"Wo waren Sie, als ...?", lautet eine oft gehörte Frage zu geschichtsträchtigen Ereignissen. Also: Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Anrufs, in dem Sie erfuhren, dass der Trade vollzogen worden ist?
MICHAEL RAFFL: Ich bin zu Scott Laughton, meinem besten Freund, weil er ja auf der Liste ganz oben gestanden war. Wir wollten uns verabschieden,  wussten nicht, was passiert und wo er landet. Und witzigerweise habe ich ihm vorgeschwärmt, dass er sich im Falle eines Trades freuen soll. Ich hab total gescheit geredet. Auf einmal erhielt ich eine SMS. Ich kannte mich null aus, die Trade-Deadline war vorüber. Und mein Name ist ja nie gefallen. Erst dann haben sich alle gemeldet, die GMs, die Trainer usw. Nicht einmal mein Agent wusste davon. So spielt sich das hinter den Kulissen ab. Laughton bekam am Ende eine Vertragsverlängerung. Und wer wurde getradet? Ich.

Gewähren Sie einen kleinen Einblick in Ihr Seelenleben. Was hat dieser Trade, dieser Wechsel von Philadelphia zu Washington bei Ihnen ausgelöst?
Nicht viele können sich vorstellen, wie sich so etwas anfühlt. Es war keine einfache Situation, getradet zu werden. Aber ich denke, dass man alles einmal durchlebt haben muss. Der erste Tag war richtig schwierig. Aber jetzt freue ich mich auf etwas Neues, das bringt frische Energie. Und die Capitals verfügen über eine starke Truppe, sie haben eine Chance, viel zu gewinnen.

Wann zeichnete es sich ab, dass sich dieser Transfer anbahnt?
Eigentlich gar nicht. Ich habe mit unserem General Manager (Chuck Fletcher, Anm.) gesprochen. Er versicherte mir, dass er mich sicher nicht um des Transfers willen loswerden will. Aber er meinte, wenn ein Titelanwärter Interesse zeigen sollte, dass er mich dann traden muss. Er war immer offen und ist ein geradliniger Typ. Somit war das für mich verständlich. Ansonsten läuft mein Vertrag einfach aus, und jetzt hat er einen Draft-Pick dazubekommen. So läuft das Business in der NHL.

Das klingt jetzt nicht nach überwältigender Freude. Wollten Sie das nicht, einmal diesen Tapetenwechsel, eine andere Stadt, einen anderen Klub?
Na ja, sonst hätte ich ja nicht immer wieder in Philly unterschrieben. Mir hats bei den Flyers schon gut gefallen. Aber es war wieder so ein Jahr, das nicht einfach gewesen ist. Und mein Vertrag läuft ja aus. Da kann man damit rechnen bzw. in der NHL musst du immer damit rechnen, getradet zu werden.

Wie sind die ersten Eindrücke von den Washington Capitals?
Alles neu. Andere Stadt, andere Mannschaft, neue Leute.

Haben Sie sich schon eingelebt?
Ich habe noch keine Partie spielen können, falls Sie das meinen. Die Jungs habe ich schon getroffen. Ich bin jeden Tag im Trainingszentrum, habe dort Reha. Seit Freitag bin ich wieder auf dem Eis, aber nicht mit der Mannschaft.

Was ist passiert?
Am Samstag vor dem NHL-Draft habe ich mir eine Oberkörperverletzung zugezogen. Prognosen sind schwierig, aber es sollte an und für sich nicht allzu lange dauern.

Haben Sie irgendwann damit spekuliert, wo Sie eventuell landen könnten?
Nie. Zudem habe ich mich eben am Samstag vor der Deadline verletzt. Bin am Sonntag in die Halle gefahren und habe mir auch offiziell den Verletzten-Status geben lassen.

Washington wollte Sie unbedingt ...
... Und es ist ein gutes Zeichen, gewollt zu werden. Deswegen hat es ja den Trade gegeben, aber nie Signale von den Capitals. Weder an mich oder an meinen Agenten Jerry Buckley. Ich habe nur den erwähnten Input von Fletcher erhalten. Er sagte, er wisse, dass ich die Familie in Philly hätte, dass ich seit acht Jahren hier sei. Und dass er mich nicht tradet, um mich loszuwerden.

Bei einem Trade passieren ja immer wieder einige kuriose Dinge. Bei Ihnen auch?
Mich hat etwa Paul Holmgren (Präsident der Philadelphia Flyers, Anm.) kontaktiert. Also derjenige, der mich damals in die NHL geholt hatte. Er hat nur schöne Dinge gesagt. Ich war nie emotional, aber nach diesem Telefonat habe ich eine Stunde gebraucht, um mich zu fangen. Er meinte, ich soll stolz sein und wenn ich jemals etwas brauche, soll ich ihn kontaktieren. Das hören nicht viele Spieler.

In Washington treffen Sie mit Peter Laviolette auf einen Trainer, den Sie kurz aus Philadelphia kennen. Gab es schon detaillierte Gespräche?
Gleich nach dem Trade eigentlich. Über Philly wurde nicht gesprochen. Wir haben uns ja nur im Vorbereitungscamp gesehen, ich war dann im Farmteam und als ich zurückgekommen bin, war er schon weg. Ich denke nicht, dass mit dem Thema Flyers schnell das Eis gebrochen werden kann. Da wollte ich nicht nachbohren.

Haben Sie mit ihm über Ihre Rolle bei den Caps gesprochen?
Natürlich. Er hat mir erklärt, warum sie mich geholt hatten, was sie von mir erwarten. Offenbar hat man mich detailliert gescoutet. Ich werde eine ähnliche Rolle erhalten wie in Philly. Man muss aber wohl auch auf die Chemie im Team achten.

Wie hat Ihre Familie auf diesen Transfer reagiert?
Diese Situation ist für niemanden leicht. Man kann eben nicht alles im Leben kontrollieren. Und diese Dinge liegen außerhalb meines Einflussbereichs. Also versuche ich, mich nicht lange damit zu beschäftigen, über Sachen, die ich nicht kontrollieren kann. Das ist in dieser Liga so, das muss man wegstecken können.

Andererseits: Sportlich gesehen könnten die Washington Capitals eine große Chance sein ...
Na ja, ich bin 2013 hierhergekommen, ungedraftet, habe einen Zwei-Wege-Vertrag unterschrieben, habe 500 NHL-Spiele für eine einzige Mannschaft gespielt, was eigentlich beispiellos ist für diese Liga. Also denke ich nicht, dass ich mich um meine Zukunft sorgen muss oder Stress hätte, dass ich irgendetwas für einen neuen Vertrag zeigen müsste. Ich will einfach nur gewinnen. Die haben eine ausgezeichnete Truppe, die haben gerade erst gewonnen. Das spürt man, wenn man in der Kabine herumgeht. Es gibt sehr viele routinierte Spieler. Und ich freue mich, dass ich etwas anderes sehe und vielleicht andere Dinge lernen, mitnehmen kann. Vielleicht ergeben sich neue Freundschaften. Für mich ist da viel Positives dabei.

Diese Atmosphäre in der Kabine ‒ Sie kommen, hart ausgedrückt, von einem Team, das öfters verloren hat, und spielen jetzt bei Gewinnern. Wie fühlt sich dieser Kontrast an?
Du kommst in die NHL und willst dich in der besten Eishockey-Liga der Welt halten. Doch irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, da willst halt gerne was gewinnen. Jetzt habe ich mit Washington wirklich die Chance, diesen komischen Pokal zu gewinnen. Noch habe ich die Burschen nicht gut kennengelernt. Das erfolgt dann erst im Training oder bei Spielen. Ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten. Um ihnen zu zeigen, wer du wirklich bist. 

Neben Ihnen sitzen klingende Namen: Alexander Ovechkin, Nicklas Bäckström etc. Flößt das Respekt ein?
Ich habe sie schon kennengelernt, sie waren alle lässig zu mir. Es gibt ja in vielen Eishockey-Teams geile Typen. Aber wenn du acht Jahre beim gleichen Klub spielst und dann wechselst ‒ da hat man ein flaues Gefühl im Magen. Aber sie waren wirklich super. Da bekommt man einen Push, trainiert noch einmal extra.

Früher Rivalen, jetzt Freunde ‒ geht das so einfach?
Sagen wir so, bei einigen Spielern bin ich wirklich froh, dass ich mit ihnen jetzt zusammenspiele. In Unterzahl wünscht man sich nicht, dass man sich in Ovis Schuss hineinknien muss. Oder etwa Tom Wilson, der dir den Kopf runterreißt, wenn man in der Ecke nicht auf der Hut ist. Ich freue mich auf Zdeno Chara, der Typ ist eine absolute Legende.

Der Kader der Capitals ist allerdings prall gefüllt. Droht Ihnen möglicherweise sogar die Zuschauerrolle?
Washington sagte, dass sie gewinnen wollen. Und sie haben gesagt, dass sie mich für die Play-offs holen und dass sie mir mit meiner Verletzung Zeit geben. Ich soll nichts überstürzen, weil die Verletzung ein bisschen lästig ist. Wenn ich bereit bin, dann kann ich spielen. Also, es würde wenig Sinn machen, wenn ein Cup-Contender tradet und dann denjenigen nicht spielen lässt. Aber die Zukunft wird es zeigen.

Wie hat sich Ihre Wohnsituation verändert?
Ich habe so ein Business-Apartment erhalten, also halb Hotel, halb Wohnung mit Küche, Wohnzimmer und alles, was man braucht. Dieses befindet sich zwei Gehminuten entfernt vom Capitals-Trainingszentrum in Arlington. Und hier spielt sich alles ab. Washington trainiert immer dort, sogar der Pre-Game-Skate findet in der Trainingshalle statt. Das macht vieles einfacher.

Haben Sie schon etwas von der Hauptstadt gesehen?
Nichts. Ich hatte so vieles zu erledigen und wirklich andere Sorgen, als mir in Downtown irgendetwas anzusehen.

Philadelphia, wo Ihre Familie derzeit lebt, ist eigentlich nur zweieinhalb Autostunden entfernt. Kommt pendeln infrage?
Nein, das ist zu weit weg. Ich traue mir das auch gar nicht zu, weil es einfach anstrengend wäre. Meine Familie darf glücklicherweise bis auf Weiteres in der Wohnung bleiben, die wir da haben. Ich mach vorerst mein Ding in Washington. Aber ja, notfalls kann ich wirklich hinfahren.

Vor wenigen Tagen haben Sie einen Meilenstein erreicht: 500 NHL-Spiele ‒ eine sehr beeindruckende Zahl. Haben Sie das schon realisiert?
Es blieb bei den Flyers leider nicht viel Zeit, sich über so etwas zu freuen. In Philadelphia waren die Erwartungen hoch, aber es ist halt wieder nicht so gelaufen, wie man es sich vorgestellt hatte. Mir haben viele Menschen gratuliert und mein Agent meinte, dass es nicht viele NHL-Spieler gegeben habe, die in dieser Rolle 500 Partien für einen Klub absolvieren. Ich bin ja kein Superstar mit einem Achtjahresvertrag oder so. Bei Philly habe ich vier Verträge unterschrieben, war immer in der gleichen Stadt, immer mit der gleichen Mannschaft.

Und Sie trugen immer wieder langwierige Verletzungen davon ...
Besonders heuer war es bisher schwierig. Die Hälfte der 40 Saisonspiele musste ich mit Schmerzmitteln bewältigen, weil ich gehofft hatte, dass wir trotzdem irgendwie die Wende schaffen. Aber jetzt will ich gesund werden und dann freue ich mich richtig, mit Washington zu gewinnen.