42 Kilometer lang ist für Eliud Kipchoge der Weg in die Sportgeschichte. Schafft es der Kenianer, am Samstag als erster Mensch einen Marathon in weniger als zwei Stunden zu laufen, dann ist ihm der Heldenstatus sicher. Er würde damit eine Schallmauer im Sport durchbrechen.

Die Leistung, die es dafür braucht, bleibt für Unbedarfte abstrakt, für Hobbyläufer utopisch und selbst für Österreichs schnellsten Marathonläufer Lemawork Ketema (2:10,44 Stunden) „ungreifbar“. In Zahlen: Kipchoge wird bei einem Kilometerschnitt von 2:51 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp über 21 km/h durch die Prater-Hauptallee fliegen. Oder anders: 422 Mal – ohne Pause – hundert Meter in 17 Sekunden.

Eliud Kipchoge scheint wie gebaut dafür. Er ist relativ klein und leicht gebaut. Sein Körper kann Kohlehydrate bestens speichern, er hat einen ökonomischen Laufstil, der bei hohem Tempo vergleichsweise wenig Energie verbraucht. Und er trifft auf laborhafte Rahmenbedingungen.

Christoph Triska vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien hat die Strecke analysiert. Sein Schluss: Mit insgesamt 26 Höhenmetern bergab und lediglich zwölf Höhenmeter bergauf herrschen optimale Bedingungen für eine neue Bestmarke. Zudem wird die exakte Startzeit am Samstag in der Früh penibel an die lokalen Wetterverhältnisse angepasst. Als optimal gilt eine Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent bei Temperaturen zwischen sieben und 14 Grad.

Kipchoge - der "Grenzen-Sprenger"

Dazu kommt, dass Kipchoge Erfahrung damit hat, Grenzen des Machbaren zu sprengen. Denn ginge es nach Wissenschaftlern, bewegt sich der kenianische Ausnahmeathlet längst in Sphären des „Trans-Statistischen“. Bei 2:03,14 Stunden zog der französische Biomediziner Jean-Jacques Toussaint vor einigen Jahren das Limit der Leistungsfähigkeit im Marathon. Diese Zeit ist längst Makulatur. Der auf einer vom Weltverband anerkannten Strecke und unter normalen Wettkampfbedingungen aufgestellte Weltrekord liegt bei 2:01,39 Stunden – aufgestellt von Eliud Kipchoge.

Kipchoge (2.v.r) und drei seiner Pacemaker beim Strecken-Check im Wiener Prater
Kipchoge (2.v.r) und drei seiner Pacemaker beim Strecken-Check im Wiener Prater © INEOS 1:59/Facebook


Usain Bolt, vor zwei Jahren zurückgetretene Ikone der Sprint-Szene, ist auch so ein Grenzsprenger. Toussaints errechnetes Limit über die 100 Meter lag bei 9,726 Sekunden; Bolt trommelte die Strecke in 9,58 Sekunden auf die Tartanbahn.

Die - auffallend ausgeschilderte und abgesperrte - Strecke in der Prater-Hauptallee
Die - auffallend ausgeschilderte und abgesperrte - Strecke in der Prater-Hauptallee © Jungwirth

Aber wie lange kann die von Publikum und Medien sensationshungrig begleitete Bestzeitenjagd fortgesetzt werden? Droht das Ende der Rekorde?

„Jedes biologische System hat seine Grenzen“, steht für den Berliner Sportmediziner Dieter Böning fest. Beim Marathon ist es das Herz und der damit verbundene Sauerstoffumsatz, im Sprint der Anteil an schnellen Muskelfasern.

Ab 2060 keine Weltrekorde mehr

Untermauert wird diese Hypothese durch eine in Frankreich publizierte Studie, bei der 3260 Weltrekorde in fünf Disziplinen (Leichtathletik, Radsport, Gewichtheben, Schwimmen, Eisschnelllauf) analysiert wurden. Demnach habe man im Jahr 2027 in 50 Prozent der Sportarten den Punkt erreicht, an dem nicht mehr mehr geht. Ab dem Jahr 2060 seien generell keine neuen Weltrekorde mehr zu erwarten – sofern man nicht auf Tausendstelmessung im Sprint, Hundertstelmessung im Marathon oder Gramm im Gewichtheben umschwenkt.

Die Wellen an Bestleistungen, wie sie durch bessere Ernährung nach dem Krieg oder (Staats-)Doping bis in die 1980er-Jahre losgetreten wurden, gehören also der Vergangenheit an. Was bleibt, sind klinische Versuche wie die „Ineos 1:59 Challenge“ am Samstag in Wien. Schafft es Kipchoge unter zwei Stunden zu bleiben, sind es Sekunden für die Ewigkeit.