Sie haben beim ESV Lok Jüterbog im Alter von 6 Jahren mit dem Boxen begonnen. Hatten Sie damals, als junger Boxer in der DDR, schon den Traum Olympiasieger zu werden?
HENRY MASKE: Nein, das war keine Intention von mir, das ist damals noch völlig weit weg gewesen. Ich habe begonnen, weil mich ein Schulkamerad gefragt hat, ihn zu begleiten. Ich hatte vielleicht auch nichts Besseres zu tun. Er ging nach zwei Wochen, ich nach 26 Jahren.

Sie betonen immer wieder, dass sie schon früh im Sport Menschen fanden, die sie unterstützten. Aus dieser Motivation heraus ist auch ihre Stiftung „A Place for Kids“ zu verstehen. Ist das Ihre Art, ihr Glück zu teilen?
Auf jeden Fall. Ich hatte großes Glück, das merkt man erst im Nachhinein. Da waren Leute für mich da, die mir Vertrauen schenkten, die auch die Herausforderung mitgebracht haben, alles, was nötig war, bei mir zu entfalten. Ich habe Wege gefunden, meine Ziele zu erreichen. In dieser Form ist „A Place for Kids“ nicht machbar, wir können einen Step tun. Es gibt Teile der Gesellschaft, wenn die einmal aus ihrem Umfeld rauskommen, haben sie die Chance zu bemerken, dass es Menschen gibt, denen man vertrauen kann, die einem etwas zutrauen, die aber auch einfordern.

Als die Mauer fiel, taten sich auch für Sie neue Möglichkeiten auf, 1990 wechselten Sie ins Profilager. Wie würden Sie Ihren Beitrag bewerten, das Einheitsgefühl zwischen Ost und West als Identifikationsfigur zu stärken?
Ich selbst würde das nicht in dieser Form bewerten, weil ich die Intention so zu wirken nicht hatte. Es hat damals Menschen gegeben, die nach den ersten Anfängen gemerkt haben, dass es möglich sein kann unter den neuen Bedingungen Erfolg zu produzieren. Es hat auch damit zu tun, dass diese Menschen in der alten Zeit, in der DDR, etwas gelernt und mitgebracht haben, um zukünftig erfolgreich zu sein. Das ist aber nicht mein Ziel gewesen, sondern im Nachgang so interpretiert worden.

Am 20. März 1993 wurden Sie in einem Kampf gegen "Prince" Charles Williams zum IBF-Weltmeister. Was hat der Titel für Sie verändert?
Der Titel war für mich natürlich eine völlig neue Ebene, damit hatte ich die Tür aufgeschlagen. Weltmeister zu werden ist der erste große Schritt, Weltmeister zu bleiben die große Herausforderung, das ist mir eine Zeit lang gelungen. Ich muss gestehen, ich bin den Menschen, die den Mut hatten, offen auf die Straße zu gehen, das war in der DDR extrem mutig, total dankbar. Ich gehörte vor der Wende nicht zu denen, und ich war nicht der einzige, der nicht dazu gehört hatte. Ich hatte aber die Chance erkannt und den Mut gefasst, Profi zu werden und das war nichts, was im Vorfeld jemals auf dem Plan war. Selbstverständlich haben wir Muhammad Ali und andere erfolgreiche Profis als extrem wertvoll für den Sport betrachtet, aber, das war ein Gesetz: Für uns ist das nicht möglich. Um es möglich zu machen, war ich nicht bereit, das Land zu verlassen.

Henry Maske gewinnt gegen Charles Williams und wird 1993 IBF-Weltmeister
Henry Maske gewinnt gegen Charles Williams und wird 1993 IBF-Weltmeister © Imago/ Marianne Müller

Sie galten als „Gentlemen“ unter den Boxern, trugen zum Box-Boom in Deutschland bei, boxten sogar 1992 auf der Documenta IX in Kassel. War es Ihnen wichtig, Boxen salonfähig zu machen?
Es gab keine Alternative. Der Begriff salonfähig ist gerne gewählt worden. Fakt ist, man konnte nicht erahnen, was eine Situation wie auf der Documenta bedeuten würde. Die Documenta hat provoziert. Dass man aber einen Boxabend veranstaltet, in einem Land, wo den Boxsport nicht gerade ein hochwertiges Image begleitete, das ist auf der Documenta positiv und kritisch bewertet worden. Es hat auch den einen oder anderen Intellektuellen gegeben, der sich im Positiven geoutet hat und seine Meinung dazu gesagt hat. Das half uns. Bei mir sagte man, der Maske war ein sehr erfolgreicher Amateur, aber als Profi hat er keine Chance. Deswegen war die Documenta 92 sehr wichtig. Wir hatten dadurch etwas mehr Aufmerksamkeit.


„Wer ein klares Ziel vor Augen hat, strauchelt nicht.“ Nach dieser Devise machten Sie nach Ihrer Box-Karriere weiter: Erfolgreich als Unternehmer bei McDonalds (2019 verkauften Sie ihre zehn Filialen), erfolgreich als Testimonial, erfolgreich als Vortragender: Was treibt Sie an?
Ich muss gestehen, ich habe das große Glück, dass ich unfassbar früh mit etwas begonnen hatte, das später mein Beruf werden konnte. Im Alter von 6 Jahren war mir das nicht bewusst. Dass ich danach das Glück hatte, eine zweite gute Wahl als Unternehmer zu treffen, ist aus rückwirkender Sicht die absolut richtige Entscheidung gewesen. Jetzt beschäftige ich mich seit einem Jahr mit einer Boxsporttechnologie. Dadurch bekommen wir eine Qualität für den zukünftigen Akteur, den Boxer, die sich mein Trainer Manfred Wolke gewünscht hätte. Damit hätte Wolke eine Möglichkeit gehabt, bei jeder Trainingseinheit zu bewerten und die Dinge, die er sieht zu belegen. Ein 100 Meterläufer weiß wie lange er braucht. Das wissen wir in unserer Sportart nahezu überhaupt nicht, wir werden zukünftig mit dieser Technologie genau beurteilen, was wir getan haben.

Was möchten Sie Menschen bei Vorträgen mitgeben?
Die Kernaussage meiner Vorträge ist, was ich erlebt habe. Das, was Wolke mir vermittelt hat. Ich habe mir intensiv die Frage gestellt, ob ich das, was ich tun will, wirklich tun will. Dafür braucht man Mut, weil das Risiko groß ist. Bleibt man dabei oder korrigiert man eine Entscheidung und sucht Neues oder, was vielen nicht ganz klar ist: Eigentlich lieben sie, was sie tun, aber es ist ihnen nicht klar. Viele Dinge sind nicht immer glamourös, aber der Alltag gehört dazu.

Boxen hat viel mit Willen zu tun: Dennoch scheitern viele Profiboxer nach ihrem Ring-Leben. Henry Maske hat jedoch Erfolg um Erfolg gefeiert, warum?
Ich war nicht einzigartig. Aber ich habe mir Biografien angeschaut. Und da gab es jene, deren Wege mir gefielen. Ich habe mir die Frage gestellt: wann höre ich mit dem Sport auf? Das Leben bestand aus Sport, irgendwann würde das aber Schluss sein. Die Frage war: Wie steigst du aus? Wie wirst du dein Leben bestreiten? Es geht darum zielorientiert zu bleiben und deine Kernhaltung auf anderen Ebenen zu leben. Wenn du diese Haltung hast, dann habe ich es sehr deutlich kennengelernt, dass mein eigener Beitrag enorm ist. Die Verantwortung liegt letztendlich im großen Maße bei mir selbst. Mir wird geholfen, wenn ich mir helfe.

Der irische Boxweltmeister Barry McGuigan hat einmal auf die Frage, warum er Boxer ist, geantwortet: „Weil ich kein Dichter bin. Ich kann keine Geschichten erzählen.“ Henry Maske kann Geschichten erzählen, aber warum ist er Boxer geworden?
Das ist ein kompletter Zufall gewesen. Ich hatte jedoch viel Energie als junger Mensch. Ich bin im Boxen gelandet und hatte das große Glück, das dort ein Trainer war, der heute mit 80 Jahren noch immer Trainer ist, der mich wies und mich ließ. Das war für den Trainer herausfordernd, er hat mich nicht verjagt und mich bei Laune gehalten, ob gewollt oder ungewollt. Auch mein nächster Trainer war wichtig für mich, im Alter von 7 bis 13 Jahren. Solche Menschen sind unfassbar wichtig für eine mögliche Entwicklung des Kindes. Man merkt das oft nicht, aber wenn man reflektiert, habe ich Glück gehabt.