Das russische Außenministerium hat den USA ein gefährliches Spiel mit dem Absenken der Schwelle für einen Nukleareinsatz vorgeworfen. Russland müsse deshalb zu seiner eigenen Sicherheit Maßnahmen ergreifen, hieß es in der ersten Reaktion des Ministeriums in Moskau auf die neue Nuklearstrategie der USA.

Besondere Besorgnis errege die Ankündigung aus Washington, flexiblere Atomwaffen mit geringer Sprengkraft zu entwickeln. Solche Waffen seien nicht zur strategischen Abschreckung, sondern zum taktischen Einsatz auf einem Gefechtsfeld vorgesehen. "Ein Absenken der Nuklearschwelle kann zu einem Krieg mit Atomraketen selbst bei Konflikten von geringer Intensität führen", warnte das russische Ministerium am Samstag.

Die US-Regierung von Präsident Donald Trump hatte am Vortag die neue Einsatzstrategie für Atomwaffen vorgelegt und dabei Russland als größte Bedrohung eingestuft. Neue Nuklearwaffen von kleinerer Größe sollen entwickelt werden und demnach in erster Linie der Abschreckung gegenüber Russland dienen. Mittels dieser sogenannten taktischen Atomwaffen solle auf die Ausweitung der russischen Nuklearwaffenkapazitäten geantwortet werden, heißt es in einem Pentagon-Papier, das am Freitag vorgestellt wurde.

Moskauer Politiker und Ex-Militärs kritisieren die gegen Russland gerichteten Passagen der neuen US-Nuklear-Doktrin von Präsident Donald Trump. Die neue Nuklearstrategie sei "unangemessen, kontraproduktiv, destruktiv und aggressiv gegenüber Russland und China", sagte der Sicherheitspolitiker Franz Klinzewitsch, Senator im russischen Föderationsrat, am Samstag.

Washington provoziere einen neuen Rüstungswettlauf, sagte der Chef im Außenausschuss des russischen Parlaments, Leonid Sluzki, in Moskau der Agentur Interfax zufolge.

Durch die neuen Bomben soll das US-Atomwaffenarsenal zwar nicht ausgeweitet werden - sie sollen bisherige Sprengkörper ersetzen. Dennoch bricht die Regierung von Präsident Donald Trump durch die neue Atomwaffendoktrin mit dem Kurs von Vorgänger Barack Obama, der die weltweite Abschaffung von Atomwaffen zum Ziel erklärt hatte.

"Die Strategie entwickelt Fähigkeiten mit dem Ziel, den Einsatz von Atomwaffen weniger wahrscheinlich zu machen", erklärte Trump am Freitag. Zugleich werde die Abschreckung vor Angriffen gegen die USA und ihre "Verbündeten und Partner" vergrößert. In dem Bericht schreibt Verteidigungsminister James Mattis: "Wir müssen der Wirklichkeit ins Auge sehen und die Welt so sehen, wie sie ist, nicht so, wie wir es uns wünschen." Darauf nehme man mit den Änderungen an der Strategie Bezug.

Das Pentagon argumentiert in dem 75-seitigen Papier, dass die strategischen Atomwaffen mit ihrem gigantischen Zerstörungspotenzial zur Abschreckung nicht reichten. Russland setzt demnach womöglich darauf, dass die USA diese Waffen niemals einsetzen würden - da das Risiko wegen eines zu befürchtenden atomaren Gegenangriffs von ähnlicher Dimension und der damit drohenden Vernichtung von großen Teilen der Menschheit zu hoch sei.

Die neuen kleinformatigen Atomwaffen - allgemein als "Mini-Nukes" bezeichnet - sollen das Abschreckungspotenzial des US-Atomwaffenarsenals erhöhen. Rivalisierenden Staaten wie Russland werde dadurch ihr "irregeleitetes Vertrauen" genommen, dass sie bei einem Einsatz ihrer eigenen kleinen Atomwaffen nicht mit einem atomaren Gegeneinsatz der USA rechnen müssten.

Der Experte Greg Weaver vom Generalstab der US-Streitkräfte trat jedoch Berichten entgegen, dass das Pentagon mit den neuen Atomwaffen die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen absenken wolle. Der Zweck dieser Waffen sei es, eine US-Antwort auf den Nuklearwaffeneinsatz durch andere Staaten "glaubhafter zu machen". Es gehe jedoch nicht darum, den Ersteinsatz von Atomwaffen durch die USA wahrscheinlicher zu machen.

In dem Pentagon-Dokument werden zwar auch die Sorgen der US-Regierung hinsichtlich der Atomprogramme in Nordkorea, dem Iran wie auch China unterstrichen. Doch der Schwerpunkt liegt klar auf Russland. Die russische Annexion der Krim-Halbinsel und "nukleare Drohungen" gegen Verbündete der USA stellten Moskaus "Rückkehr zum Wettlauf der Großmächte" dar, schreibt Verteidigungsminister Jim Mattis.

Nordkorea stelle demnach eine "dringliche und unberechenbare" Bedrohung für die Vereinigten Staaten und seine Verbündeten dar. Das international isolierte Land sei möglicherweise nur noch Monate davon entfernt, die Fähigkeit zu entwickeln, die USA mit einer atombestückten Rakete zu treffen. Man habe deutlich gemacht, dass jeder nukleare Angriff gegen die USA oder verbündete inakzeptabel sei und zum "Ende des Regimes" führen würde, heißt es in dem Strategiepapier weiter. "Es gibt kein Szenario, in dem das Kim-Regime Atomwaffen einsetzen und überleben könnte."

Kritiker befürchten allerdings, dass die US-Pläne einen neuen atomaren Rüstungswettlauf in Gang setzen. Zudem weisen Experten darauf hin, dass die USA bereits Atomwaffen mit vergleichsweise begrenzter Sprengkraft in ihrem Arsenal haben. Dabei handelt es sich um die 150 B-61-Bomben, die in Europa gelagert sind.

Auch die kleinformatigen Atomwaffen haben immer noch eine enorme Sprengkraft, insofern ist die Bezeichnung "Mini-Nukes" verharmlosend. Die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki würden nach heutiger Definition als "Mini-Nukes" eingestuft werden. Sie hatten eine Sprengkraft von etwa 15 und 20 Kilotonnen. Als kleine Atomwaffen gelten heute solche mit einer Sprengkraft von bis zu 20 Kilotonnen.

Die Vereinigten Staaten haben derzeit geschätzte rund 7.000 Atomsprengköpfe in ihrem Arsenal, Russland einige hundert mehr.

Am Donnerstag hatte das US-Außenministerium erklärt, die USA und Russland erfüllten beide ihre Verpflichtungen zur atomaren Abrüstung im Zuge des Vertrages New START. Dieser war am 5. Februar 2011 in Kraft getreten. Darin verpflichten sich die beiden größten Atommächte der Welt, ihre Kapazitäten binnen sieben Jahren deutlich zu verringern. Der Stichtag ist am kommenden Montag.

Trump hatte das Pentagon nach seinem Amtsantritt vor einem Jahr angewiesen, die nukleare Strategie der USA zu überprüfen. Seit 1994 ist es in den USA üblich, dass Präsidenten einen solchen "Nuclear Posture Review" vorlegen. Der nun vom Pentagon vorgelegte Bericht ist aber nur eine Zusammenfassung; das eigentliche Dokument wird als geheim eingestuft.