Die Proteste stellen eine ernste Herausforderung für die Regierung von Adel Abdel Mahdi dar, der vor knapp einem Jahr ins Amt kam. Anders als frühere Proteste scheinen sie spontan zu sein, ohne dass eine Partei dahintersteckt. Am Mittwoch rief allerdings der radikale Prediger Moktada al-Sadr zu einem "Generalstreik" und "friedlichen Sitzblockaden" auf. Er hatte bereits 2016 eine breite Protestbewegung in Bagdad mobilisiert.
Die Sicherheitskräfte setzen seit Dienstag Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Allein in der südirakischen Stadt Nassiriyah und der umliegenden Provinz Dhi Kar wurden laut den Rettungskräften zehn Demonstranten und ein Polizist bei den Unruhen getötet. Vier weitere starben in Amara, zwei in Khut und zwei in Bagdad. Landesweit wurden zudem knapp 800 Menschen verletzt.
Die Behörden verhängten in der Nacht eine Ausgangssperre für Bagdad und mehrere Städte im mehrheitlich schiitischen Südirak. Der sunnitische Norden ist bisher nicht von den Protesten erfasst. In weiten Teilen des Landes ist das Internet unterbrochen, über das die Aufrufe zu den Protesten verbreitet worden waren. Der Ausfall des Internets erschwerte den Demonstranten die Koordination und den Austausch von Informationen.
In der Hauptstadt Bagdad feuerte die Polizei erneut in die Luft, um dutzende Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz zu vertreiben, wie ein AFP-Reporter berichtete. "Wir haben hier geschlafen, damit die Polizei den Platz nicht einnimmt", sagte ein Demonstrant, bevor er von der Polizei in eine Seitenstraße abgedrängt wurde. In Bagdad wie in anderen Städten im Südirak setzten die Demonstranten Reifen in Brand.
Vor dem Morgengrauen gab es laut Sicherheitskräften zwei Explosionen in der Grünen Zone in Bagdad, wo viele Ministerien und Botschaften liegen. Die Grüne Zone war erst vergangene Woche von zwei Raketen getroffen worden. Anhänger von Moktada al-Sadr hatten sie 2016 bei Protesten besetzt. Die Polizei riegelte das Gebiet, das im Juni nach 15 Jahren wieder für die Bevölkerung geöffnet worden war, am Mittwoch komplett ab.
Die UN-Sondergesandte für den Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, traf einige der Demonstranten und rief anschließend zu einem "direkten Dialog" mit der Regierung auf. "Die Fähigkeit, das Demonstrationsrecht zu bewahren, ist ein Zeichen politischer und demokratischer Reife", sagte sie. Der Einsatz von Gewalt schüre nur die Wut. "Es braucht dringend Deeskalation."
Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es in der südirakischen Großstadt Basra heftige Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft gegeben. Viele Teile des Landes haben nur wenige Stunden Strom am Tag und vielerorts ist das Wasser knapp. Jeder Vierte Jugendliche ist arbeitslos, während riesige Summen durch Korruption versickern. Seit der US-Invasion 2003 sollen 410 Milliarden Euro veruntreut worden sein.