Seit dem Wahlsonntag arbeiten sich die deutschen Medien an Sebastian Kurz ab. Jetzt hat es der Wahlgewinner sogar aufs Cover des „Spiegels“ geschafft. Ein wenig schmeichelhaftes Schwarz-weiß-Foto im Hitchcock-Stil mit schwarzem Halbdunkel ziert die Titelseite der Österreich-Ausgabe, ergänzt durch die Frage: „Herr Kurz, sind Sie sich manchmal unheimlich?“

Sieben Journalisten hat das Hamburger Wochenmagazin für die Story aufgeboten, gleich drei, darunter der Außenpolitikchef und einer der Chefkolumnisten, reisten zum Interview im Außenministerium in Wien an. Warum das Interesse? Ist es sein jugendliches Alter, sein messianisches Auftreten? Oder ist Österreich frei nach Karl Kraus wieder einmal die Versuchsstation des Weltuntergangs?

Kurz habe nicht nur seine Partei entrümpelt, er wolle nun auch Österreich und Europa auf den Kopf stellen, konstatiert der Spiegel. Die Motive sind aus Sicht der Hamburger Kollegen wenig schmeichelhaft. „Nein, Sebastian Kurz ist kein Nazi, auch kein Rassist“, so der Magazin in Anspielung auf Analysen der Süddeutschen Zeitung und des Falters. „Kurz ist ein konservativer Karrierist....Die prägendste Ideologie, die man ihm zuschreiben kann, ist der Opportunismus.“

Warum sich die deutschen Medien auf Kurz stürzen, die Antwort liefert der Spiegel selbst: Für viele in der Union verkörpere Kurz „das Gegenmodell zur deutschen Kanzlerin.“ Vor allem in der CDU und noch mehr in der CSU schielt man nach Österreich. „Die Kanzlerin weiß, dass ihr mit Kurz ein Konkurrent erwachen ist, nicht nur in Brüssel, sondern im Streit um den richtigen Kurs in der eigenen Partei.“ im nächsten Jahr wählt Bayern. Wie die CSU eine noch kantigere Politik verfolgen  und gleichzeitig einer Jamaika-Koalition angehören soll, bleibt ohnehin schleierhaft.

Beim Gipfel der Europäischen Volkspartei in Brüssel war es in den Couloirs ebenso ein Thema: dass sich ein Mitglied der christdemokratischen bzw. konservativen Parteienfamilie in rechte Gefilde vorwagt, ob der Flüchtlingskrise teils tief verunsicherte Bürger anspricht und damit Wahlen gewinnt. Das ist eine Bankrotterklärung der etablierten Politik. 

Vielleicht ist Kurz die Antwort auf das Zaudern der konservativen Politik, Macron die Antwort auf das Versagen sozialdemokratischer Politik - nach Österreich verliert nun auch Tschechien den roten Regierungschefs, damit sind nur noch fünf (!) von 28 EU-Ländern sozialdemokratisch regiert (Italien, Schweden, Portugal, Slowakei, Malta.)

Freilich: Macron und Kurz müssen erst ihre Versprechen einlösen. Die Erwartungshaltung der Wähler ist groß - und somit auch die Fallhöhe.