Kamen Sie mit dem Rücktritt als Mitglied des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) nicht Ihrer Demontage zuvor?
WOLFGANG BRANDSTETTER: Das glaube ich nicht. Man müsste die Frage an den Präsidenten richten. Ich hatte längere Gespräche mit ihm, er gab mir keine Hinweise, dass so etwas ernsthaft erwogen wurde. Ich hätte mich davor nicht gefürchtet, weil es keine ausreichenden Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren gegeben hätte.

VfGH-Präsident Grabenwarter hat sich „erschrocken und bestürzt“ über Ihre Chats gezeigt.
Da geht es um indiskutable Äußerungen von Sektionschef Pilnacek, die eindeutig rassistisch und sexistisch sind. Diese groben Beleidigungen haben die beiden davon betroffenen Kolleginnen sehr verletzt. In einem Rechtsstaat haben solche Aussagen nichts verloren. Ich bin deshalb sehr erfreut, dass sich Pilnacek öffentlich entschuldigt hat. Ich habe durch mein Leben, meine Lebensweise, meine Familie bewiesen, dass mir Rassismus und Sexismus fremd sind. Ich habe zwei Enkelkinder, die zweisprachig aufwachsen. Meine Schwiegertochter ist Polin, mein Schwiegersohn Amerikaner. Es ist faszinierend zu sehen, wie der Fünfjährige polnisch und deutsch perfekt beherrscht. Ich war schockiert, dass die Zib1 mir diese Zitate zugeschrieben hat. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte zu einer besonderen Objektivität verpflichtet sein. Die Redakteurin hat sich entschuldigt. Das ist OK, aber das grenzte an Rufmord.

Warum haben Sie darauf nicht heftiger reagiert?
Was sagen Sie jemandem, mit dem sie freundschaftlich verbunden sind, der in einem vertraulichen Chat zu später Stunde jemanden beschimpft? Die Kommunikationsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt, es war kein persönliches Gespräch. Solche Beschimpfungen werden Sie bei mir nie finden. Ich stehe zu meinen Äußerungen, ich stehe auch zu meiner freundschaftlichen Verbindung zu Pilnacek. Einen Freund lässt man nicht fallen, wenn er Fehler macht und sich dafür auch entschuldigt.

Müssen Sie sich nicht den schwerwiegenden Vorwurf gefallen lassen, dass Sie die Urteile über die Sterbehilfe und das Kopftuchverbot vorzeitig an Pilnacek ausgeplaudert und so die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit, wie es im Gesetz steht, „aufs Gröbste verletzt haben“?
Da ging es nur um die Frage, ob Pilnacek höchstpersönlich als Vertreter der Republik bei der Urteilsverkündung dabei sein oder sich vertreten lassen sollte, nicht um den Inhalt.

Naja, Sie haben klar angedeutet, dass das Höchstgericht nicht Ihrer und der Meinung von Pilnacek bei der Sterbehilfe und beim Kopftuchverbot folgt.
Ich habe nie etwas über die internen Beratungen ausgeplaudert. Es war in der Fachwelt immer bekannt, dass ich Lockerungen bei der Sterbehilfe kritisch gegenüberstehe.

Pilnacek hat das als „Niederlage für den Rechtsstaat“ gewertet.
Ich habe ihm erklärt, dass solche Entscheidungen zu respektieren sind, egal, ob sie einem gefallen oder nicht.

Er hat auch um Unterstützung wegen der Karriere seiner Frau bei Ihnen angeklopft, wo Sie gemeint haben: „Wenn ich was tun kann, lass es mich wissen“. Die Bürger werden doch einmal mehr in dem Gefühl bestärkt: Die da oben können sich’s richten.
Das waren Äußerungen Pilnaceks, die einer persönlichen Enttäuschung geschuldet waren, die ich nachvollziehen konnte. In so einer Situation hört man jemandem zu, statt dass man den Stab über ihn bricht. Ich habe versucht, ihn aufzumuntern.

Bereuen Sie die Chats?
Heute würde ich diese Kanäle nicht mehr verwenden. Die Anwaltskammer überlegt mittlerweile sogar, diese Kanäle für den Kontakt zwischen Anwalt und Mandat zu verbieten.

Aus Ihrem Chatverkehr könnte man schließen, dass der VfGH gesellschaftspolitisch in eine falsche Richtung abdriftet?
Das kann und will ich nicht beurteilen, weil ich nichts zu Einzelentscheidungen sagen will. Bei der Sterbehilfe hatte ich immer schon Bedenken, weil ich nicht wollte, dass sich alte Menschen unter Druck gesetzt fühlen und meinen, sie würden anderen zur Last fallen. Beim Kopftuchverbot ging es mir um das Kindeswohl.

Was ist mit dem Vorwurf, Sie hätten eine Hausdurchsuchung an Ihren Mandaten Tojner verraten? War das der Grund, weshalb Ihr Handy sichergestellt wurde?
Diesbezüglich bin ich sogar sehr froh, dass die Chats, soweit sie verfahrensrelevant sind, veröffentlicht worden sind, weil sie mich und Pilnacek massiv entlasten. Die Information, dass eine Hausdurchsuchung stattfindet, ist von einer Journalistin an meinen Mandaten herangetragen worden. Das habe ich umgehend der Behörde schriftlich mitgeteilt, weil das auf eine Verletzung des Amtsgeheimnisses hindeutet. Die Vorwürfe haben sich in Luft aufgelöst. Ich habe Verständnis dafür, dass meine Handydaten für das Verfahren sichergestellt wurden. Sie wurden versiegelt und werden von einem Richter geprüft, der entscheidet, was verfahrensrelevant ist und was nicht. Diese nicht verfahrensrelevanten Chats, die jetzt veröffentlicht worden sind, dürften nie in den Akt aufgenommen werden.

Warum dann der Rücktritt?
Ich war schon als Justizminister der Meinung: Wenn aus welchen Gründen auch immer, berechtigt oder unberechtigt, eine Behörde in ein schiefes Licht gerät, muss man seine persönlichen Interessen hintanstellen und seinen Beitrag dazu leisten, dass der VfGH aus solchen Diskussionen herausgehalten wird.

Sollten Pilnacek, Blümel, Schmid nicht Ihrem Beispiel folgen, um die Institutionen aus der Schusslinie zu nehmen?
Ich kann nur für mich sagen, dass ich den Schritt gesetzt haben, weil durch mich der VfGH ins Gerede gekommen ist. Als VfGH-Mitglied hat man da eine besondere Verantwortung.

Läuft etwas schief in der heimischen Justiz?
Ich habe das Gefühl, dass der Grundrechtsschutz in Bezug auf die Privatsphäre durchlöchert wird. Wir haben das Briefgeheimnis seit 1867. Wenn ein Briefträger einen Brief öffnet, wird er sofort bestraft. Wenn die Behörde es als notwendig erachtet, auf private Daten zuzugreifen, muss das rechtskonform ablaufen. Mir ist eines wichtig: Ich habe nie die Justiz pauschal kritisiert. Sachliche und fachliche Kritik muss aber möglich sein.

Manche sprechen von einer politisch motivierten Justiz?
Das ist mir zu undifferenziert. Man kann fachlich und sachlich durchaus Kritik anbringen. Pauschal zu sagen, die Justiz ist politisch gesteuert, fällt nicht unter sachliche Kritik. Jemand hat geschrieben, Justizministerin Zadic wäre die Schutzmadonna der WKSTA. Sie bemüht sich zu Recht, die Justiz aus der politischen Diskussion herauszuhalten. Das habe ich als Justizminister auch immer getan. Aus den Vorgängen der letzten Zeit muss man aber den Schluss ziehen, dass dem Schutz der Privatsphäre künftig mehr Beachtung zu schenken ist.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ich hatte 2010 einen Lungeninfarkt, und als Spätfolge eines Autounfalls Ende Februar wieder Lungenprobleme, die nichts mit Corona zu tun hatten. Ich war auf Reha, wo ich viele deutlich jüngere Menschen kennengelernt habe, denen es schlechter geht. Daher muss ich wirklich zufrieden sein. Meine Rehabilitation schreitet voran - auf allen Ebenen.