Hitlers "Mein Kampf" auf Indisch, Hebräisch oder als Hochzeitsausgabe, gelesen, an die Wand projiziert und auf alle möglichen Bedeutungen abgeklopft – was das Rimini Protokoll am Donnerstag im Grazer Schauspielhaus beim "steirischen herbst" mit dem Buch gemacht hat, war sehenswert. Akribisch wurden Fakten gesammelt und so präsentiert, dass der Abend trotz aller Schärfe sehr unterhaltsam war.
Das Buch kennt fast jeder, gelesen haben es die wenigsten. Was die Gruppe Rimini Protokoll unter dem Titel "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" zusammengetragen hat, war daher wirklich sehenswert. Anlass für die Auseinandersetzung mit dem Werk war die Tatsache, dass die Urheberrechte mit Anfang 2016 abgelaufen sein werden. In Deutschland und in Österreich entstanden Diskussionen darüber, ob und wie man dieses Buch – das trotz aller Verbote jederzeit leicht erworben werden konnte – der Öffentlichkeit zugänglich machen soll.
Der Theaterabend demonstrierte zu Beginn die Vielfalt der Ausgaben, die in verschiedenen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Schon allein die zahlreichen Exemplare, darunter eine Erstausgabe, ein Exemplar in Blindenschrift, ein Dünndruck-Buch und vieles mehr, was auf der Bühne gestapelt wurde, waren interessant. Das Lachen über so manch eine Kuriosität blieb einem aber im Hals stecken als demonstriert wurde, wie leicht und absolut problemlos man beispielsweise in Graz innerhalb einer Stunde an das Buch kommt. Auf ganz altmodische Weise in einem Geschäft, da muss man noch gar nicht die Internet-Ausgabe lesen oder online bestellen.
Die Aufführung, die vor einer Wand mit Fächern, ausklappbaren und an die Verstecke auf einem Dachboden erinnernden Elementen stattfand, setzte sich spielerisch mit der Verbreitung von "Mein Kampf" auseinander, mit der Rechtslage und auch mit der unterschiedlichen Bedeutung des Inhalts in verschiedenen Kulturen. Dazu tanzen Buchstaben immer wieder über die Wand, als bestünde die Gefahr, darin unterzugehen. Eindringlich, weil emotionsbefreit und sachlich, wurden einige Stellen vom blinden Darsteller Christian Spremberg vorgelesen, vieles wird dargelegt, aber nicht unbedingt bewertet. So wie jede Figur ihre eigene Geschichte hat, gibt es auch die unterschiedlichsten Zugangsweisen, ob von einem in Deutschland beheimateten gebürtigen Türken oder einem jungen Mann in Israel, der das Buch aus ganz unterschiedlichen Gründen spannend findet.
Durch Andeutungen, Querverweise, Fakten und noch mehr Fakten entstehen aber letztlich doch Bilder, und vor allem Persönlichkeiten, die bei der Auseinandersetzung mit "Mein Kampf" ganz nebenbei ihre eigenen Geschichten auf spannende Weise skizzieren. Ein gerade in seiner Nüchternheit beeindruckender Theaterabend.