Hat China die Corona-Krise ausgelöst und vertuscht? Um diese Frage ist in den letzten Tagen ein heftiger Streit zwischen den USA und China entbrannt - und er schaukelt sich mit jedem Tag weiter auf. Einige Beobachter sprechen bereits von einem neuen "Kalten Krieg" zwischen Washington und Peking - der allerdings schon vor Corona mit dem Handelskrieg unter Trump an Fahrt gewann. Was ist dran an den Vorwürfen?

Zwei grundsätzliche Probleme gibt es im Umgang mit der Corona-Krise. Erstens: Ein hoher Grad an Ungewissheit, da das Virus neu ist. Das betrifft seinen Ursprung, seine Entwicklung und medizinische Fragen.

Als wäre diese Situation nicht komplex genug, gibt es derzeit noch eine zweite Quelle von Ungewissheit: Anstatt zu warten, bis eben alle Fragen so weit als möglich geklärt sind, liefern sich mehrere Staatskanzleien - wie schon vor der Corona-Krise - Scharmützel darum, wer dem anderen die Schuld zuschieben und das eigene Versagen damit reinwaschen kann.

Jeder behauptet, was ihm gefällt

Hauptschlachtfeld: die Frage, wo das Virus seinen Ausgang nahm. Konkret: US-Präsident Trump wirft China vor, den Ausbruch der Virus-Epidemie nicht nur vertuscht zu haben, sondern diesen mit einer Panne in einem Immunologie-Labor in Wuhan auch noch herbeigeführt zu haben. Zuvor warf China den USA vor, das Virus stamme aus den USA. Auch Irans Ayatollah Khamenei wie Hilfslieferungen aus Washington zurück mit dem Argument, das Virus sei von den Amerikanern bewusst hergestellt worden, um ihre Feinde zu schwächen. Ähnliche Behauptungen erhob  Russland gegen Washington.

Dafür, dass die Pandemie von den USA ausging, gibt es derzeit nicht den geringsten Beweis. Man darf hier getrost von Reflexen und Propaganda in Teheran, Peking und Moskau sprechen.

Schadenersatz?

Doch auch das Weiße Haus erhebt Anschuldigungen, für die der Wahrheitsbeweis aussteht. Die US-Regierung behauptet, das Virus sei künstlich hergestellt - und zwar in dem Hochsicherheits-Forschungslabor in Wuhan, das ursprünglich gemeinsam mit Frankreich gegründet worden war. Trump behauptet, er habe Beweise. Vorlegen konnte er bisher keine. Verknüpft sind die Behauptungen mit Schadenersatz-Forderungen und Sanktionsdrohungen.

China weist die Anschuldigungen der US-Regierung zurück. Es handle sich dabei um eine Strategie, von der eigenen "Unfähigkeit" im Kampf gegen die Pandemie abzulenken, kommentierte die Zeitung "Global Times", die vom kommunistischen Parteiorgan "Volkszeitung" herausgegeben wird.

Vertuschung

Australische Medien hatten zuvor über ein Papier mehrerer westlicher Geheimdienste berichtet, in dem schwere Vorwürfe gegen China erhoben wurden. Das 15-seitige Dossier beklagt dem Blatt zufolge Vertuschung und weist auf riskante Forschungsarbeiten in dem Labor in Wuhan hin - es weist aber auf Uneinigkeit in der Frage hin, ob das Virus aus dem Labor stamme.

1. Was weiß man nun über die Enstehung der Pandemie?

Dass sie von China ihren Ausgang nahm, ist innerhalb der Wissenschaft unbestritten. Und auch, dass die chinesische Regierung in den ersten Wochen Berichte über das neue Virus unterdrückte und Warnungen der Ärzte in den Wind schlug.

Dass das Virus aus dem Labor in Wuhan stammt, ist dagegen hoch umstritten. Was Wissenschafter - und auch die US-Geheimdienste - ausschließen: dass das Virus künstlich, also vom Menschen, erzeugt wurde.

In einer im Februar auf der Plattform "Virological" und am 17. März im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlichten Studie erklärten fünf Forscher, es sei unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 durch Manipulation eines existierenden SARS-ähnlichen Coronavirus entstanden sei. Die genetische Information des Virus zeige deutlich, dass es nicht künstlich aus einem anderen Virus konstruiert worden sein, schreibt ein kalifornisches Forscherteam um den Mikrobiologen Kristian Andersen.

Man gehe vielmehr davon aus, dass sich das neuartige Coronavirus in der Tierwelt entwickelt hat - ähnlich wie andere Viren, die auf den Menschen übergesprungen sind. Wäre es künstlich erschaffen worden, wäre dies im Genom des Virus erkennbar.

In der Medizinfachzeitschrift "The Lancet" stützten weitere Forscher diese Erkenntnisse. Zugleich kritisierten sie, dass Verschwörungstheorien "Angst, Gerüchte und Vorurteile erzeugen, die die globale Kooperation im Kampf gegen das Virus gefährden".

Forscher des "Shanghai Public Health Clinical Centre" hatten Ende Dezember Daten über das Genom des Virus veröffentlicht, dessen Analyse auf eine Herkunft aus Fledermäusen hinweist. Laut einer weiteren Studie aus China im Februar könnte das Virus von Fledermäusen auf Gürteltiere und von dort auf Menschen übertragen worden sein.

Laut Forschern von der Universität Cambridge ist es nicht sicher, dass Wuhan der Ausgangspunt war - dieser könnte auch in der südlichen Provinz Guangdong liegt.

2. Könnte das Virus zwar von Fledermäusen stammen, aber dennoch aus dem Bio-Labor in Wuhan ausgetreten sein?

Theoretisch wäre das möglich. Die "Washington Post" berichtete 2018 über Sicherheitsbedenken in Bezug auf das Labor. Zudem gibt es Ungereimtheiten in Bezug auf die These, das Virus sei auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergesprungen - die Infektionskette lässt sich hier nicht eindeutig nachverfolgen. Zugleich gibt es aber auch US-Forscher, die das Labor besucht haben und die Sicherheitsstandards als hoch einschätzten. Shi Zhengli, die führende Wissenschaftlerin in Wuhan, die seit Jahren zu von Fledermäusen übertragenen Corona-Viren forscht "schwört bei ihrem Leben", das Virus stamme nicht aus dem Labor.

Langer Rede, kurzer Sinn: Die Faktenlage ist derzeit unklar und es wird wohl noch einige Wochen dauern, bis sie sich klärt. Vieles deutet darauf hin, dass die Ursache der Krise, wie bei anderen Virus-Krisen zuvor, im Überspringen eines Virus von Tieren auf den Menschen liegt.

3. Wenn die Faktenlage so unklar ist, warum stürzt sich Trump dann so auf dieses Thema?

Einerseits herrscht in den USA Wahlkampf - und die ständig steigenden Todeszahlen untergraben Trumps Glaubwürdigkeit als Krisenmanager. China ist der Sündenbock.

Und gleichzeitig hat die chinesische Regierung tatsächlich schwere Fehler begangen und viel zu spät über die Ausbreitung des Virus informiert. Peking versucht dennoch, mit sauberer Weste aus dem Schlammassel zu kommen. Nicht zuletzt, um Image-Schäden abzuwehren, setzte man auf diplomatische Initiativen wie die Hilfslieferungen von Masken und Schutzmaterialien etwa nach Italien und inszeniert sich als humanitärer Retter in der Not.

Was passiert, wenn trotzdem Kritik kommt, erfährt derzeit Australien: Nachdem Regierungschef Scott Morrison gemeinsam mit Washington forderte, die Ursprünge der Pandemie in China müssten unabhängig untersucht werden, drohte Peking mit einem Boykott auf australischen Wein. Und die USA wurden in chinesischen Staatsmedien sanft daran erinnert, dass sie für ihre Versorgung mit Medikamenten von China abhängig seien.

Europa ist bei all dem Zaungast. Dass es sinnvoll wäre, sich aus Abhängigkeiten bei medizinischen Produkten zu befreien, sollte die Corona-Krise aber deutlich gemacht haben.