Nach wochenlangen Konsultationen hat der Europäische Rat endgültig die Herausgabe eines brisanten Dokuments verweigert, das sich auf ein mutmaßlich slowenisches "Non-Paper" (Diskussionsvorschlag, Anm.) über Grenzverschiebungen am Balkan bezieht. Das mächtigste Gremium der EU bestätigte damit die Entscheidung seines Generalsekretariats, das am 31. Mai mit Verweis auf die Gefährdung internationaler Beziehungen einen diesbezüglichen APA-Antrag abgelehnt hatte.

"Das verlangte Dokument betrifft ein sehr sensibles Thema und seine Veröffentlichung hätte eine klare und direkte Auswirkung auf die Beziehungen der EU mit ihren Nachbarn und würde deshalb das öffentliche Interesse in Bezug auf internationale Beziehungen unterminieren", hieß es in der Antwort, die vom Europäischen Rat am 27. Juli angenommen worden war. Das mächtigste EU-Gremium besteht aus den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten, darunter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Ohne Stimmrecht gehören dem Europäischen Rat sein Präsident, der Belgier Charles Michel, und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an.

"Keine andere Möglichkeit"

Ungeachtet der zentralen Bedeutung der Medienfreiheit habe man angesichts dieser Einschätzung und der relevanten rechtlichen Bestimmungen keine andere Möglichkeit, als die Herausgabe zu verweigern, entschied der Europäische Rat. Die Delegationen der EU-Mitgliedsstaaten waren bereits am 2. Juni vom Generalsekretariat des EU-Rats mit der Causa befasst worden. Die APA hatte am Tag zuvor eine Revision jener Erstentscheidung verlangt, in der die Herausgabe eines einschlägigen Dokuments abgelehnt worden war.

Vorschläge zu neuer Grenzziehung

Nach Angaben des slowenischen Internetmediums necenzurirano.si, das Mitte April ein ungezeichnetes Dokument mit Vorschläge zu neuen Grenzen in Ex-Jugoslawien nach ethnischen Kriterien veröffentlicht hatte, soll Sloweniens Premier Janez Jansa dieses inoffizielle Papier im Februar 2021 unter Umgehung der Dienstpost EU-Ratspräsident Charles Michel zukommen haben lassen. Im Zusammenhang mit der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli 2021 begonnen hat und bis Ende des Jahres läuft, wäre eine etwaige Rolle des offiziellen Ljubljana bei der Verfassung und Verbreitung des informellen Papiers von besonderer Brisanz.

Verzicht auf Dementi

Offizielle Bestätigungen für die Darstellung von necenzurirano.si und anderer Medien blieben jedoch aus. Das Büro von Ratspräsident Michel verzichtete im April auf eine Bestätigung oder ein eindeutiges Dementi, verschwieg aber gleichzeitig, dass in seinem Bereich zumindest ein konkretes Dokument mit Bezug auf das "Non-Paper" vorhanden war. Dass der Rat der EU mit der Causa befasst worden war, wurde offiziell erst Ende Mai mit einem Schreiben seines Generalsekretariats an die APA bekannt.

Jansa selbst ließ erklären, dass er "Non-Papers" und andere nicht existierende Dinge nicht kommentieren würde. Die mutmaßlichen Dokumente hätten nichts mit der slowenischen Regierung zu tun, hieß es. Nach Medienberichten am Westbalkan, dass das Generalsekretariat des EU-Rats die Herausgabe eines Dokuments mit Bezug auf das "Non-Paper" verweigert hatte, ließ Jansa im Juni jedoch einen zuvor als geheim klassifizierten Bericht zu Balkan-Grenzfragen aus dem Jahr 2011 veröffentlichen. Dieses Dokument, das der slowenische Ex-Präsident Milan Kucan verfasst hatte, stand jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem 2021 diskutierten "Non-Paper".