Nach einer Sondierungswoche hat sich die Wiener SPÖ dazu entschieden, mit den Neos Koalitionsverhandlungen über eine neue Regierung aufzunehmen. Nach zehn Jahren einer rot-grünen Regierung in Wien ist Bürgermeister Michael Ludwig also dazu bereit, ein neues politisches Experiment zu wagen.

In einer Pressekonferenz im Anschluss an die Vorstandssitzung der SPÖ am Dienstag erklärt Bürgermeister Michael Ludwig die Beweggründe für die Entscheidung seiner Partei. Zwar seien die Sondierungsgespräche mit allen drei Partnern, also auch mit den Grünen und der ÖVP, atmosphärisch gut verlaufen, inhaltlich habe sich aber sehr bald ergeben, bei welcher Partei die größten inhaltlichen Schnittmengen mit der SPÖ vorhanden sind. 

Im roten Parteipräsidium wurde daher einstimmig beschlossen, dass ein "mutiger neuer Weg" mit einer "Reformkoalition" zusammen mit den Neos angestrebt wird, so Ludwig, der auch von einem "Signal für die Zukunft der Stadt" spricht. Im Parteivorstand hat es zwei Gegenstimmen gegeben. Überzeugt hat Ludwig bei den Neos als Partner vor allem, dass es "möglich sein wird, neue Schwerpunkte zu setzen und die Herausforderungen durch die Coronakrise gemeinsam zu meistern."

In gesellschaftspolitischen Fragen war man sich mit den Neos in den Sondierungsgesprächen sehr schnell einig, auch in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten wird man auf einen gemeinsamen Nenner kommen, gibt sich der Bürgermeister zuversichtlich.

Wiederkehr freut sich auf "konstruktive Verhandlungen"

Neos-Parteichef Christoph Wiederkehr zeigte sich in einer ersten Reaktion auf die bevorstehenden Verhandlungen erwartungsgemäß erfreut. "Wir haben seit unserer Gründung vor acht Jahren sowohl in der Opposition als auch mit einer Regierungsbeteiligung in Salzburg bewiesen, dass wir ein verlässlicher Partner sind."

Im Wahlkampf habe er Ludwig als jemanden mit Handschlagqualität kennengelernt, sagt Wiederkehr. Dementsprechend optimistisch ist er, dass in den nächsten Tagen konstruktive Verhandlungen stattfinden werden.

Inhaltlich gehen die Wiener Neos ihrerseits mit mehreren Forderungen in die Verhandlungen. Es gehe erstens darum, die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt bestmöglich zu managen. Außerdem fordert Wiederkehr einen "großen Wurf" im Bereich der Bildung, die ihm ein "Herzensanliegen" ist. Auch das Schaffen von mehr Transparenz ist ihm ein großes Anliegen. "Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der es einen gläsernen Staat gibt und keinen gläsernen Bürger", so der Wiener Neos-Chef. Über Posten in der künftigen Regierung will Wiederkehr vor Abschluss der Verhandlungen nicht sprechen.

Hebein glaubt weiter an Rot-Grün: "Unsere Türen bleiben offen"

Die noch amtierende Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein glaubt indes noch nicht, dass eine rot-grüne Neuauflage durch die Entscheidung der SPÖ vom Tisch ist. "Unsere Türen für mögliche Verhandlungen bleiben offen", betont Hebein am Dienstagnachmittag. 

Der Schritt von Ludwig sei zwar kein erfreulicher, allerdings sieht sie zwischen Rot und Pink inhaltliche Differenzen. "Künftig wird es vielleicht mit den Neos darum gehen zu streiten, ob doch mehr Spitalsbetten abgebaut werden sollen. Das brauchen wir in der Coronakrise nicht", so Hebein. "In punkto Gesellschaftspolitik und Gesundheitspolitik passt nach wie vor kein Blatt Papier zwischen den Grünen und der SPÖ. Zwischen den Neos und der SPÖ liegen hier ganze Papierfabriken." 

Trotz des Zwists um die autofreie Innenstadt sieht Hebein "keine Inhalte, die mit der SPÖ nicht überbrückbar sind. Die gibt es bei Rot-Grün seit zehn Jahren nicht". Man solle daher im Hinblick auf einen rot-pinken Pakt nicht den Tag vor dem Abend loben.

Die Koalitionsgespräche mit den Neos wird Bürgermeister Ludwig umgehend beginnen. Bis Mitte November soll die neue Koalition in der Bundeshauptstadt stehen.