Ich würde gerne mit „Good News“ starten. Fallen Ihnen positive Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit für die Stärkung von Frauen ein?
LAURA WIESBÖCK: Der Feminismus ist in der Popkultur und in den Massenmedien angekommen. Das gab es vor zehn Jahren nicht, dass sich etablierte Sängerinnen auf die Bühne gestellt haben und im Hintergrund stand groß „Feminist“. Auch die #MeToo-Debatte hat einiges verändert und die ungleiche Behandlung von Frauen stärker in den öffentlichen Fokus gebracht.


Und für Österreich?
Da wird es ein bisschen schwieriger.


Es gab 2018 ein Frauenvolksbegehren, das von 482.000 Menschen unterzeichnet worden ist.
Ich war dazu im Gleichbehandlungsausschuss. Es ist schwierig, zu den vielen Forderungen mit der aktuellen Regierung einen Konsens zu finden. Umso wichtiger ist die Initiative.


Wie ist Ihr erster Eindruck?
Für mich zeigen sich Werte überwiegend in Taten. Zwar fallen vonseiten der Koalitionsparteien häufig Aussagen wie „Alleinerziehende sind uns wichtig“, politisch werden aber gegenteilige Maßnahmen ergriffen. In Oberösterreich, wo die FPÖ mitregiert, wird Kinderbetreuung am Nachmittag erschwert. Lässt man Taten sprechen, sieht man, dass frauenpolitische Anliegen keinen Stellenwert haben.


Aber ist das so neu?
Frauenpolitische Agenden in Österreich hatten in den letzten Jahren nie Priorität. Jetzt wird allerdings versucht, bereits erreichte Ziele rückgängig zu machen. Es wird etwa diskutiert, ob Spätabtreibung nicht mehr straffrei sein soll – ein massiver Eingriff in die Autonomie des Frauenkörpers.


Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie geht es Frauen bei uns?
Das kann man nicht so allgemein beantworten. Frauen sind in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt, besonders in der Familie. Kinder sind für Frauen ein Ticket in die Armutsfalle. Mit der Geburt des ersten Kindes sinkt ihr Einkommen langfristig um die Hälfte. Männer spüren dagegen bei der Familiengründung keine finanziellen Einbußen.


Und im Bereich Arbeit?
Frauen arbeiten in höherem Ausmaß Teilzeit und in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen. Zusätzlich übernehmen sie den Großteil an unbezahlter Arbeit wie Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege. Das hat langfristig existenzielle Konsequenzen, wie verstärkte Armutsgefährdung und Altersarmut.


Wo müsste man ansetzen?
Es muss auf allen Ebenen etwas passieren. Möchte man zum Beispiel forcieren, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, ist es wichtig, die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern zu ermöglichen, durch aufgeteilte Karenzzeiten, Kinderbetreuungsmöglichkeiten und familienfreundlichere Arbeitsmodelle. In Schweden funktioniert das Modell des „Topsharing“, des Führen in Teilzeit, sehr gut und ist mit höherer Arbeitsmotivation verbunden.


Schweden galt lange als Vorbild für die Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Nach wie vor?
In Schweden wird Väterkarenz als Arbeitsmarktvorteil gesehen. Wenn ein Mann in Karenz war, bedeutet das, dass er organisiert und belastungsfähig ist und die Zeit im Job effektiv nützen wird. Von so einer positiven Signalwirkung für Arbeitgeber sind wir in Österreich weit entfernt.


Im Dezember 2018 waren nur 3,8 Prozent der Bezieher von Kinderbetreuungsgeld Männer. Wie kann man diese Zahl erhöhen?
Wir können eindeutig sehen, dass freiwillige Angebote nicht funktionieren. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen aber, dass eine verpflichtende Karenz für Männer für alle sinnvoll ist: Mütter, Kinder wie auch Väter selbst.

Die promovierte Soziologin beim Interview in Graz
Die promovierte Soziologin beim Interview in Graz © Ballguide/Gregor Hiebl


Streitapfel Quotenregelung: Was würde denn diese aus wissenschaftlicher Sicht bringen?
In Norwegen gibt es eine Quote von 40 Prozent Frauen in Vorständen. Das funktioniert hervorragend. Man hat gesehen, dass Frauen im Vorstand eine formal höhere Qualifikation als die Männer haben. Es mangelt also nicht an kompetenten Frauen, sondern es stecken andere Mechanismen dahinter. In Führungspositionen sitzen oft nicht die Besten der Branche, sondern die Besten aus Männernetzwerken, oder die, die Chefs an ihr jüngeres Ich erinnern.


Theoretisch können Frauen alles erreichen, US-Präsidentin oder Kanzlerin werden. Sie können lieben, wen sie wollen, und Kinder kriegen oder nicht. Wie weit ist es um die Freiheit bestellt?
Theoretisch stimmt das. Die Realität zeigt sich allerdings nicht durch die rechtliche Lage, sondern die gesellschaftliche Praxis.


Was für einen Feminismus braucht es im Jahr 2019?
Es gibt nicht den einen Feminismus, sondern viele unterschiedliche Ansätze. Die gemeinsame Forderung ist, dass sich traditionelle Geschlechterrollenbilder auflösen – das ist im Sinne aller. Denn viele Männer stehen unter Druck, die alten Bilder von Männlichkeit aufrechtzuerhalten und ihre verletzlichen Gefühle, Ängste und Leid zu verdrängen, weil es als „schwach“ gilt.


Wie kann man das erreichen?
Wir dürfen Buben nicht auf den Typus Held und Abenteurer hintrainieren, und Mädchen auf den Typus der schutzbedürftigen Prinzessin. Buben, brauchen auch Vorbilder in sorgenden Berufen, wie Pfleger, Kindergärtner, Volksschullehrer. Und parallel dazu bedarf es mehr Frauen in Führungsrollen, in Politik, Wirtschaft, Medien.


Erleben wir einen Backlash?
Diesen können wir in allen rechtspopulistischen Regierungen sehen, die mit einem dominanten, einseitigen Männerbild agieren. Einem, das versucht, die Rechte der Frauen zu beschneiden, um sie ins Private zurückzudrängen. Ursache: Minoritäten gewinnen zunehmend an Rechten. Homosexuelle können heiraten, Frauen verstärkt am Berufsleben teilnehmen. Die Privilegien der weißen Männer sind nicht mehr so wirkungsvoll. Sie versuchen, die alten Strukturen wiederherzustellen.


Von Instagram bis Intim-OPs: Der weibliche Körperkult hat gerade wieder Hochkonjunktur.
Es ist kein neues Phänomen, dass der weibliche Körper zur Problemzone gemacht wird, um damit Produkte zu verkaufen. Regelmäßig werden neue körperliche No-Gos erfunden – wie kleine Fettdepots im Bereich der Achseln oder schlaffe Knie – um die Lösung gleich mitzuverkaufen. Influencerinnen sind Teil dieser konsumkapitalistischen Maschinerie. Sie werden von Unternehmen bezahlt, um Produkte zu bewerben. Über Instagram wird ein starker kultureller Druck ausgeübt, einem propagierten Ideal zu entsprechen.


Welche Folgen hat das?
Es wird eine kommerzialisierte Weiblichkeit verherrlicht und Abweichungen abgewertet. Eine aktuelle Studie zeigt, dass traditionelle Rollenbilder befördert werden: Die bekannten Influencerinnen befassen sich überwiegend mit Mode, Schönheit und Ernährung, die Influencer eher mit Comedy, Gaming und Politik.


Wie kann man das weibliche Selbstbewusstsein stärken?
Indem man aufhört, Frauen abzuwerten und gewaltvoll zu begegnen, und sie stattdessen als gleichberechtigte Individuen wahrnimmt und Chancengleichheit ermöglicht. In anderen Worten: Es müssen nicht Frauen daran arbeiten, mehr Selbstbewusstsein zu haben, sondern Männer aufhören, an der Unterdrückung von Frauen mitzuwirken.