Brasilien hat ein neues Trauma und ringt um Fassung. Das 1:7-Debakel im Halbfinale der Fußball-Heim-WM gegen Deutschland hat bei der "Selecao" und ihren Fans tiefe Spuren hinterlassen. "Schande im Land des Fußballs", schrieb die Zeitung "O Dia", die "Folha de Sao Paulo" titelte: "Historisches Debakel." Für die Sportzeitung "Lance!" war es "die größte Schande in der Geschichte".

Seit dem Schlusspfiff in Belo Horizonte wird unter den 200 Mio. Brasilianern vor allem darüber diskutiert, ob das "Maracanazo" von 1950, als Brasilien vor 200.000 Zuschauern im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro in der letzten Partie mit einem 1:2 gegen Uruguay den Titel verspielte, schlimmer war als jener Auftritt am Dienstagabend im Estadio Mineirao.

"Das ist Sport. Das ist Fußball. Aber es ist schwer, auf diese Weise zu verlieren. Das war ein Tag der Demütigung", sagte Brasiliens bekanntester TV-Moderator Galvao Bueno. Ex-Stürmer Ronaldo, der bei Globo als Co-Kommentator fungierte und am Dienstag seinen Torrekord an Miroslav Klose verlor, sprach von einem sehr traurigen Tag. Aber er übte sich auch in Zweckoptimismus: "Wir sind der einzige Fünffach-Weltmeister. Wir können stolz sein, Brasilianer zu sein."

Die Protagonisten waren fassungslos. "Nach diesem Ergebnis, bei einer Weltmeisterschaft, die wir alle gewinnen wollten, kann ich nicht einmal weinen. Der Schmerz ist so stark, so groß, dass ich nicht die Kraft habe, zu weinen", erklärte der gelbgesperrte Kapitän Thiago Silva.

Als der WM-Gastgeber nach einer knappen halben Stunde mit 0:5 hinten lag, weinten viele Zuschauer in ihren gelben Shirts bereits bitterlich. Welche Rolle es gespielt habe, dass Superstar Neymar fehlte? Teamchef Luiz Felipe Scolari schüttelte den Kopf: "Es gibt nicht irgendeinen Grund zu glauben, dass mit Neymar alles anders gewesen wäre. Der ist Stürmer, der ist kein Verteidiger."

Für Dante geriet sein WM-Debüt zu einem Albtraum. "Das einzige, was wir tun können, ist um Verzeihung zu bitten", meinte der Innenverteidiger von Bayern München. Am Ende hatten selbst die Deutschen Mitleid mit ihrem Gegner. Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller trösteten ihren Clubkollegen Dante. Miroslav Klose nahm Scolari in den Arm.

"Ich habe zwar noch nie 7:1 verloren, aber kann mir ungefähr vorstellen, wie man sich fühlt, vor allem vor sehr vielen brasilianische Fans. Die Jungs tun einem da schon leid", meinte Müller. Das "Jogo bonito", das "schöne Spiel", hatte Brasilien bei diesem Turnier kaum gezeigt - im Halbfinale spielte die DFB-Auswahl in Anlehnung an Bundestrainer Joachim Löw "Jogi bonito" mit den Brasilianern.

Neben Mitleid, gab es auch tonnenweise Spott, der sich via Zeitungen, Twitter oder Facebook über die Selecao ergoss. Argentiniens Fußball-Idol Diego Maradona zeigte voller Schadenfreude sieben gestreckte Finger in die Kamera, auf einer Fotomontage stand die jubelnde deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel anstellte von Christus auf dem Corcovado-Berg hoch über Rio de Janeiro.

Staatspräsidentin Dilma Rousseff zeigte sich geschockt. "Wie alle Brasilianer bin ich sehr, sehr traurig über die Niederlage. Es tut mir immens leid für uns alle, für die Fans und unsere Spieler", twitterte sie nach dem Spiel, betonte jedoch auch: "Aber wir lassen uns nicht brechen. Brasilien, schüttel' den Staub ab und steh wieder auf."

Vor dem Spiel um Platz drei am Samstag in Brasilia muss sich die Mannschaft, bei der vor allem der total gefloppte Stürmer Fred bei jeder Ballberührung gnadenlos ausgepfiffen wurde, zunächst einmal wieder aufrappeln. "Mich interessiert der erste Platz, und wenn es nicht der erste ist, dann ist mir alles andere egal", stellte Ersatzspieler Dani Alves vom FC Barcelona klar.

Nicht überall in Brasilien ging es nach dem Debakel friedlich zu. Mancherorts kam es in der Nacht zu Ausschreitungen. In Sao Paulo wurden nach Medienberichten 23 Busse in Brand gesetzt, zudem wurde ein Geschäft für Elektrogeräte geplündert. Die Polizei habe sechs Menschen festgenommen, darunter vier Minderjährige. Bei den Fan-Festen in Rio de Janeiro und Belo Horizonte gab es nach dem Spiel Schlägereien und Zusammenstöße mit der Polizei.