Nach dem Rückzug der USA aus dem Wiener Atomabkommen kommt es zu heftigen Wortgefechten zwischen den bisherigen transatlantischen Partnern; die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen sowie einer Eskalation der Kriegsgefahr in Nahost wächst.

Einen Tag nach seinem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat US-Präsident Donald Trump dem Land mit "sehr ernsten Konsequenzen" gedroht, sollte es sein Nuklearprogramm ausweiten. "Ich würde dem Iran sehr stark raten, sein Atomprogramm nicht wieder zu starten", sagte Trump am Mittwoch vor Journalisten im Weißen Haus. Auf die Frage, wie seine Antwort auf eine Ausweitung des iranischen Atomprogramms aussehen würde, sagte Trump nur: "Der Iran wird es herausfinden."

Trump ließ keinen Zweifel an der Tragweite der geplanten Sanktionen: "Jedes Land, das dem Iran bei seinen Bemühungen um Atomwaffen hilft, könnte auch mit starken Sanktionen belegt werden." Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, twitterte, dass deutsche Unternehmen ihre Geschäfte im Iran "sofort runterfahren" sollten.

Eine klare Reaktion kam umgehend vom Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: "Sagen Sie dem Gastland nie, was es zu tun hat, wenn Sie keinen Ärger wollen. Deutsche hören gern zu, aber Anweisungen werden sie übelnehmen", twitterte Wolfgang Ischinger. Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire bezeichnete es als inakzeptabel, wenn die "USA den Wirtschaftspolizisten des Planeten" spielen. Auch der britische Außenminister Boris Johnson forderte die USA auf, andere Vertragspartner nicht an der Umsetzung des Iran-Deals zu behindern.

Die Sorge besteht jetzt, dass Unternehmen aus anderen Ländern Probleme bekommen, wenn sie gegen die US-Sanktionen verstoßen. Führende deutsche Wirtschaftsverbände befürchten Einbußen im Handel mit dem Iran. Die österreichischen Firmen, die im Iran tätig sind, zeigen sich abwartend.

Zugleich wollen die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am kommenden Montag gemeinsam mit Vertretern des Iran beraten, ob und wie das Atomabkommen von 2015 auch ohne die USA gerettet werden kann.

Der Iran will vorerst an dem Deal festhalten, macht das aber davon abhängig, ob er wirklich in den Genuss der versprochenen wirtschaftlichen Vorteile kommt. Auch die anderen Mitunterzeichner des Atomdeals, Russland und China, kritisierten den Ausstieg der USA.

Der oberste politische und religiöse Führer Irans hat die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump zum Ausstieg aus dem Wiener Atomabkommen als dumm bezeichnet. "Mr. Trump, ich sage Ihnen im Namen des iranischen Volkes: Sie haben einen Fehler gemacht", hieß es auf der offiziellen Website von Ayatollah Ali Khamenei am Mittwoch.

Trump habe in seiner Rede einige dumme und oberflächliche Aussagen gemacht und vermutlich mehr als zehn Lügen erzählt. "Er hat das Regime und das Volk bedroht und gesagt, sie (die Iraner) machen dies und das." Khamenei hatte dem Atomabkommen nur widerwillig zugestimmt und den USA wiederholt öffentlich vorgeworfen, sich nicht an die gemachten Zusagen zu halten.

Die Ansprache Trumps zum Nachschauen:

Nachdem Trump kurzerhand den Nukleardeal mit dem Iran aufgekündigt hat, "sollten sich politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger in Europa darauf einstellen, dass die USA Präventivschläge gegen den Iran durchführen werden" - so die Einschätzung des USA-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Josef Braml, in einer schriftlichen Stellungnahme am Mittwoch.

"Sollten Trump und seine Sicherheitsberater zu der Einschätzung kommen, das der Iran Atombomben baut, werden sie schnell reagieren", erklärte Braml. Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton habe schon vor drei Jahren gefordert, den Iran zu bombardieren, um die iranische Atombombe zu verhindern. Auch Trumps neuer Außenminister Mike Pompeo sei in der Iran-Frage ein Hardliner.

Der Rückzug der USA hat die Ölpreise am Mittwoch kräftig in die Höhe getrieben. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Juli kostete am Morgen 76,70 US-Dollar (64,62 Euro). Das waren 1,85 Dollar mehr als am Vortag.

Aus Protest gegen den Ausstieg der USA aus dem internationalen Atomabkommen haben einige Abgeordnete im iranischen Parlament eine US-Flagge verbrannt. Sie hätten zunächst "Nieder mit Amerika" gerufen und danach die Flagge sowie eine symbolische Kopie des Atomabkommens verbrannt, berichtete die iranische Nachrichtenagentur ISNA.

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian äußerte Sorgen vor einer neuen Konfrontation. Das Atomabkommen sei "unabdingbar für die Stabilität in der Region". In Israel, einem der engsten Verbündeten der USA in der Region, wird befürchtet,  ein bewaffneter Konflikt mit dem Iran könnte unmittelbar bevorstehen. Am späten Dienstagabend vermeldeten staatliche syrische Medien den Abschuss zweier israelischer Raketen in der Nähe der Hauptstadt Damaskus. Israelische Kampfflugzeuge sollen zudem eine Stellung der Regierungstruppen in der Region Kisweh unter Beschuss genommen haben.

Zugleich hagelt es Kritik an Trump.  Donald Trumps Entscheidung, aus dem Atom-Deal mit dem Iran auszusteigen, sei "ein schwerwiegender Fehler", erklärt Ex-US-Präsident Barack Obama. "Ohne das Atomabkommen könnten die Vereinigten Staaten vor die negative Entscheidung gestellt werden, ob sie einen atomar aufgerüsteten Iran akzeptieren wollen oder einen weiteren Krieg im Nahen Osten." Obama hat sich in den vergangenen 15 Monaten nur äußerst selten zu tagesaktuellen politischen Entscheidungsprozessen geäußert.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich "zutiefst besorgt". Das Abkommen sei eine "wesentliche Errungenschaft" beim Versuch, die Verbreitung von Atomwaffen einzudämmen. Der Deal habe zu Frieden und Sicherheit in der Region sowie in anderen Teilen der Welt beigetragen. 

Iran hält Abkommen ein

Der Iran werde dem Ankommen weiter verpflichtet bleiben. Auch ohne Washington. "Wir haben statt eines Abkommens mit sechs Staaten nun eines mit fünf", sagte Rouhani. "Wir lassen nicht zu, dass Trump diesen psychologischen Krieg gewinnt." In den nächsten Wochen würden iranische Diplomaten mit den anderen fünf Verhandlungspartnern das weitere Verfahren besprechen, sagte der Präsident.

Die EU will an dem Abkommen festhalten. Deutschland, Frankreich und Großbritannien bedauerten die US-Entscheidung. Das teilte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstagabend auf Twitter mit. Das internationale Regime zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen stehe auf dem Spiel. Der französische Staatschef erklärte: "Wir werden kollektiv an einem breiteren Rahmen arbeiten." Dieser solle die nukleare Aktivität, die Zeit nach 2025, das Raketenprogramm und die Stabilität im Mittleren Osten abdecken, "insbesondere in Syrien, im Jemen und im Irak". Macron hatte bereits bei seinem US-Besuch im vergangenen Monat ein solches Gesamtkonzept für den Umgang mit dem Iran ins Gespräch gebracht.

Trump will neuverhandeln

Die Sanktionen gegen die Islamische Republik würden wieder in Kraft gesetzt, hatte Trump am Dienstag in Washington angekündigt. Wenn das Atomabkommen bestehen bliebe, könne dies bald zu einem atomaren Wettrüsten im Nahen Osten führen.

Es sei klar, dass die USA eine iranische Atombombe unter dem gegenwärtigen Abkommen nicht verhindern könnten. Er sei aber bereit, willens und in der Lage, ein neues Abkommen mit dem Iran auszuhandeln. Trump hatte das 2015 nach langwierigen Verhandlungen geschlossene Abkommen als den schlechtesten Vertrag bezeichnet, der je abgeschlossen wurde.

Kurz warnt vor Radikalisierung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) warnt vor den möglichen Konsequenzen der Entscheidung des US-Präsidenten. "Die Isolation eines Landes wie des Iran kann sehr gefährlich sein und zu noch mehr Radikalisierung sowie Abgrenzung führen", sagte der Kanzler am Dienstagabend.

Das 2015 geschlossene Abkommen sei "positiv". "Wenn man das jetzt infrage stellt, dann destabilisiert man die Beziehungen zum Iran und auch die ganze Region, die ohnehin schon instabil genug ist", so Kurz. Dass der Iran keine Atombombe bauen kann, darüber wache die Internationaler Atomenergie-Behörde IAEA (IAEO) "durch strenge Kontrollen".

Zwar nehme man die Sorgen der USA und Israels sehr ernst, wolle nun aber gemeinsam mit den "Partnern in der EU eine mögliche Eskalation mit dem Iran" verhindern und das Abkommen "so gut wie möglich" erhalten. Das Atomabkommens mit dem Iran war im Juli 2015 in Wien von den 5+1 (UN-Vetomächte plus Deutschland) abgeschlossen worden.

Außenministern Karin Kneissl (FPÖ) erinnerte an den Erfolg des Deals. Es sei "ein Musterbeispiel dafür, dass Rüstungskontrolle mit diplomatischen Mitteln funktioniert", so Kneissl in einer Stellungnahme. Die Entscheidung des US-Präsidenten und die möglichen Konsequenzen müssen nun "einer genauen Analyse" unterzogen werden. In der Zwischenzeit rief Kneissl "alle Parteien der Vereinbarung dazu auf, keine Maßnahmen zu setzen, die die Gewaltspirale im Nahen Osten weiter beschleunigen könnten." Wien stehe "als traditioneller Ort des Dialogs" jedenfalls für "Gespräche über alle Fragen des Abkommens" bereit.

Iran-Deal: Kneissl und Kurz kritisieren USA

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu lobte die Entscheidung von Trump als "mutig und richtig". Im Rahmen der Vereinbarung wäre es für Teheran möglich, ein ganzes Arsenal nuklearer Waffen zu produzieren, sagte Netanyahu am Dienstag. Netanyahu forderte die Weltgemeinschaft dazu auf, ebenfalls aus dem Atomabkommen auszusteigen, neue Sanktionen gegen den Iran zu verhängen und "die iranische Aggression in unserer Region zu stoppen, vor allem in Syrien". Israel sei fest entschlossen, eine dauerhafte militärische Präsenz des Irans in Syrien zu verhindern, sagte Netanyahu. "Wir werden in aller Härte auf jeden Versuch reagieren, uns anzugreifen."

Netanyahu gilt als schärfster Kritiker des Atomabkommens mit Teheran. Der Iran droht immer wieder mit der Vernichtung Israels. Netanyahu hat dem Iran vorgeworfen, heimlich das Know-how für den Bau von Atomwaffen für einen möglichen künftigen Gebrauch aufbewahrt zu haben. Er hatte eine massive Überarbeitung oder die Aufkündigung des Atomabkommens gefordert.

Nach Israel zugeschriebenen Luftangriffen auf Ziele in Syrien, bei denen auch iranische Soldaten getötet worden, hat Teheran mit Vergeltung gedroht. Israels Armee wies aus Sorge vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff iranischer Kräfte von Syrien aus am Dienstag die Ortschaften auf den Golanhöhen an, die Luftschutzbunker zu öffnen.