Was ist los in der Bundes-SPÖ? Am Donnerstag gab es das Gerücht, Rendi-Wagner stehe vor dem Aus. Die Niederösterreicher waren erbost über die Art und Weise, wie diese Kündigungswelle abgewickelt wurde?
MICHAEL LUDWIG: Gerüchte gibt es immer, niemand von uns spricht gerne Kündigungen aus. Prinzipiell muss sich auch die SPÖ an wirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren. Das ist absolut keine leichtfertige Entscheidung gewesen, sondern war bedingt durch das Wahlergebnis und die damit verbundenen Kürzungen der Parteiförderung. Aber es ist klar: Wir lassen niemanden im Stich.

Die Parteichefin bleibt?
Ja.

Bis auf Weiteres?
Sie ist mit hoher Zustimmung gewählt worden, und es gibt keine Veranlassung, das zu relativieren.

Beherrscht Rendi-Wagner das Handwerk als Parteichefin? Sie hätten das anders gemacht.
Sie hat in einer schwierigen Situation die Leitung der Partei übernommen und kämpft wie eine Löwin. Alle, die meinen, es besser zu können, sollten das formulieren. Ich habe bis jetzt noch niemanden getroffen.

Ist Zeiler eine Option?
Er hat mehrfach die Frage, ob er an der Funktion Interesse hat, deutlich verneint.

Was läuft falsch? 21,8 Prozent bei der Nationalratswahl sind eine Katastrophe?
Es ist unbestritten, dass das Ergebnis ein schlechtes war. Wir befinden uns seit längerer Zeit in Österreich und in anderen Ländern in der Diskussion, wie es in Zukunft weitergehen kann. Das umfasst inhaltliche Fragen, aber auch Fragen der Organisation, der Kommunikation. Ich halte es für richtig, dass wir in der Bundespartei einen Reformprozess gestartet haben.

Wie soll die Partei neu ausgerichtet werden?
Wir müssen die Lebensbereiche der Menschen auch politisch begleiten. Das sind Fragen der Arbeitswelt, des Wirtschaftsstandortes, der Gesundheit, der Pflege.

Herr Lercher fordert eine Neugründung. Ist das eine gute Idee?
Nein. Ich halte nichts davon und habe ihm das auch unter vier Augen gesagt. Ich bin stolz, dass wir eine historisch gewachsene Partei sind mit einer langen Tradition. Ich halte von einer Neugründung gar nichts.

Ist nicht das Problem der Sozialdemokratie, dass sie ihre Mission in Europa erfüllt hat?
Das sehe ich überhaupt nicht so. Wir haben viel erreicht, aber es kommen neue Herausforderungen auf uns zu, etwa die Verteilungsfrage, die Situation des Arbeitsmarktes, die digitale Revolution. Die Sozialdemokratie ist die politische Kraft, die diese Herausforderungen am besten bewältigen kann.

Warum zeigt die Erfolgskurve der SPÖ dann nach unten? Ist die Glaubwürdigkeit verloren gegangen? War man zu lange Kanzlerwahlverein?
Wenn man sich die Entwicklung von politischen Parteien ansieht, merkt man, dass es immer dialektische Prozesse gibt. Die Sozialdemokratie hat nach vielen Jahren der erfolgreichen Regierungstätigkeit eine Phase der politischen Schwäche. Ich bin überzeugt, dass wir aus dieser Schwäche die Konsequenzen ziehen.

Personell muss man keine Konsequenzen ziehen?
Wenn Sie die Parteispitze meinen, stellt sich die Frage derzeit nicht.

Derzeit?
Das ist immer so. Wir sind alle auf Abruf. Man braucht sich in der Politik nicht der Illusion hingeben, dass man bis zur Pension in einer Funktion tätig ist. Das gilt für mich genauso wie für alle anderen, die in der Politik tätig sind. Wir sind zeitlich befristet mit Macht ausgestattet.

Klingt das nicht ein bisschen wie: Augen zu und durch?
Nein, wir sollten konstruktiv nach vorne blicken.

Bräuchte die SPÖ einen Wunderwuzzi à la Kurz?
Ich glaube nicht an Wunderwuzzis, ich sehe allerdings, dass die ÖVP derzeit sehr gut organisiert ist.

Besser als die SPÖ auf Bundesebene?
Ja, aber man darf nicht ungerecht sein. Sebastian Kurz hat über Jahre hin auf diese Funktion hingearbeitet, und er hat sich nicht durch besonders solidarisches Verhalten in seiner eigenen Partei ausgezeichnet. Politik ist immer ein Kommen und Gehen. Ich habe schon viele Höhenflieger wieder sinken gesehen. Das ist wie beim Bergsteigen, ich grüße alle, die auf den Berg hinaufsteigen, denn die treffe ich auch wieder beim Hinuntergehen. So ist es auch in der Politik. Ein Auf und Ab.

Hat die SPÖ in der Migrationspolitik nicht eine zu schwammige Linie verfolgt?
Wir haben in der Migrationsfrage ein gemeinsames Papier erarbeitet, das lautet „Integration vor Zuzug“.

Der geneigte Wähler sieht es womöglich anders. Braucht es keine Nachschärfung?
In der Politik muss man immer nachschärfen.

Die dänische Sozialdemokratie vertritt einen radikaleren Kurs?
Wenn man sich genau anschaut, was die dänische Sozialdemokratie umgesetzt hat, unterscheidet sich das nicht gravierend von dem, was wir in Regierungsverantwortung umgesetzt hatten.

Sollte Kurz mit den Grünen eine Koalition eingehen, wäre es eine Belastung für Rot-Grün in Wien?
Wir haben ein sehr gutes Klima innerhalb der Koalition, und ich bin zuversichtlich, dass das keine negativen Auswirkungen auf Wien hat.

Sollten die Gespräche mit den Grünen scheitern, stünde die SPÖ dann zur Verfügung?
Ich bin immer der Meinung gewesen, dass die Sozialdemokratie eine staatstragende Partei ist und auch Verantwortung für die Republik übernehmen soll, aber nicht um jeden Preis.

Wackelt das rote Wien?
Ich bin überzeugt, dass wir auch nach der nächsten Gemeinderatswahl die Verantwortung für unsere Stadt übernehmen. Ich rechne nicht mit einer absoluten Mehrheit, aber die bestimmende Kraft werden wir auch nach der Wahl bleiben.

Bei der NR-Wahl hatten ÖVP, Grüne und Neos erstmals eine Mehrheit von 53 Prozent. Ist das denkbar, dass sich diese drei Parteien nach der Wien-Wahl zusammentun und die SPÖ den Bürgermeister verliert?
Das ist denkbar. Darum werde ich alles daransetzen, dass sich das rechnerisch nicht ausgeht. Der Klubvorsitzende der Neos hat angekündigt, alles zu unterstützen, um einen nicht sozialdemokratischen Bürgermeister in Wien herbeizuführen. Das werden wir zu verhindern wissen mit allen demokratischen Mitteln.

Haben Sie die Befürchtung, dass es einen Abfluss in Richtung Grüne gibt wie in der Steiermark, oder bei der Nationalratswahl? Sind die Grünen auf dem Weg zur neuen linken Volkspartei?
Die Grünen sind in einem politischen Höhenflug, überall in Europa. Das hängt mit der Themenkonjunktur zusammen. Ich glaube nicht, dass die Grünen im Bereich der Sozialpolitik auch nur annähernd die Kompetenz der Sozialdemokratie übernehmen können.

Bei der Nationalratswahl war der Abfluss sehr stark?
Die Mobilität der Wähler ist höher geworden, insbesondere in urbanen Räumen wie Wien. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Wiener Bevölkerung den Eindruck hat, dass sie mit uns gut fährt. Ich bekomme fast täglich Preise aus aller Welt, dass Wien die lebenswerteste Stadt ist, die innovativste.

Wann wird gewählt?
Ich halte es nicht für rasend vertrauenswürdig, dass man aus persönlichen oder strategischen Gründen vorgezogene Wahlen vom Zaun bricht.

Sie hoffen, dass die Grünen in die Regierung gehen und sich bis zum Herbsttermin abnützen?
Das haben Sie gesagt.

Wenn nach einem heißen Sommer gewählt wird, könnten die Grünen noch stärker profitieren?
Es kann einen heißen Frühling geben, einen kalten Sommer, also nach dem Wetter richte ich keinen Wahltermin aus.

Rechnen Sie damit, dass auch Strache antritt?
Kann es das Ziel für einen ehemaligen Vizekanzler sein, mit einer Splittergruppe im Gemeinderat zu sitzen? Ich verstehe seine persönliche Situation, aber ob das eine Lebensperspektive ist, wage ich zu bezweifeln.