Haben Sie eine türkise Alleinregierung  mit grünem Mascherl gebildet?
SEBASTIAN KURZ: Wir haben eine türkis-grüne Regierung gebildet mit einem sehr guten Programm. Wir werden unser Land zum Positiven verändern.

Der Koalitionspakt enthält viele Zumutungen für die Grünen, die ÖVP hat weniger zu schlucken?
KURZ: Der Pakt spiegelt das Wahlergebnis wider. Es haben ja nicht zwei Parteien miteinander verhandelt, die gleich groß sind. Wir hatten 37 Prozent, die Grünen 14 Prozent bei der Wahl. Deshalb ist es naheliegend, dass wir in elf Ressorts die Verantwortung übernehmen, die Grünen in vier. Inhaltlich konnten beide Parteien ihre Wahlversprechen umsetzen: die Grünen im Bereich der Transparenz und im Kampf gegen den Klimawandel, wir mit unserer Politik der Steuersenkung, der Entlastung der arbeitenden Menschen, unserer konsequenten Linie im Bereich der Migration und Integration.


Hätten Sie den Grünen nicht mehr Luft zum Atmen geben können?
KURZ: Wer sich wo durchgesetzt hat, das ist eine Frage von vorgestern. Es gab Themen, für die wir mit breiter Mehrheit gewählt worden sind, wo wir die Kompetenz mitbringen und klar die Linie vorgeben. Und dann gibt es Bereiche, wo die Grünen Kompetenz einbringen, die Linie vorgeben – Bereiche, die schlicht und ergreifend notwendig sind wie eben Umwelt und Klima.


So von vorgestern ist die Frage, wer sich wo durchgesetzt hat, nicht. Im Umfeld des Grünen Bundeskongresses gab es schon heftige Debatten?
KURZ: Die Zustimmung am Grünen Bundeskongress war aber sehr eindeutig.


Sie haben bis zuletzt betont, dass die FPÖ keine Koalitionsverhandlungen wollte. Heißt es, die Grünen waren die zweite Wahl?
KURZ: Überhaupt nicht. Wir haben nach der Wahl alle Optionen durchdiskutiert. Nachdem die Freiheitlichen Koalitionsverhandlungen ausgeschlossen haben, die Sozialdemokraten zwar dazu bereit gewesen wären, die Lage in den Reihen der SPÖ unübersichtlich ist, war uns klar, dass Verhandlungen mit den Grünen die richtige Entscheidung  sind. Es hat sich ausgezahlt, dass wir uns die notwendige Zeit genommen haben. Es ist ein Ergebnis, mit dem ich mehr als zufrieden bin.


Bedauern Sie, dass es mit der FPÖ nicht möglich war?
KURZ: Ich bedauere, dass freiheitliche Skandale, die Korruptionsvorwürfe, das Liebäugeln mit Machtmissbrauch und Korruption im Ibiza-Video zum Zusammenbruch der letzten Regierung geführt haben. Inhaltlich hatten wir viel weitgebracht. Es liegt an der FPÖ, sich selbst zu verändern, um die Korruptionsanfälligkeit hinter sich zu lassen.


Haben Sie in der Verhandlungen je den Grünen das Messer ansetzen müssen – nach dem Motto: Wenn ihr nicht wollt, habe ich immer noch einen Plan B oder C?
KURZ: Das ist nicht meine Art, Politik zu machen. Wir haben respektvoll miteinander verhandelt. Für mich war klar, eine Regierungsbeteiligung der Grünen bedeutet eine Intensivierung des Kampfes gegen den Klimawandel und das Bestreben, auf diesem Gebiet Vorreiter in Europa werden zu wollen. Die Grünen wussten, dass es mit uns nur eine Regierung gibt, wenn die Steuerlast gesenkt wird, die arbeitenden Menschen entlastet werden, wir unsere konsequente Linie im Bereich Integration und Migration fortsetzen können.


Wie haben Sie Grünenchef Werner Kogler in den Verhandlungen erlebt?
KURZ: Als einen Überzeugungstäter, der sehr klare Vorstellungen hat, der vielfach anders tickt als ich, mit dem man auf respektvolle Art sehr unterschiedliche inhaltliche Zugänge diskutieren kann, der Handschlagqualität besitzt und der auch einen guten Schmäh hat.


Wie haben Sie die Grünen als Partei erlebt?
KURZ: Natürlich ist es eine andere Welt. Bei den Personen hängt es davon ab, ob jemand Regierungsverantwortung hat oder nicht.


Wie haben Sie Birgit Hebein, die Chefin der Wiener Grünen, erlebt?
KURZ: Wir haben inhaltlich in den meisten Fragen vollkommen konträre Positionen, aber wir haben auf menschlicher Ebene stets eine sehr gute Gesprächsbasis gehabt. Selbst wenn Welten zwischen uns liegen, fand ich die Gespräche immer interessant.


Zur umstrittenen Sicherungshaft: Einige Grünen insinuieren, dass die Präventivhaft nicht kommt, weil zuvor die Verfassung geändert muss und das nicht vereinbart wurde. Kommt die Sicherungshaft?
KURZ: Es kommt, was wir vereinbart haben. Ich kenne Werner Kogler gut genug, dass ich mich auf sein Wort verlassen kann. Wir werden mit dem Tag der Angelobung an die Arbeit gehen. Der sensiblen Frage der Sicherungshaft tut eine emotionale, mediale Debatte nicht gut. Wir werden das Thema in aller Ruhe mit Experten vorbereiten. 15 europäische Länder kennen eine solche Maßnahme. Wir wollen den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit, in einigen wenigen Fällen menschenrechtskonform, präventiv aktiv werden zu können.


Es bedarf aber einer Verfassungsänderung?
KURZ:Wir werden die Sicherungshaft in aller Ruhe umsetzen.


Einige Grüne argumentieren, dass nicht alle „Grauslichkeiten“, die der Koalitionsvertrag enthält, das Licht der Welt erblicken werden, weil man wegen der Einstimmigkeit im Ministerrat alles blockieren kann. Was sagen Sie dazu?
KURZ: Ich gehe davon aus, dass Werner Kogler zu seinem Wort steht und freue mich auf die Zusammenarbeit.


Sie haben wiederholt, man habe das Beste aus zwei Welten vereint. CO-2-Steuer, Klimaneutralität 2040, die ökosoziale Steuerreform tragen die grüne Handschrift. Heißt es, das sind die Zumutungen, die die ÖVP akzeptieren muss?
KURZ: Zumutungen akzeptiere ich grundsätzlich nicht. Wir haben ein gutes Programm geschnürt. Wir sind nicht denselben Weg wie Rot und Schwarz gegangen, wo man sich gegenseitig auf Minimalkompromisse herunterverhandelt hat und wo am Ende von der eigenen Identität nichts übrig geblieben ist. Wir haben es anders gemacht und Bereiche definiert, wo die eine oder andere Partei die Themenführerschaft übernimmt und den Kurs vorgibt. Das ist gut so, alles andere hätte nicht funktioniert. Wenn man so was nicht schafft, bliebe nur der Weg in eine autoritäre Staatsform, die ich radikal ablehne, oder ein Mehrheitswahlrecht, das es in Österreicher leider nicht gibt. Solange Koalitionen gebildet werden müssen, ist es notwendig, sich auf etwas zu verständigen.


Wenn die Grünen beim Klima- und Umweltschutz den Takt vorgeben wie sehr stehen Sie hinter den grünen Maßnahmen?
KURZ: Zu hundert Prozent.


Wollen Sie als Öko-Kanzler in die Geschichte eingehen?
KURZ: Ich möchte, dass wir als Republik drei Ziele schaffen: Erstens eine konsequente Linie in der Migration, weil es nicht egal ist, wer bei uns lebt. Zweitens die nötige Wettbewerbsfähigkeit, die dazu führt, dass die Menschen Arbeit haben, die Steuerlast so gesenkt wird, damit den arbeitenden Menschen genug zum Leben bleibt, dass unsere Sozial- und Pensionssystem auch langfristig finanzierbar bleibt. Drittens ein respektvoller Umgang mit der Umwelt und der Schöpfung.


Müssen Sie als türkis-grüner Kanzler nicht ihre Rhetorik im Vergleich zu Türkis-Blau ändern?
KURZ: Ich bin, wer ich bin. Ich habe nicht vor, mich verbiegen zu lassen. Die Volkspartei ist immer noch die Volkspartei. Ich habe auch nicht vor, Werner Kogler zu bekehren. Das funktioniert in Beziehungen nicht, in der Politik schon gar nicht.


Kommen die Öko-Maßnahmen wirklich? Papier ist geduldig, und viele Arbeitskreise tagen?
KURZ: In einem ersten Schritt haben wir uns auf eine Ökologisierung der Pendlerpauschale, der Nova, der Flugticketabgabe verständigt, in einem zweiten Schritt wird eine Taskforce eine ökosoziale Steuerreform vorbereiten, die Mitte der Legislaturperiode umgesetzt wird.

Sie wollten nie neue Abgaben. Jetzt gibt es Ticketsteuer, und das Fliegen wird teurer?
KURZ: Die Kurzstrecke wird teurer.


Sind alle Maßnahmen im Verkehr, der Stundentakt bei der Bahn, der 3-Euro-Öffi-Ticket ausfinanziert?
KURZ: Ja.


Letzte Frage: Gibt es eine Nebenabsprache, aus der hervorgeht, sollte es sich arithmetisch nach der Wien-Wahl ausgehen, dass ÖVP, Grüne gemeinsam mit den Neos das Projekt des roten Wien beenden und einen Nichtroten zum Bürgermeisten machen?
KURZ: Lassen wir die Wählerinnen und Wähler entscheiden.