In der Wahlschlacht ums Weiße Haus hat der demokratische Kandidat Joe Biden seinen knappen Vorsprung in den zwei wichtigen Staaten Pennsylvania und Nevada weiter ausgebaut. In Pennsylvania sind 20 Wahlleute zu vergeben, in Nevada sechs. Wenn Biden in Pennsylvania siegt, hat er die Wahl gewonnen.

Am späten Abend Ortszeit wandte sich der frühere Vizepräsident erneut an das Volk und bat weiter um Geduld. Es werde noch immer ausgezählt und noch immer gäbe es kein offizielles Ergebnis. Aber, so Biden: „Die Zahlen sagen uns, wir werden das Rennen gewinnen.“ In den Stunden zuvor hatte sich vor allem in Pennsylvania der Vorsprung weiter erhöht und auch in den anderen drei Staaten, in denen Biden führt, der Vorsprung stabilisiert beziehungsweise erhöht. Biden gab sich versöhnlich. Egal wo man stehe: "Wir sind keine Feinde." Er werde ein Präsident für die gesamte Nation sein und auch für jene hart arbeiten, die gegen ihn gestimmt haben.

In Arizona, das von Fox News bereits am Wahltag Joe Biden zugerechnet wurde, schmilzt dessen Vorsprung auf den amtierenden Präsidenten Donald Trump indes. Trotzdem glauben führende amerikanische Wahl-Analysten nicht, dass es sich dort für Trump noch ausgehen wird. Mittlerweile wurde allerdings bekannt, dass noch über 250.000 Stimmen nicht ausgezählt wurden.

In Georgia werden die Stimmen nach der Präsidentschaftswahl wegen des extrem knappen Ausgangs neu ausgezählt. "Mit so einer geringen Differenz wird es in Georgia eine Neuauszählung geben", sagte Wahlleiter Brad Raffensperger am Freitag in Georgias Hauptstadt Atlanta. Zuletzt lag Präsidentschaftskandidat Joe Biden in dem konservativen Südstaat mit hauchdünner Mehrheit vor Amtsinhaber Donald Trump - laut US-Medien nur mit rund 1500 Stimmen Vorsprung.

"Das Endergebnis in Georgia wird nach jetzigem Stand gewaltige Auswirkungen auf das gesamte Land haben", sagte Raffensperger. Überall würden die "Emotionen" hochschlagen. Das werde die Wahlbehörden aber nicht von ihrer Arbeit abhalten. Georgia mit seinen 16 Wahlleuten könnte bei der Präsidentschaftswahl den Ausschlag geben. 

Trump spricht weiter von "illegalen Stimmen"

Der US-Präsident hat am Freitag erneut den Vorwurf erhoben, nach der Präsidentschaftswahl vom Dienstag würden "illegale Stimmen" gezählt. Von Anfang an habe er gesagt, dass nur "legale Stimmen" für das Ergebnis berücksichtigt werden dürften. "Aber wir sind bei diesem grundlegenden Prinzip auf Widerstand vonseiten der Demokraten gestoßen", erklärte Trump in einer schriftlichen Mitteilung.

Es gehe um die Integrität des gesamten Wahlprozesses. Der Präsident kündigte erneut an, alle rechtlichen Mitteln nutzen zu wollen. An das amerikanische Volk gerichtet fügte er hinzu: "Ich werde niemals aufgeben, für euch und unsere Nation zu kämpfen." Seit der Wahlnacht hat Trump mehrfach behauptet, es gebe Wahlbetrug, ohne Beweise dafür zu nennen.

Der Bürgermeister von Philadelphia, Jim Kenney, hat Vorwürfe des Wahlbetrugs entschieden zurückgewiesen. "Wie wir erwartet haben, haben die Wähler und Einwohner von Philadelphia dafür gesorgt, dass unsere Stadt als Beispiel dafür herausragt, wie man eine Wahl korrekt durchführt". Die Stimmen würden so lange gezählt, bis jeder gültige Zettel berücksichtigt sei.

Live-Ticker zur US-Wahl

Die demokratische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, bezeichnete Biden nun bereits als Sieger der umkämpften Präsidentschaftswahl. "Der gewählte Präsident (president-elect) Biden hat ein starkes Mandat", sagte Pelosi vor Journalisten. Als "president-elect" wird in den USA der Sieger der Präsidentschaftswahl bis zu seinem Amtsantritt bezeichnet.

Biden hat bisher 253 Wahlleute auf sich vereinigen können. Trump kommt aktuell auf 214 Wahlleute.

Trump wütet vor der Presse

Um 0.30 Uhr unserer Zeit trat der amtierende Präsident der USA, Donald Trump, vor die Presse, um die Wahl in weiten Teilen für illegal zu erklären, sich selbst zum wahren Sieger des Wahlabends auszurufen. Fassungsloses Entsetzen bei den Beobachtern beispielsweise im Kreis der Beobachter auf CNN und anderen großen Medien.

Der republikanische Amtsinhaber sieht sich weiterhin als Sieger der Präsidentenwahl. "Wenn man die legalen Stimmen zählt, würde ich locker gewinnen", sagte Trump in Anspielung auf die sich verdüsternden Aussichten auf seine Wiederwahl. Er bekräftigte den - nach wie vor in keiner Form belegten - Vorwurf, dass "illegale Stimmen" ausgezählt werden und die Demokraten "die Wahl stehlen wollen". Die Stimmen für die Demokraten seien gekauft, die Medien seien ohnehin korrupt - und die Wahl insgesamt über weite Strecken illegal.

Der Auftritt wirkte nicht nur auf Beobachter außerhalb der USA gespenstisch. Die Journalisten bei CNN etwa reagierten schockiert: Der Präsident habe sein Vorgehen angekündigt, man habe es erwartet, und man sei dennoch fassungslos darüber, dass ein amtierender Präsident auf diese Weise das System unterminiere. Weitere gewalttätige Ausschreitungen werden nicht ausgeschlossen.

Indes wenden sich sogar Republikaner von Trump und seinen Aussagen ab: Der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat Rick Santorum etwa äußerte in einer ersten Reaktion scharfe Kritik an den Betrugsvorwürfen Trumps. "Kein gewählter Republikaner wird sich hinter diese Aussage stellen", betonte Santorum am Donnerstagabend (Ortszeit) im US-Fernsehsender CNN. Santorum zeigte sich "enttäuscht" von Trumps Statement.

Demokratische Wähler hätten jedes Recht gehabt, per Briefwahl abzustimmen, betonte er mit Blick auf Trumps Aussage, es handle sich um "illegale Stimmen". Santorum wies auch darauf hin, dass die Wahlbehörden in Georgia oder Arizona einer republikanischen Regierung unterstehen.

Bekannte US-Sender wie NBC, ABC, MSNBC, USA Today und CBS entschieden sich indes, noch während der Rede aus der Übertragung auszusteigen. "Wir sind nun wieder in der unüblichen Position, nicht nur den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu unterbrechen, sondern auch den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu korrigieren”, verkündete MSNBC-Moderator Brian Williams. Auf CNBC hielt der frühere "Fox News"-Moderator Shepard Smith fest: "In nichts, was er gesagt hat, hat auch nur ein Fünkchen Wahrheit gesteckt."

Schon zuvor hatte der Sohn des Präsidenten über Twitter den "totalen Krieg" ausgerufen, im Bemühen darum, den Wahlsieg des Vaters zu sichern. Und auch Trump selbst war auf Twitter zunehmend aggressiv geworden, worauf Twitter mit Warnhinweisen vor etlichen unwahren Beiträgen des amtierenden Präsidenten reagierte.

Wahlanfechtungen angekündigt

Das Wahlkampfteam von US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, auch eine Wahlanfechtungs-Klage im US-Staat Nevada einzureichen. Der Trump-Vertraute und frühere US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, sagte am Donnerstag in Las Vegas, derzeit würden "illegale" Stimmzettel gezählt. Dies sei "inakzeptabel".

Der Republikaner Adam Laxalt, früher Generalstaatsanwalt von Nevada, erklärte, es gebe Berichte über zahlreiche "Unregelmäßigkeiten". So seien Stimmzettel im Namen von Toten abgegeben worden - sagt Laxalt. Außerdem seien die Stimmen von Tausenden Menschen gezählt worden, die während der Corona-Pandemie ihren Wahlkreis verlassen hätten und deswegen dort nicht mehr hätten wählen dürfen.

Auch wenn derzeit noch nicht viel gesichert ist, eines ist gewiss: Die Anwälte werden in den nächsten Wochen noch einiges zu tun bekommen.

"Seid geduldig, Leute"

Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden rief seine Landsleute indes zu Geduld auf: "Seid geduldig, Leute. Stimmen werden gezählt, und wir haben ein gutes Gefühl mit Blick darauf, wo wir stehen", schrieb Biden am Donnerstag auf Twitter. Ob er seine Landsleute damit wirklich in Zaum halten kann ist so ungewiss wie der Ausgang dieses Wahlkrimis. 

Zum Nachlesen: Was in den ersten 24 Stunden der Wahl geschah