Einer tanzt immer aus der Reihe. Während des US-Wahlkrimis der letzten Tage war es ausgerechnet der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa, der im Kreis der EU-27 für Kopfschütteln und Irritationen sorgte. Zumal ja Anfang der Woche der Ausgang der Wahl völlig offen und zwischen dem Trump-Amerika und Europa längst schon genug Porzellan zerschlagen war, hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf zurückhaltendes Beobachten und gemeinsames Agieren verständigt – um die transatlantischen Beziehungen stand es schließlich schon einmal besser.

Dann kam Jansa. Schon im Wahlkampf hatte er sich auf Seite Trumps gestellt und Biden als „schwach“ bezeichnet, am Mittwoch, als tatsächlich von einem sich abzeichnenden Ergebnis noch keine Rede sein konnte, schickte der Slowene eine Gratulation an Trump über den Atlantik: "Es ist ziemlich klar, dass die Amerikaner Donald Trump und (Vize-Präsident) Mike Pence für weitere vier Jahre gewählt haben", schrieb er, verbunden mit Kritik an der "Faktenleugnung" durch die "Mainstream-Medien". Twitter versah den Beitrag Jansas mit einem Warnhinweis. Jansa blieb auch gestern noch auf Trump-Linie: als dann nämlich alle anderen dem tatsächlichen Gewinner Joe Biden gratulierten, setzte er auf Twitter noch eins drauf: "Interessant. In allen US-Staaten mit knappem Ausgang gibt es Klagen. Die Gerichte haben nicht einmal zu entscheiden begonnen. Glückwünsche von überall. Und der Rechtsstaat… (lachender Smiley)."

Gemeinsame Gratulationszeit

Mit dieser Einstellung ist er unter Europas Spitzen alleine. Regierungschefs und die Präsidenten der EU-Institutionen, so sickerte gestern aus Diplomatenkreisen durch, hatten sich sogar auf eine gemeinsame Gratulationszeit geeinigt. Punkt 19 Uhr kamen dann auch die Glückwünsche im Sekundentakt – alle freuten sich auf Joe Biden und äußerten die Hoffnung auf gute Zusammenarbeit.

Tatsächlich hat Biden schon im Wahlkampf einige Versprechen abgegeben, die Europa gerne hört. So will er etwa dem Pariser Klimaabkommen, das Trump kühl storniert hatte, rasch wieder beitreten. WHO-Austritt, WTO-Blockade, Iran-Abkommen, Strafzölle - die Hoffnung ist groß, dass nun alles gut wird. Doch sollten die Europäer nicht allzu euphorisch sein. Biden ist nicht der große Houdini – er ist kein Zauberkünstler, der in wenigen Monaten all das wieder rückgängig machen kann, was sein erratischer Vorgänger in vier Jahren angerichtet hat. Und bevor sich Biden langfristigen außenpolitischen Fragen widmet, muss er erst einmal in seinem Heimatland die Scherben aufsammeln. Und das ist eine Herkulesaufgabe: Die USA sind von der Pandemie massiv betroffen, die Zahlen steigen immer noch von Tag zu Tag und die Wirtschaft kommt ein weiteres Mal extrem unter Druck. Die kommenden Tage und das Verhalten Donald Trumps werden auch Einfluss auf die innere Stabilität Amerikas haben.

Noch bevor sein Sieg feststand, betonte Biden bereits, dass er auch für die da sein werde, die ihn nicht gewählt haben. Sein Hauptjob im kommenden Jahr wird darin bestehen, das gespaltene Land wieder zu einen und die Gräben zwischen Demokraten und Republikanern halbwegs zuzuschütten. Er muss also deutliche Signale an die Republikaner senden: immerhin haben rund 70 Millionen Menschen Donald Trump gewählt. Das heißt für die Europäer, dass sie es zwar nun mit einem Präsidenten zu tun haben, der wieder die gemeinsame diplomatische Sprache spricht, von dem sie aber gleichzeitig nicht eine sprunghafte Änderung der Beziehungen erwarten dürfen. Biden wird einen Weg der Mitte versuchen, vielleicht aber auch rechts der Mitte. Die USA werden sich in den Außenbeziehungen auf Asien, besonders auf den Umgang mit China, konzentrieren, es gibt genug Krisenherde in der Welt – Europa spielt in diesem Zusammenhang nicht die erste Geige.

Heißes Nato-Eisen Türkei

Während die EU als solche aber nun in ruhigere transatlantische Gewässer kommt und in eine Konstellation, mit der man besser umgehen kann, ist die Lage in anderen Bereichen noch unklar. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach in seiner Grußadresse gleich einmal von der „Führung der USA in einer unberechenbaren Welt“ und davon, das Band zwischen Nordamerika und Europa weiter zu stärken. Trump hatte die europäischen Nato-Partner massiv unter Druck gesetzt, besonders Deutschland, das er mit der Verlegung großer Truppenteile nach Belgien bestrafte. Die ständigen Querschüsse des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der einerseits die EU laufend reizt und als wichtiger Nato-Verbündeter aber auch nicht so einfach zu maßregeln ist, bedürfen vermutlich eines gewichtigen Mediators – ob Biden das, in absehbarer Zeit, sein kann, wird sich zeigen.

Auch die Beziehungen einzelner Länder zu den Vereinigten Staaten müssen neu aufgesetzt werden. Als einer der ersten Gratulanten stellte sich Boris Johnson ein – dem britischen Premier, der für die künftigen Beziehungen zu den USA voll auf Trump gesetzt hatte, schwimmen auch an dieser Brexit-Front die Felle davon. Johnson hatte im Sommer erst durch sein Binnengesetz versucht, die EU unter Druck zu setzen. Das Gesetz hätte vor allem Folgen für Irland – dumm jetzt nur, dass Joe Biden ausgesprochen stolz auf seine irischen Vorfahren ist und auch im Senat zahlreiche Nachkommen irischer Emigranten sitzen. Bidens Urgroßvater James Finnegan brach vom County Loth aus über den Atlantik auf, beide Elternteile haben irische Wurzeln. Ein husch-pfusch organiserter Handelsvertrag mit den USA, für Johnson eines der zentralen Argumente im Brexit-Wirrwarr, ist damit in weite Ferne gerückt und Johnson wird alle Hände voll damit zu tun haben, sich mit dem neuen Präsidenten gut zu stellen.

Auch andere europäische Länder müssen wohl ihre Beziehungen zu den USA neu sortieren. Als gestern Polens Präsident Andrzej Duda ebenfalls per Twitter gratulierte, wurde er von Kritikern umgehend daran erinnert, dass sich Biden ausdrücklich dafür ausgesprochen hatte, dass die Rechte von Homosexuellen und Transgender-Menschen ein Menschenrecht seien, die sogenannten LGBT-freien Zonen hätten gerade in Europa keinerlei Berechtigung – solche Zonen hat Polen eingeführt, trotz heftiger Proteste.

Österreich muss in den USA neu an den Start

Doch auch Österreich kommt in den Augen politischer Beobachter nicht gut weg. Österreich hat durch die Annäherung an die US-Regierung von Donald Trump in den letzten Jahren nach Meinung des Politikwissenschafters Heinz Gärtner "viel an außenpolitischem Spielraum verspielt" und damit "einen fliegenden Start" nach dem Präsidentenwechsel in der USA versäumt. Durch die einseitige Positionierung etwa im Nahen Osten oder dem Iran-Streit habe Wien die "Glaubwürdigkeit der Unabhängigkeit eingebüßt", sagte der Experte für internationale Politik in einem Interview mit der APA.  "Da ist sehr viel diplomatisches Geschirr zerschlagen worden." Österreich werde nun in Washington "in einem Topf mit Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn und Boris Johnson" gesehen. Die Neutralität Österreichs sei zwar vorhanden, aber in der Außenpolitik nicht mehr sichtbar, sagte der Außenpolitikexperte. "Wir haben eigentlich fast alles akzeptiert, was die Trump-Administration vorgegeben hat, ohne Alternativen denken und zu entwickeln", kritisierte er.

Konkret nannte der Politikwissenschaftler den Nahost-Konflikt. "Österreich hat den sogenannten Kushner-Plan sogar ziemlich vorbehaltlos unterstützt und ist sogar weiter gegangen ist als die Europäische Union." Dies habe zu einer weiteren Entfremdung mit den Palästinensern geführt, weil damit die Zweistaaten-Lösung faktisch aufgegeben wurde. Nun, da Biden zu dieser Zwei-Staaten-Lösung zurückkehre, hätte sich Österreich angeboten als Vermittler oder als Gastgeber für Gespräche. "Aber Österreich hat da Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil sie nicht beide Seiten gleich behandelt haben."

Ähnlich sei es mit dem Iran-Konflikt. Dass das Atomabkommen 2015 in Wien abgeschlossen worden, sei ein diplomatischer Erfolg gewesen, weil Österreich traditionell gute Beziehungen zum Iran hatte. Mittlerweile habe das Österreich das Atomabkommen, aus dem die USA unter Trump ausgestiegen sind, zwar nicht verworfen, aber auch nicht verteidigt, meint Gärtner. Außerdem beteilige sich Österreich nicht an dem von Deutschland, Frankreich und Großbritannien gegründeten Instex-Mechanismus, um den Handel zwischen Europa und dem Iran trotz US-Sanktionen weiter zu ermöglichen.

Einzelvorteile

Ähnlich kritisch hatte sich auch der Politologe Peter Filzmaier gegenüber der Agentur geäußert. Schließlich habe man es in den USA mitbekommen, dass Österreich unter Trump als "Trittbrettfahrer" versucht habe, "Einzelvorteile herauszubekommen", so Filzmaier mit Blick auf die intensiven bilateralen Kontakte unter der Ägide von Bundeskanzler Sebastian Kurz, der im Februar 2019 von Trump im Weißen Haus empfangen worden war. Ein zweiter Termin wurde in der ausbrechenden Covid-Krise abgesagt.

Auf Joe Biden kommen nun also enorme Aufgaben zu. Aus europäischer Sicht ist es schon ein Gewinn, wenn man in das gewohnte Muster transatlantischer Diplomatie zurückkehren kann – und einen Gesprächspartner im Oval Office hat, der nicht minütlich seine Meinung ändert.