei Mal bei mir in Bern, nun auch in Frankfurt.

Haben Sie ein paar Tipps für ihn?

HÜTTER: Wir tauschen uns aus, können gegenseitig voneinander lernen. Ich halte Christian für ein großes Trainertalent. Das kann ich deswegen sagen, weil ich sehe, wie seine Mannschaft spielt und ich weiß, dass er sich unglaublich viel Gedanken macht. Er ist ein junger Trainer, hat sich alles pickelhart erarbeitet, hat ein breites Spektrum an Wissen und Erfahrungen. Das hilft ihm, ein sehr guter Trainer zu werden.

Ein sehr guter Trainer weiß auch, wo seine Mannschaft in der Tabelle steht – auch wenn so mancher gerne behauptet, diese nicht zu lesen.

HÜTTER: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich schau‘ jedenfalls drauf. Heute weißt du mit deinen Apps am Handy sowieso in der Zehntelsekunde, wann wo ein Tor gefallen ist. Klar ist: Jeden Bericht kannst du nicht lesen. Alleine in Frankfurt, wo das Interesse sehr groß ist, haben wir einen täglichen Pressespiegel mit 50, 55 Seiten. Ich habe aber mit Mario Lug einen Kommunikationsberater. Wir analysieren viel gemeinsam. Wie in allen anderen Bereichen ist es mir auch wichtig, sich im Umgang mit den Medien professionell zu verhalten und sich weiterzuentwickeln. Auch wenn der Aufwand hier sehr groß ist, komme ich damit gut zurecht.

Derzeit stehen Sie mit Frankfurt auf einem Champions-League-Platz. Den werden Sie ja halten wollen?

HÜTTER: Es wäre ja Wahnsinn zu behaupten, wir würden das nicht wollen – träumen ist immer erlaubt und es ja schon großartig für uns so kurz vor Ende der Meisterschaft darüber überhaupt reden zu können, wer hätte das im Sommer gedacht? Wir möchten uns einfach bis zum Schluss keinen Vorwurf machen müssen, nicht in jedem Spiel alles gegeben zu haben.