Joe Biden hat die US-Präsidentschaftswahl gewonnen. Doch Donald Trump will das Ergebnis nicht anerkennen.

Dass Donald Trump 2016 definitiv kein Betriebsunfall war, wie manche behaupten, bestärken auch die Zahlen bei dieser Wahl: 74 Millionen Amerikaner stimmten für Joe Biden, 70 Millionen aber auch für Donald Trump. Einen Abstand von vier Millionen nennt man in einem Land mit knapp 330 Millionen Einwohnern wie den USA einen hauchdünnen Sieg.

Aber was bedeutet Joe Bidens Wahlsieg nun aber für die USA? Und was kann Verlierer Donald Trump in der Übergangszeit noch ausrichten? Oder besser gesagt: Was kann er noch anrichten?

Österreichs Botschafter in Washington D. C., Martin Weiss, und der in New York ansässige Politik-Analyst und Korrespondent der Kleinen Zeitung, Franz-Stefan Gady, erklären im Video-Interview, vor welchen Herausforderungen Amerika steht und wie das auch Europa und speziell Österreich stark beeinflusst.

Videokonferenz mit Franz-Stefan Gady (links) und dem österreichischen Botschafter in Washington, Martin Weiss. Moderation: Manuela Tschida-Swoboda

Diese US-Wahl ist der letzte Beweis, dass Donald Trump kein Betriebsunfall der Geschichte ist, wie manche sagten. 70 Millionen Amerikaner haben ihn wieder gewählt. Joe Biden wählten 74 Millionen. Bleibt uns das Phänomen Trump erhalten?
MARTIN WEISS: Ja. Das Phänomen bleibt sicher. Auch wenn Donald Trump diese Wahl verloren hat, wird er die politische Bühne nicht verlassen. Und er hat eingefleischte Fans.
FRANZ-STEFAN GADY: Die Person wird vielleicht von der politischen Bühne abtreten, aber die Trump’sche Politik bleibt. Die Idee, dass die republikanische Partei in diese alte George W. Bush-Ära zurückgeht, in der es hauptsächlich um liberale Wirtschaftspolitik ging, um Globalisierung, um die USA als Weltpolizist, wurde mit dem aktuellen Wahlergebnis, diesem hohen Zuspruch für Donald Trump, zerschlagen.


„Gewinnen ist leicht, verlieren nie – nicht für mich“, sagt Trump und will sich nun einen Sieg erklagen. Ist das mehr als Theaterdonner? Wird er sich letztlich brav ins Unvermeidliche fügen?
WEISS: Ja, er muss sich am Ende dreinfügen. Jetzt geht es ihm aber darum, wie er die Geschichte seiner Niederlage erzählt. Offenbar tut es ihm weniger weh, wenn er klagt, dass Stimmen gezählt wurden, die nicht gezählt hätten werden dürfen, und dass es unglaublich knapp war. Aber am Ende des Tages, wenn wirklich alle Bundesstaaten ausgezählt sind, wird Biden vermutlich 306 Wahlmänner-Stimmen haben, soviele wie Trump im Jahr 2016. Und letztendlich werden auch die Republikaner die Wahl anerkennen.
GADY: Der Tag, auf den wir schauen müssen, ist der 14. Dezember, wenn die Wahlmänner im Wahlkollegium letztlich den Präsidenten wählen. Früher oder später wird auch das republikanische Establishment Trump in die Schranken weisen. Andererseits muss da sachte vorgegangen werden, denn wie kein anderer Präsident in den vergangenen Jahrzehnten hat es Trump geschafft, seine Wähler zu mobilisieren.


Wie werden sich die USA unter Joe Biden verändern?
GADY: Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir auf die Stichwahlen im Jänner warten, in Georgia, wo es um die Mehrheit im Senat geht. Bekommen die Demokraten diese Mehrheit, steht es gut um Bidens Agenda, sonst müsste er mit Dekreten regieren, und die können relativ schnell wieder aufgehoben werden. Spannend wird auch, inwiefern moderate Republikaner Biden unterstützen. Einige republikanische Senatoren, darunter Mitt Romney, haben Biden bereits offiziell zum Wahlsieg gratuliert. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Mainstream-Republikaner die Politik Joe Bidens unterstützen. Aber unmittelbar ist die Bekämpfung der Pandemie das Generalthema.
WEISS: Mit Kamala Harris gibt es die erste schwarze Frau als Vizepräsidentin. Erstmals könnte auch eine Frau Verteidigungsministerin der USA werden. Joe Biden wird sich Mühe geben, das bunteste Kabinett auf die Beine zu stellen, das es jemals in den USA gab. Und er wird ganz bewusst auf seine Partner in der Welt zugehen. Für sein erstes Amtsjahr hat er einen internationalen Gipfel der Demokratie angekündigt.

Österreich hatte die letzten vier Jahre einen guten Draht ins Weiße Haus. Präsident Trump hatte ein Faible für Bundeskanzler Kurz. Wird das unter Biden anders?
WEISS: Ich denke, auch Joe Biden ist jemand, mit dem Österreich gut zusammenarbeiten kann. Biden kennt den Balkan, der ihm sehr wichtig ist, wie seine Westentasche. Auch Österreich ist der Balkan wichtig. Biden führt die USA zurück in das Pariser Klimaabkommen, was Österreichs Regierung sehr wichtig ist, auch dort gibt es also eine gute Zusammenarbeit.
GADY: Kurz hatte eine sehr gute Beziehung zum demokratischen Außenminister John Kerry. Es kommt jetzt darauf an, welche ehemaligen Kerry-Mitarbeiter ins State Department kommen oder ins Weiße Haus. Denn da gibt es natürlich viele informelle Beziehungen.


Assoziieren Sie bitte frei: Was wird in den nächsten Jahren besser in und mit Amerika?
GADY: Europa wird eine Verschnaufpause haben von dieser antieuropäischen Rhetorik eines Donald Trump. Europa muss sich aber auch klar zu einem engen transatlantischen Verhältnis bekennen.
WEISS: Es wird eine weiblichere Politik geben, denn es wird mehr starke Frauen in der amerikanischen Politik geben, und das ist gut für Amerika, aber auch gut für die Welt. Es wird einen Corona-Impfstoff geben, und damit wird die Wirtschaft in den USA, aber auch die Weltwirtschaft wieder durchstarten. Das wird uns allen das Leben leichter machen, denn die Gräben sind in Zeiten einer harten Wirtschaftskrise um vieles tiefer als in Zeiten, in denen es etwas zu verteilen gibt. Und ich glaube letztlich, dass wir in den nächsten vier Jahren ein stärkeres Aufeinanderzugehen zwischen Europa und den USA haben werden, denn Sätze wie „Die EU ist schlimmer als China, nur kleiner“, wie Trump sich einmal ausdrückte, wird man nicht mehr hören.