Ein neuer Job, ein neues Zuhause oder sogar ein neuer Partner? Wer weiß schon, was in einem Jahr alles passiert. Eine Ungewissheit, die quälend sein kann. Besonders für einen jungen Eishockeyspieler, dem ein Vertrag in der NHL winkt. Marco Rossi wirkt davon aber unbeeindruckt. Diese Reife und das Bewusstsein, dass sein Einflussbereich beschränkt ist, machen ihn schon jetzt zu einem außergewöhnlichen Athleten.

Vor einem Jahr übersiedelte der 17-Jährige in Kanadas Hauptstadt Ottawa, um sich seinen Traum vom NHL-Profispieler zu erfüllen und in die Fußstapfen von Michael Grabner oder Thomas Vanek zu treten. Gleich in seinem ersten Übersee-Jahr drückte Rossi der neuen Eishockeywelt seinen Stempel auf: 70 Spiele, 35 Tore, 52 Assists, drei Mal „Rookie des Monats“ - so lautet die imposante Ausbeute. Und all das trotz einer hartnäckigen Verletzung, die ihn zu einem Monat Pause gezwungen hatte. Einzig den OHL-Meistertitel verpassten seine 67's. „Auch wenn es am Ende enttäuschend gewesen ist, war es ein sehr erfolgreiches Jahr“, sagt Rossi, „und es lief viel besser, als ich es mir erwarten durfte!“

Die Umstellung auf die deutlich kleinere Eisfläche bereitete, anders als anfangs befürchtet, keine Probleme. Im Gegenteil: „Ich bin auf den ersten Schritten sehr schnell und benötige nicht viel Zeit mit dem Puck. Hier muss man ständig in Bewegung bleiben und schnelle Entscheidungen treffen. Das liegt mir. Ich bin ein cleverer Spieler und weiß, mit diesem ständigen Druck umzugehen“, strotzt der Center vor Selbstvertrauen. Das muss er auch, um hier zu „überleben“.

Jährlich versuchen Tausende Spieler, über Kanadas Nachwuchsliga in der Millionen-Liga NHL Fuß zu fassen. Nur die weltweit Besten schaffen den Sprung wirklich. Das Ausleseverfahren beginnt früh, Rossi befindet sich mittendrin. Um überhaupt so weit zu kommen, muss man Opfer bringen. Und so hat auch die Familie der Karriere von Marco praktisch alles untergeordnet.

Papa pendelte

Vier Jahre lang pendelte etwa Papa Michael Rossi, einst selbst Hockeyspieler in Diensten der VEU Feldkirch, täglich von Vorarlberg in die Schweiz, um den Sohn die bestmögliche Ausbildung bieten zu können. Denn aus dem Schweizer Nachwuchs kommen besonders viele NHL-Akteure, 2017 wurde Nico Hischier gar als Erster im Draft gezogen. „Wir sind da in vier Jahren rund 450.000 Kilometer gefahren. Ein Auto haben wir vernichtet“, erzählt der Papa. Manche legten das Engagement des stolzen Vaters als zu großen Ehrgeiz aus. Marco Rossi selbst hat dazu eine klare Meinung: „In Österreich gut zu sein, ist leicht. Mein Papa hat mir Camps in Schweden oder Finnland ermöglicht. Dort sieht man dann aber wirklich, wo man steht. Und ohne einen Vater, der viel Zeit und Geld investiert hat und mir nach wie vor immer zur Seite steht, wäre ich nicht da, wo ich bin. Mir fällt ja spontan Marcel Hirscher und dessen Papa ein. Die bilden seit jeher ein Team und werden von niemandem dafür kritisiert.“

Der Junior entwickelte sich in der eidgenössischen Eishockey-Obhut prächtig. Scouts wurden schon bald auf ihn aufmerksam. Papa Michael erzählt: „Milan Tichy (vom NHL-Klub Columbus Blue Jackets, Anm.) hat mich einmal gefragt, was wir mit Marco vorhätten, und er erklärte uns, dass er im NHL-Draft weit oben stehen könnte.“ Spätestens da explodierte das Interesse an Marco Rossi. Renommierte schwedische Teams wurden ebenso hellhörig. Aber als der Center 2018 im Draft der kanadischen Nachwuchsliga CHL an 18. Position von den Ottawa 67's gezogen wurde, war sein Weg nach Nordamerika geebnet.

Ein Villacher macht Rossi fit

Auch an Mama Claudia Rossi geht der Rummel um ihren Sohn nicht spurlos vorüber. „Ein Kind zieht aus - und nach ein paar Monaten kommt ein junger Mann zurück“, erzählt sie. Zumindest für ein paar Wochen kehrt er nun heim. In Klagenfurt wird er im Altis-Institut sportmedizinisch betreut, Ex-Profi Philipp Pinter überwacht die Einhaltung der Trainingspläne. Während des Sommers jettet Rossi zu Eishockey-Camps nach Ottawa und Florida, um sich bestmöglich auf seine vorerst wichtigste Saison vorzubereiten. 2018/19 blieb Rossi der mediale Hype in seiner neuen Eishockey-Heimat noch erspart. Ab Herbst wird jedoch ungleich mehr auf ihn einprasseln. Speziell, weil die Senators, der NHL-Klub Ottawas, im Jahr 2020 gleich über zwei Erstrunden-Picks im Draft verfügen. „Bei fast jedem Spiel sind Scouts dabei. Sie beobachten die Körpersprache der Spieler, ihr Verhalten abseits des Eises und fragen auch Mitspieler über das Auftreten in der Kabine aus, oft mit ganz sensiblen Fragen. Man wird halt auf Herz und Nieren getestet“, weiß Rossi.

Wenn am kommenden Wochenende die Entscheidung fällt, ob der US-Amerikaner Jack Hughes oder der Finne Kaapo Kakko beim NHL-Draft in Vancouver an allererster Position ausgewählt wird, darf Rossi die Beine noch hochlagern und beobachten. Für ihn selbst schlägt in einem Jahr die Stunde der Wahrheit. Dann wird sich die Ungewissheit über Rossis mögliche NHL-Zukunft klären. Deutet man die Zeichen richtig, kann das im Draft sogar recht schnell geschehen.