"Essere o non essere" - "Sein oder Nichtsein" - das heißt es derzeit für Giuseppe Conte und seine Regierung. Der parteilose Regierungschef, dem sein entschlossenes Handeln während der Corona-Pandemie viel Ansehen eingebracht hat, kämpft derzeit um eine neue Regierung.

Und er setzt auf ein scheinbar paradoxes Manöver: Conte will die politische Krise mit seinem Rücktritt und der Bildung einer neuen Regierung lösen. Conte suchte am Dienstag Staatspräsident Sergio Mattarella auf und hofft, von ihm ein Mandat für die Bildung seiner dritten Regierung zu erhalten.

Die Unterstützung der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, der Sozialdemokraten (Partito Democratico) und der linken Kleinpartei Liberi e uguali (Frei und gleich) genügt ihm nicht mehr. Nachdem der Juniorpartner Italia Viva um Ex-Premier Matteo Renzi aus der Koalition ausstieg, verfügt Conte nur noch über eine hauchdünne Mehrheit im Senat, die ihm ein Weiterregieren nicht ermöglicht.

Kann er ein neues Mitte-links-Kabinett zustande bringen? Steht die Rückkehr der Rechten an die Schalthebel der Macht bevor?

Folgende Szenarien sind derzeit denkbar:

Szenario 1: Überläufer

Conte hofft, dass sich eine neue Mehrheit mit "Nothelfern" aus dem Oppositionslager und der sogenannten Gemischten Fraktion bilden lässt. Er wirbt vor allem um die Unterstützung liberal- und europaorientierter Parlamentarier, die sich in Zeiten der Corona-Pandemie gegen vorgezogene Parlamentswahlen richten.

Szenario 2: Eine Versöhnung mit Renzi

Eine Versöhnung zwischen Conte mit Ex-Ministerpräsident Renzi, der vor zwei Wochen die beiden Ministerinnen seiner Partei Italia Viva aus dem Kabinett abgezogen hatte und damit die Koalition platzen ließ, wird in Rom nicht ausgeschlossen. Conte könnte Renzis Italia Viva einige einflussreiche Ministerposten anbieten, um sich deren Unterstützung zu sichern. Außerdem müsste der parteiunabhängige Conte der Renzi-Partei mehrere Konzessionen in Sachen Umsetzung des Corona-Wiederaufbauprogramms der EU machen.

Szenario 3: Einheitsregierung - mit Rückkehr Draghis?

Als Alternative wird in Rom über eine Einheitsregierung spekuliert, der auch Parteien der derzeitigen Opposition wie die konservative Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi beitreten könnten. Die Einheitsregierung müsste ein Regierungsprogramm für die Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 entwerfen. Schwerpunkt wäre die Umsetzung des Recovery Plans, dem milliardenschweren Programm zum Wiederaufbau Italiens nach der Pandemie. Für den Premierposten einer solchen Konzentrationsregierung ist der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, im Gespräch.

Szenario 4: Neuwahlen

Beobachter gehen davon aus, dass Neuwahlen derzeit die rechte Opposition gewinnen würde. Ex-Innenminister Matteo Salvini reibt sich bereits die Hände und erklärte, seine Lega stehe als stärkste Einzelpartei einer Mitte-rechts-Koalition bereit.

Einschätzung: Tatsächlich dürften die Chancen, dass Conte Neuwahlen vermeiden kann, gut stehen - und das hängt weniger mit weltanschaulichen Fragen zusammen, als mit der beschlossenen Parlamentsreform, die nach Neuwahlen zum Tragen kommt: Die Reform sieht vor, dass die Zahl der Sitze im Parlament um ein Drittel verringert wird. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung hat dies im Vorjahr durchgesetzt. Im nächsten Abgeordnetenhaus sollen nur noch 400 „Deputati“ sitzen statt bisher 629, im Senat noch 200 „Senatori“ statt bisher 321. „Wir werden das Parlament öffnen wie eine Thunfischdose“, hatte der Gründer der Fünf-Sterne-Protestbewegung, der Komiker Beppe Grillo, im Wahlkampf versprochen.

Viele Parlamentarier - Vertreter fast aller Parteien - würden also nach Neuwahlen ihre Sitze verlieren. Gut möglich, dass diesmal der Wille zum Kompromiss bei etlichen Abgeordneten höher ist als sonst.